Der Schatten des Kommandanten

The Commandant's Shadow

USA/GB 2024 · 107 min. · FSK: ab 12
Regie: Daniela Völker
Drehbuch:
Kamera: Piotr Trela, Rob Goldie
Schnitt: Claire Guillon
Filmszene »Der Schatten des Kommandanten«
Opfer und Täter, unvereinbare Perspektiven zusammengeführt...
(Foto: Warner Bros.)

Der Abgrund

Daniela Völkers Dokumentarfilm Der Schatten des Kommandanten

»Ich hatte eine wirklich schöne und idyl­li­sche Kindheit.« – »We had a beautiful mother and father.«

Einmal mehr erzählt auch dieser Film von Auschwitz. Aus einer anderen Perspek­tive erzählt er noch einmal die Geschichte, die uns gerade Anfang des Jahres in dem vielfach preis­ge­krönten Spielfilm The Zone of Interest erzählt wurde: Die Geschichte der Familie von Rudolf Höß, dem berüch­tigten Auschwitz­kom­man­danten und Massen­mörder, und ihres Verhält­nisses zu dem, was der Vater und Ehemann tat.

Hier wird sie gespie­gelt – durch die Geschichte von Anita Lasker-Wallfisch und ihrer Tochter Maya. Anita war einst Mitglied des »Mädchen­or­ches­ters« von Auschwitz, überlebte die Shoah und ist heute fast 100 Jahre alt.

Der Film der Regis­seurin führt Opfer und Täter, führt also unver­ein­bare Perspek­tiven zusammen.

»There was a fence between the horror and the normal life.«

Dies ist zugleich ein hoch­in­ter­es­santer Film wie ein hoch­pro­ble­ma­ti­scher.

Beginnen wir mit den Plus­punkten: Es gibt einige ausge­zeich­nete und selten zu sehende Bilder, die dieser Film auf der großen Leinwand präsen­tiert. Es sind dies Bilder der indus­tri­ellen Ermordung der europäi­schen Juden. Der letzten Stunden vor der Depor­ta­tion, der letzten Minuten vor dem Gang in die Gaskammer, des Alltags der Vernich­tung.
Es sind auch die fünf sechs so bizarren wie entlar­venden Szenen, die diesen Film einzig­artig machen:

Eine davon zeigt, dass dies entgegen dem Anschein keine persön­liche Geschichte ist, sondern eine allge­meine.
Denn, es kommt hier zwar zu einem bizarren Moment der Begegnung von Anita Lasker-Walfisch mit Hans-Jürgen Höss, dem zweiten Sohn des berüch­tigten Lager­kom­man­danten von Auschwitz, und seinem Enkel Kai.

»Ich hab' nie einen Über­le­benden aus dem Konzen­tra­ti­ons­lager getroffen« – »The son of the Comman­dant walking into my house... Ein histo­ri­scher Moment.« – »Wer hätte das gedacht?«

Die Begegnung ist bizarr, denn was hat man sich schon zu sagen? Was könnte man sich zu sagen haben? Und doch wird ein klein bisschen allein durch diese filmische Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung sugge­riert, dass man sich etwas zu sagen haben sollte.
Selbst als Hans-Jürgen Höss um Vergebung bittet – und dies ohne Frage ehrlich und ernst meint –, stellt sich sehr schnell die Frage ein, wer denn hier wem und wofür überhaupt vergeben könnte?
Sollten hier stell­ver­tre­tend Juden und Deutsche einander vergeben? Das kann es nicht sein!

Das Neben­ein­ander von Möglichem wie Unmög­li­chem, von Hölle und Idyll, und der Abgrund zwischen beidem ist das Thema dieses Films. Und die Frage, wie weit es sich um ein falsches Idyll handelt, wenn es direkt neben der Hölle liegt. Sie ist das zweite Thema.

Es geht auch um das Allge­meine: Wie können Juden und Deutsche, wie können die Nach­fahren der Täter und die Nach­fahren der Opfer heute mitein­ander überhaupt kommu­ni­zieren? Über den Abgrund hinweg, der sie und ihre Schick­sale und ihre Fami­li­en­ge­schichten trennt? Trennen muss. Über die Befan­gen­heit hinweg, die in fast jeder deutschen Wort­mel­dung, noch der bemüh­testen, noch der mit den besten Absichten und mit schlech­testem Gewissen, jederzeit spürbar bleibt?

Aber dieses Neben­ein­ander birgt auch unend­liche Gefahren und nicht allen von ihnen entgeht dieser Film: Dies ist immer wieder auch die Geschichte einer Verdrän­gung. Einer Verdrän­gung, die, wenn man ihr im Kinosaal ganz konkret ausge­setzt ist, fast uner­träg­lich wird.
Einer Verdrän­gung, in der die Kinder immer wieder ihren Vater als guten Vater beschreiben, ihre Kindheit als Idylle, immer wieder Kennt­nisse von Vater und Mutter leugnen, immer wieder bestreiten, selbst den Lärm der Todes­fa­brik direkt hinter der Mauer ihres Gartens gehört zu haben, bestreiten, dass es die Asche der Ermor­deten in den Garten regnete – obwohl selbst die Eltern in auto­bio­gra­phi­schen Texten das Gegenteil bezeugt haben.

Das Ganze hat großen histo­ri­schen Wert, um späteren Gene­ra­tionen eine kaum glaub­liche Verdrän­gung und Verleug­nung vor Augen zu führen, und zugleich bleibt man als Beob­achter immer unsicher, was dieser Film in der Gegenwart wirklich tun soll und bewirken kann?
In Deutsch­land, dem Land der Täter und vieler Opfer, da könnte dieser Film aller­dings zumindest eines: verhär­tete Fronten und Lager zum Sprechen bringen. Denn wegsehen und weghören kann man hier nicht mehr.

»Do you think, something like the Holocaust could happen again?«