Deutschland 2019 · 81 min. · FSK: ab 6 Regie: Sven O. Hill Drehbuch: Sven O. Hill Kamera: Sven O. Hill Darsteller: Daniel Michel, Tomasz Robak, Leonard Kunz, Fabienne Elaine Hollwege, Laurens Walter u.a. |
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Ein Spaß, der aus der Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität entsteht | ||
(Foto: Salto Film) |
Amerikanische Krimis sind spannend. Im Sub-Genre des Bankraubs etwa mühen sie sich, das kriminelle Problem raffiniert zu lösen und möglichst aufwendig zu zeigen. Profis müssen angeheuert werden, langwierige Beobachtungen durchgeführt, Berechnungen angestellt, dazu gibt es mindestens einen höllischen Shootout mit der Polizei. Zweifellos ist das spannend. Aber es ist weit hergeholt, aus einer Welt der Exaltation, die man nicht kennt und vermutlich auch nicht kennen könnte, wenn man wollte.
Wahrscheinlich würde der deutsche Krimi das schon auch hinkriegen. Aber er bemüht sich eher selten darum. Tatsächlich bewegt er sich, wenn er gut ist, in einer Welt, die dem Zuschauer deutlich näher ist. Im proletarischen Alltag werden seine Kriminellen angesiedelt, im kleinbürgerlichen Muff, manchmal sind es junge Langweiler, häufiger junge Gelangweilte. Meistens könnte man einer von ihnen sein, ohne sich groß anzustrengen, denn man findet sie nicht bloß im Kino, sondern in den Kneipen oder in den Kirchen, die jeder kennt.
Den Helden von Sven O. Hills Film Coup findet man zuerst am Hamburger Elbstrand. Er schlendert im Sand herum, Rücken zur Kamera, und erzählt von Dingen, die er vermissen würde, wenn er nicht mehr in Hamburg wäre. Viel kommt nicht zusammen, das ist vermutlich seinem Alter geschuldet. Er dürfte Mitte 50 sein, da ist man dem Gewohnten allmählich überdrüssig. Mit 22 ist das anders, davon wird dieser Film später erzählen. Mit 22, das sagt der Mann gegen Schluss, hatte er auch noch nicht die »sittliche Reife« für einen Besitz von zweieinhalb Millionen und die Möglichkeiten, die so viel Geld mit sich bringt.
Der Mann wird namentlich nie genannt. Der Film erzählt eine wahre Geschichte, heißt es, der Mann firmiert deshalb lediglich unter »Bankangestellter«. »Räuber« ginge auch, denn darum geht es in Coup: um die Geschichte eines Raubes, ausbaldowert zwischen Sparkassenfiliale und Billardkneipe, erzählt vom Täter selbst, der das mit prima Hamburger Akzent tut und mit einer Nähe zum Pragmatismus, die er nicht ein Mal gegen Aufgeblasenheit eintauscht. Allein ihm zuzuhören macht schon gute Laune, die von Inhalt und Bildern dann in Ausgelassenheit gesteigert wird. In Spannung auch, die leidet nicht, bei einem Millionenbetrug, der in aller Öffentlichkeit stattfindet, während der Betrüger mit dem Kassierer der Bank plaudert, der das Geld freundlich auf die Marmortheke zählt. Besser wird es kaum, was Betrug angeht.
Der Räuber erzählt von seiner Kindheit, von der Liebe zum Benzinmotor, die er von seinem Vater lernt. Die führt über Rasenmäher und Mofas zum Motorrad und zum Motorradclub, zu den Rockern also, aber auch die sind nicht aufgeblasen, sondern ungefähr sechzehn und gern besoffen. Schon bei dieser Vorgeschichte zeigt sich, was Sven O. Hill den amerikanischen Regisseuren voraushat, die sich einen ganzen Film lang nur auf ein Problem fokussieren, eben auf den schwierigen Raub. Hill hingegen winkt alle drei Minuten eine Idee durch, die höchstens über mehrere Ecken etwas vom Raub erzählt, dafür ganz direkt etwas über Eltern und Kinder, über Freundschaft, über Pubertät, Ausbildung, Amüsement in den achtziger Jahren und noch vieles mehr. Er gibt einen Schuss nach dem anderen ab, ohne seine Unaufgeregtheit zu verlieren, so steigert er stetig den Spaß, der aus der Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität entsteht.
Denn wenn man auf einen Bankraub wartet, der spektakulär glamourisiert wird, hat man bei Coup Pech. Der Räuber beschreibt die Abläufe in den Banken, in denen er schließlich täglich arbeitet, als geradezu erbärmlich banal. Wer 1987 auch nur ansatzweise mit Verstand und Enthusiasmus ausgestattet war, hätte sich dort bedienen können, das ist der Eindruck, der erweckt wird. Natürlich hängt das mit der analogen Zeit zusammen, zumindest glaubt man das, wenn der Räuber beschreibt, wie Coupons und Zinsgutscheine auf Papier ausgestellt und solche Papiere mit dem Locher entwertet werden. Aber grundsätzlich schwingt bei diesem ganzen Film mit, dass Betrug einfacher ist, als man glauben möchte, und Frechheit wahrscheinlich auch heute noch siegt.
Der Räuber ist bei Tag in der Bank und nach Feierabend bei seinen Rockerfreunden, bis einer von denen ihn darauf aufmerksam macht, dass man mal ein Leben ohne Arbeit ausprobieren könne. Da wird dann schon ausgerechnet, wie viel Geld dafür nötig sei, wie man es aus den Banken holt und wohin man es verschwinden lässt, die Jungs sind lässig, nicht etwa blöd. Aber auch hier wird versichert: Wenn ein Bankkaufmann nicht weiß, wie er so etwas anstellen soll, dann hat er seinen Beruf verfehlt. Auch das ist großartig, dass die Versuchung dieses Berufsstands, die normalerweise tunlichst verschwiegen wird, hier so sinnstiftend vorgestellt wird.
Konten in Luxemburg werden eröffnet, geklaute Coupons in Frankfurt bar ausbezahlt, lebenswerte Länder mit freundlicher Auslieferungspraxis gesucht, alles sehr schön nachgespielt vom Räuber und seinem Komplizen, deren größtes Problem darin besteht, dass die Innentaschen ihrer Anzüge nicht groß genug sind, um das ganze Geld unterzubringen. Ein paar Grenzen müssen noch überquert werden, ein paar Flughäfen unauffällig genutzt, dann ist der Raub erledigt. Und schon wieder macht Hill etwas anderes als gemeinhin erwartet: Er erzählt weiter. Von zwei Hamburger Jungs, die jetzt reich im Ausland sind, wo sie täglich Hummer mit Champagner bestellen. Deren Heimweh davon nicht weniger wird, weil in den Achtzigern so etwas wie Heimweh noch wehtat, oder weil man mit 22 noch leichter das vermisst, was man am Alltag zuhause schätzt.
Die Geschichte vom Raub endet also nicht bloß mit Erfolg, der Räuber und Sven O. Hill machen das Bild größer. Einsamkeit und Klugheit kommen darin vor, der Traum vom Auswandern und die Mentalität, die man dafür braucht. Familie und Loyalität, schon wieder lauter Dinge, die den Bankräuber mehr betreffen als den Bankraub, die aber dadurch auch den Zuschauer besser erreichen. Denn es geht nicht nur darum, ob man sich in einem Film der Welt nahe fühlt, in der ein Bankangestellter oder ein Räuber agiert. Mehr noch geht es darum, wie nah man den Personen kommt. Mit denen aus Coup zum Beispiel möchte man nach dem Film sofort ein Bier trinken, um sich die ganze Geschichte noch einmal anzuhören.