Polen/F/GB 2018 · 88 min. · FSK: ab 12 Regie: Pawel Pawlikowski Drehbuch: Pawel Pawlikowski, Janusz Glowacki, Piotr Borkowski Kamera: Lukasz Zal Darsteller: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Agata Kulesza, Borys Szyc, Jeanne Balibar u.a. |
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Summer of love |
Zwei unzerstörbar Liebende, die sich aufgrund widriger äußerer wie innerer Umstände nicht kriegen können: Davon wird schon so lange erzählt, wie es Geschichten gibt.
In Pawel Pawlikowskis neuem Film Cold War geht es um zwei »Königskinder«, Wiktor und Zula, die sich im kommunistischen Nachkriegs-Polen kennenlernen. Er leitet eine Folkloregruppe und sucht auf dem Land nach Talenten, sie ist eine charismatische junge Sängerin, die nach ihrem Glück sucht. Sie verlieben sich ineinander, werden jedoch bald wieder getrennt: Wiktor widersetzt sich der Instrumentalisierung seiner Truppe durch den Stalinismus, Zula folgt ihm trotz des gemeinsamen Fluchtplans nicht in den Westen. Es folgt eine über 15 Jahre dauernde Liebes-Odyssee, über die politischen Systeme und persönlichen Eitelkeiten hinweg, die quasi unmöglich und letztendlich unauflöslich bleibt.
Nicht jedoch um das »Was« geht es Pawlikowski so sehr, sondern vor allem um das »Wie«, betrachtet man die durchdachte Komposition seines Films. Sein Film besitzt eine formale und narrative Strenge, die, unerwartet antithetisch, dem Zuschauer eine große Freiheit ermöglicht. Pawlikowski schreibt keine Emotionen vor und erschlägt seine Geschichte nicht etwa mit Pathos und Überwältigungsdramaturgie. Vielmehr lässt er seinen Figuren und den Bildern von Łukasz Żal konzentrierten Raum.
Den visuellen Stil – 4:3, Schwarzweiß – etablierte der Regisseur gemeinsam mit seinem Kameramann in Ida (2013), seinem ersten nach langjähriger Abwesenheit in Polen realisierten Film. In Cold War erscheinen die Bilder jedoch ungleich kontrastreicher, lange und klar kadrierte Einstellungen werden von elegischen Kamerabewegungen abgelöst. Die Ästhetik spiegelt die Nüchternheit des Kalten Kriegs wider, aber auch die Melancholie einer vergeblichen Liebesgeschichte. Man spürt analogen Film statt der in Wirklichkeit benutzten Digitaltechnik. Gerade im jazzenden und swingenden Paris der 50er Jahre zitiert die Kamera zudem eine Bildtradition von der Nouvelle Vague bis hin zu Fotografen wie Brassaï.
Die handlungstragenden Musikdarbietungen markieren Veränderungen in Zeit und Raum, führen Wiktor und Zula als Kollaborateure in Ost und West zusammen, werden zugleich Ausdruck ihres immer stärker werdenden Zerwürfnisses. Unschuldige Volkslieder bekommen plötzlich politischen Charakter, werden abgelöst von gebrochenen Jazzrhythmen, die die in der Freiheit aufkommenden Liebes-Dissonanzen hörbar werden lassen, die Musik veräußerlicht das Innenleben der Figuren.
Bild- und Tonebene sind also nicht nur schöner Selbstzweck, sondern unterstreichen die zwei Pole der Geschichte sowie der unterschiedlichen Weltentwürfe und emotionalen Gefasstheiten. Exzess und Nüchternheit, Freiheit und Restriktion stehen stellvertretend für die sich gegenüberstehenden politischen Systeme. Man kann diesen entfliehen, jedoch nur schwer der Gefangenschaft von inneren Mechanismen, wie es sich im zerstörerischen Zusammenleben der Figuren in der »Freien Welt« zeigt. Spätestens dann findet der Kalte Krieg tatsächlich zwischen den Liebenden statt. Die reduzierte Erzählform wirkt umso mehr wie ein Brennglas für ihre Konflikte und betont die Widersprüchlichkeit ihrer Liebe.
Pawlikowski und seinem Co-Autor Janusz Głowacki gelingt es so trotz aller Subtilität, eine Verbundenheit zu den Figuren aufzubauen, die man bereitwillig auf ihrem merkwürdig unerfüllt-erfüllt bleibenden Weg durch die Jahre begleitet. Am Schluss jedoch wird die Strenge der Erzählung zum Selbstzweck, als gäbe es nun keinen anderen Ausweg mehr aus dem Drehbuch. Nicht die autonomen Figuren wählen sich hier den Schlusspunkt, sondern ein von den Autoren diktierter Fatalismus. Lieber wäre man den Figuren weiter gefolgt, denn auf diesen Wanderern zwischen den Welten gründet Cold War seine Faszination.
Schwarz und Weiß, wie Licht und Schatten: Ein Kamerateam reist durch das Nachkriegspolen und nimmt in den Dörfern Volkslieder und bäuerliche Musik. Einfache Menschen, deren Gesichter man schwere Arbeit und Leid anzusehen meint, singen und verraten dabei viel von sich. Viktor (Tomasz Kot) hat Musik studiert, möchte Komponist werden, und lobt »das Authentische« dieser Aufnahmen. Aber er ist auch Kommunist und passt sich an, und bald wird jene zweite »Authentizität« designen, die poliert und sauber ist und zu dem Gesicht passt, das der neue »Arbeiter- und Bauernstaat« nach Außen zeigen will, das aber mit den Arbeitern und Bauern kaum noch etwas zu tun hat. Dazu gehören Shows. Junge Menschen, vor allem hübsche Mädchen, tanzen in folklorisierten Uniformen mit Kopftuch und kurzen Röcken, in militärisch streng choreographierten Formationen – eine Mischung aus Tiller Girls und Reichsparteitag.
Eine von ihnen, besonders begabt als Sängerin und besonders hübsch, aber auch opportunistisch bis zur Verlogenheit, ist Zula (Joanna Kulig). Der Film versucht gar nicht erst, seine Geschichte offen zu erzählen: Von Anfang an ist klar, dass beide ein Paar werden. Aber weil beide einander auch nicht alles verraten, schleicht sich früh ein verlogener und melancholischer Zug in dieses Verhältnis.
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»Cold War« vom Polen Pawel Pawlikowski, der mit »Ida« 2015 den Auslandsoscar gewann, erzählt die Geschichte einer Amour Fou, die sich über 20 Jahre erstreckt. Einerseits handelt der an das Leben von Pawlikowskis Eltern angelehnte Film damit wortwörtlich vom Kalten Krieg, andererseits aber von Viktor, der irgendwann in den Westen flieht, um seinem Traum nachzugehen, Komponist zu werden und der Sängerin Zula.
Stilistisch erzählt der Regisseur in außergewöhnlich
stilisiertem Schwarz-Weiß und dem strengen »klassischen« Bildformat von 4:3. Dies ist ein durch und durch humorloser Film, der sich selbst sehr ernst nimmt. Die Liebesgeschichte bleibt trocken, und diese sehr distanzierte Amour Fou behauptet.
Alles in allem fügt sich »Cold War« den Konventionen des Kunstkinos und einer osteuropäischen Political Correctness. Nach der gibt es kein schönes Leben im falschen, und weil der Kommunismus einfach ohne jede Schattierung grundböse ist, muss jede Liebe zugrunde gehen. Weil aber auch der westliche Lebensstil als ein Verrat an den Werten der europäischen Hochkultur behauptet wird, denunziert dieser Film auch das Paris der 50er Jahre trotz aller Faszination für Jazzmusik in
verrauchten Existentialistenbars als Ausverkauf der wahren Werte an Dekadenz und Amoral.
Der Regisseur spielt hier mit dem Film Noir, aber vor allem mit dessen Äußerlichkeiten. Und immer wieder kommt es zum Liebesverrat, vor allem durch die kapriziöse Zula. Sie hat Viktor schon für die KP bespitzelt, jetzt betrügt sie ihn mit seinem Auftraggeber. Irgendwann streitet man sich nur noch, Seelenschmerz macht unvernünftig und ausgeträumte Träume ballen sich zu dunklen Wolken. Also
verlässt sie ihn, reist zurück nach Polen und heiratet ihren Geheimdienstoffizier. Bald darauf reist er ihr hinterher...
Auch in diesem Abschied von Paris ist der Film ein Gegenbild zu »Casablanca«. Dort wird Liebe ewig, weil sie mit der Politik einhergeht, in ihr aufgehoben wird. Rick und Ilsa bleibt immer Paris. Viktor, der nur dem Namen nach ein Sieger ist und Zula haben nichts außer ihrer melancholischen, verlogenen, irren, für jeden Dritten unverständlichen Liebe. Sie besteht über die Grenzen hinweg – aber sonst haben sie alles verloren. Auch Paris bleibt ihnen nicht.
In der letzten Viertelstunde des Films muss das Paar darum in Polen erst einmal für ein paar Jahre in den Gulag. Als sie endlich heraus kommen, bringen sie sich zusammen um. Das aber bitte erst nach einer gutkatholischen Hochzeit.
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Ist das nun eine gefühlvolle Elegie, eine subtile Metapher auf das Leiden der Individuen im großen Weltendrama? Oder vielleicht doch die übliche Miesepetrigkeit des osteuropäischen Kinos, wo nach wie vor sehr viele Filme, die man vor 1989 nicht machen durfte, gewissermaßen nachträglich gedreht werden? Verbunden mit jenem Selbstmitleid, wie es vor allem für die mittlere Generation des polnischen Kinos typisch ist. Auch in Ungarn und in Rußland werden gern solche schwerblütigen, bedeutungsschweren Metaphern-Dramen gedreht, während Filme aus den ex-jugowslawischen Ländern und aus Rumänien demgegenüber viel moderner wirken.
Mir scheint Cold War vor allem extrem reaktionär. Ein Spiegelbild der Situation im aktuellen Polen, wo alles Liberale, alles Zukunftsweisende in Bedrängnis und auf dem Rückzug ist, man sich – wie dieser Film – der Vergangenheit zuwendet, ihr Bild – wie in diesem Film – glattpoliert wird: Ein Polen, in dem es keine Kollaborateure mehr und keine Antisemiten gibt, keine humanen Sympathisanten des Kommunismus, sondern nur Verräter und Melancholiker, hässliche KP-Parteigänger, wo die schönen Menschen alle katholisch sind und unter den bösen Roten leiden, und die Roten alle hässlich. So ist Cold War ein Fall von Gegenaufklärung.
Ohne Frage ist Cold War gekonnt inszeniert. Das erklärt noch am besten die erstaunliche Tatsache, auf wie viel Gegenliebe dieses doch auch recht eitle Konzept-Kunst stößt. Beim Europäischen Filmpreis wurde Cold War mehrfach nominiert, und dürfte in drei Wochen kaum leer ausgehen. Aber auch diese Nominierungen spiegeln nur die allgemeine Tendenz, die Signatur unseres Zeitalters, deren Zeuge wir gerade in Europa werden.