The Danish Girl

GB/D/USA 2015 · 120 min. · FSK: ab 6
Regie: Tom Hooper
Drehbuch:
Kamera: Danny Cohen
Darsteller: Eddie Redmayne, Alicia Vikander, Matthias Schoenaerts, Ben Whishaw, Amber Heard u.a.
Vom hässlichen Entlein… zum verletzlichen Schwan…

Süßer die Streicher nie klingen

Natur­auf­nahmen einer wilden, nordi­schen Küsten­land­schaft gehen in eine Gemälde über, das, dem Natu­ra­lismus noch verhaftet, diesen schon über­schreitet. Das Bild hängt auf einer Ausstel­lungs­eröff­nung in Kopen­hagen im Jahr 1926. Es stammt von Einar Wegener, einem aufstre­benden jungen Maler in der progres­siven skan­di­na­vi­schen Kunst-Szene.

Die folgende Handlung wird aber eher aus der Perspek­tive seiner Frau Greta erzählt: Die ist ebenfalls Malerin, und zunächst glaubt man, es ginge hier um den Kampf einer jungen Künst­lerin, die begabter ist als ihr Gatte, um Aner­ken­nung und Gleich­be­rech­ti­gung. Doch das anfangs nur exzen­trisch wirkende Verhalten des Mannes wird immer merk­wür­diger, bis der Zuschauer schließ­lich begreift: Einar posiert nicht nur gern nackt vor dem Spiegel, schminkt sich und zieht die Kleider seiner Ehefrau an – er möchte selbst zur Frau werden.
Der Drang, dies auch öffent­lich auszu­leben, wird immer unwi­der­steh­li­cher, und so nennt sich Einar bald Lili, und besucht als »Einars Cousine Lili« in Beglei­tung von Greta Cock­tail­partys, Thea­ter­pre­mieren und die Cafés von Kopen­hagen. Zugleich malt Gerda Einar in Frau­en­klei­dern und hat mit dieser Bilder­serie plötzlich uner­war­teten Erfolg. Die »Lili-Bilder« verkaufen sich glänzend, und Greta wird sogar in der Avant­garde-Hochburg Paris zum Star der Saison.

Im Folgenden erzählt der Film von den – immer wieder schei­ternden – Versuchen Einars, als Frau Lili anerkannt zu werden. Cross­dres­sing genügt ihm/ihr nicht. Einar will »komplett« zur Frau werden, ein Unter­fangen, das um 1930 noch unmöglich war, dann aber in die weltweit aller­erste Geschlechts­um­wand­lung der Medi­zin­ge­schichte mündet. Sie wurde 1930 in Dresden vom Gynä­ko­logen Kurt Warnekros durch­ge­führt. Eine solche Operation überhaupt zu versuchen, war bereits ein revo­lu­ti­onärer Ansatz – in Zeiten, in denen man Trans­gender-Patienten eher wegen Shizo­phrenie behan­delte, ihnen eine Psycho­ana­lyse verschrieb oder gar Löcher in den Schädel bohrte.

Der Ehe tut all das erwar­tungs­gemäß trotzdem nicht gut: Gerda will den Mann wieder­haben, Einar mal zur Frau werden, mal ein guter Gatte sein – er wirkt im Film so eher wie eine multiple Persön­lich­keit denn wie eine Frau im Männer­körper. Alicia Vikander bietet ein bewe­gendes und einfühl­sames Portrait der Ehefrau, Eddie Redmayne eine allemal sportlich über­zeu­gende Leistung als Mann in Jugend­stil­sei­den­roben, fein­be­stickten Unter­rö­cken und enge Frau­en­reit­s­tie­feln.

Wer vorher gar nichts über diese auf tatsäch­li­chen histo­ri­schen Gescheh­nissen beruhende Geschichte weiß und auch David Ebers­hoffs Roman nicht kennt, der The Danish Girl die Vorlage liefert, ist mit dem Film am besten bedient. Denn der Brite Tom Hooper, der in seinem Welt­erfolg The King’s Speech und auch zuvor in The Damned United und anderen Filmen histo­ri­sche Ereig­nisse so weit als möglich akkurat auf die Leinwand gebracht hat, nimmt sich in diesem Fall alle Frei­heiten des Spiel­films. Dazu gehören marginale Details wie, dass Greta nicht so hieß, sondern Gerda. Dass der Film Einar unter­stellt, seine weibliche Seite erst allmäh­lich entdeckt zu haben. Tatsäch­lich fühlte sich der histo­ri­sche Einar Wegener immer als Frau, die in einem Männer­körper gefangen ist. So war die Ehe mit Gerda auch nie eine Liebes­heirat, sondern eine offene Scheinehe. Die reale Gerda pflegte lesbische Liebes­be­zie­hungen, die Anfang des 20. Jahr­hun­derts kaum aner­kannter waren.

Schwerer wiegt, dass der Film Ereig­nisse, die tatsäch­lich zwischen 1900 und 1912 geschahen (da zog das Paar nach Paris) völlig grundlos in die späten zwanziger Jahre verlegt. Die wirken dadurch reak­ti­onär und borniert, nicht so liberal und offen, wie sie tatsäch­lich waren.
So beginnt The Danish Girl als normal-senti­men­tales, bieder erzähltes Melodram, wird aber dann mehr und mehr zu einer verfäl­schenden, schön­fär­be­ri­schen, satten Schmon­zette, die voll­kommen auf die Erwar­tungen des ameri­ka­ni­schen Massen­pu­bli­kums ausge­richtet ist und sein Thema ausbeutet. Dies ist auch wieder so ein Film, der rein ein »wichtiges« Topic bebildert, ohne sich um Film­sprache auch nur zu inter­es­sieren. Die Zärt­lich­keit und die Gesten der Darsteller sind in keiner Sekunde 90 Jahre alt, sie stammen von heute. Endgültig ruiniert wird der Film dann durch das kitsch­trop­fende Geklimper und die tiefenden Salven von Alexandre Desplats Strei­chern.