Frankreich/Senegal 2024 · 71 min. · FSK: ab 0 Regie: Mati Diop Drehbuch: Mati Diop Kamera: Josephine Drouin Viallard Schnitt: Gabriel Gonzalez |
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Artefakt 26 in neuen Räumen, doch dem kolonialen Diskurs nicht entkommen... | ||
(Foto: Les Films du Bal – Fanta Sy) |
The slave trade is the ruling principle of my people. It is the source and the glory of their wealth… the mother lulls the child to sleep with notes of triumph over an enemy reduced to slavery – King Ghezo in: Martin Meredith (2014), The Fortunes of Africa. New York: PublicAffairs
Jury-Entscheidungen sind selten eine einhellige Sache. So ist es sehr oft nicht unbedingt der beste Film, der gewinnt, sondern der beste Kompromiss. Im Fall von Mati Diops Restitutions-Dokumentation Dahomey müssen die Verwerfungen zwischen den Jury-Mitgliedern allerdings schon besonders groß gewesen sein, um zumindest den mit 67 Minuten kürzesten Film im Wettbewerb als besten Film zu prämieren.
Dabei nimmt sich Diop mit Dahomey eines in den letzten Jahren immer relevanter werdenden Themas an, das der Restitution von in Kolonialzeiten entwendeten Ritual- und Kunstartefakten – in diesem Fall die im Jahr 2021 erfolgte Rückführung von 26 Benin-Bronzen aus Pariser Museumsbeständen; ähnliche Kontingente gibt es auch in den USA und Deutschland, das sich inzwischen so wie Frankreich zu einer Rückgabe der Bronzen entschieden hat.
Wie schon in ihrem preisgekrönten Film Atlantique sind auch in Diops Dokumentation über die Zurückführung der Kunstschätze des Königreichs Dahomey in das heutige Benin Geister am Werk, ist auch hier die Überquerung des großen Wassers ein Heilsversprechen. Nur halt in anderer Richtung. Diops Film zerfällt dementsprechend in zwei Teile. Im ersten wird die Verpackung im Musée Quai Branly und die Verschiffung der rituellen Gegenstände begleitet, dabei rückt vor allem Artefakt 26, eine Statue von König Ghezo, ins Zentrum, die über ein elektronisch verzerrtes Voiceover des haitianischen Schriftstellers Makenzy Orcel von der Zeit in den dunklen Kellern des Pariser Museums, von seinen Erinnerungen an Afrika und von seinen Gedanken bei der Rückkehr in seine Heimat erzählt. Diese so pathetisch wie dann auch inhaltlich platte Spracheinlage, mit der Diop möglicherweise den atlantischen Dreieckshandel damaliger Zeiten thematisieren will, ärgert vor allem auch deshalb, weil sie Ghezo zwar folkloristisch schwurbeln lässt, dabei aber die durchaus ambivalente Rolle Ghezos im damaligen Sklavenhandel nicht einmal in Ansätzen aufgreift.
Die Differenzierung, die hier wünschenswert gewesen wäre, nimmt Diop dann jedoch im zweiten Teil ihres Films auf, der die Ausstellung der Artefakte im Präsidentenpalast von Benin City zeigt und dann endlich die Nachfahren der alten Geister zu Wort kommen lässt, die Studenten der Universität von Abomey-Calavi, die in einer von Diop und ihrem Regieassistenten Gildas Adannou geleiteten Debatte über den Sinn der Zurückführungen, die dahinter stehende Symbolpolitik Macrons und die Querelen um die Sichtbarmachung der Artefakte – wie etwa sollen sich Schüler vom Land diesen Besuch leisten? – ringen. Dieser wirkliche Höhepunkt in Diops Film macht dann auch verständlich, was in Europa kaum einer mehr versteht: dass Kulturerbe immer auch ein unschätzbarer Motor kultureller Identität und wirklicher Unabhängigkeit ist.
Doch auch hier, im stärksten Teil von Dahomey, macht sich die inhaltliche Kürze und auch stilistische Nachlässigkeit der Produktion bemerkbar – die idealerweise in einem Arte-Themenschwerpunkt gezeigt werden könnte – denn was hätte hier besser passen können, als sowohl die bis heute koloniale Perspektive des Westens im Vorfeld der Restitutionen anzudeuten als auch die überraschende Kritik aus den vermeintlich eigenen Reihen, der Restitution Study Group, die dem Rückführungsprozedere vorwarf, die mit dem »Blutgeld« der Sklaven hergestellten Statuen an die Nachfahren der Sklavenhändler zu überführen statt sie in den neuen Heimaten der Nachfahren eben dieser Sklaven zu belassen. Ein Film der verpassten Chancen und schnöden, künstlerischen Symbolpolitik.