Island/N 2012 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Baltasar Kormákur Drehbuch: Baltasar Kormákur, Jón Atli Jónasson Kamera: Bergsteinn Björgúlfsson Darsteller: Ólafur Darri Ólafsson, Jóhann G. Jóhansson, Þorbjörg Helga Þorgilsdóttir, Theodór Júlíusson u.a. |
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Mannshohe Wellen |
Die Fischer der Westmännerinseln müssen ein anderer Menschenschlag sein. Das wird einem von Anfang an klar. Wie die Seemänner bei klirrender Kälte in Hemd und Jacke auf ihrer Insel Feste feiern, wie knochentrocken ihnen die Sprüche von der Zunge gehen und wie schnell ihre Fäuste reagieren; anschließend geht man mit dröhnendem Kopf auf See. Dem Zuschauer sitzt die Kälte bereits im Körper. Die Gischt, die mannshoch gegen das ausfahrende Schiff schlägt, scheint verdammt nah zu sein. Einer der Männer, die an Bord gehen, ist der Fischer Gulli.
Regisseur Baltasar Kormákur (101 Reykjavik) setzt das Drama The Deep bildgewaltig in Szene. Mit düsteren Aufnahmen, einem prägnanten Sound. Minutiös erzählt Kormákur die Geschichte des Fischers, der 1984 nach Kentern seines Schiffes stundenlang im eiskalten Wasser schwimmt und als einziger überlebt. Gulli, um den anschließend Presse und Wissenschaft scharwenzeln, erweist sich als Anti-Held (Ólafur Darri Ólafsson spielt kongenial eben dieser Fischer) – und er wird dennoch zum Mythos.
In jedem Bild von The Deep ist Kormákurs Liebe zum Meer und den dort lebenden Menschen zu spüren. Es gibt schier überwältigende Naturaufnahmen. Dennoch hätte man sich weniger Pathos, weniger Wolfgang-Petersen-Gehabe gewünscht. Das hätte die Geschichte gut verkraftet. Und neben dem Wunder, der Tragödie? Da schlägt Kormákur leise Töne an. En passant wirft er Fragen nach Wirklichkeit und Fiktion auf. Was vermag ein Film gegenüber solch einen Mythos zu sagen? Hat er die geeigneten Mittel, um diese reale Begebenheit aus dem Jahr 1984 adäquat wiederzugeben? In dieser Hinsicht spielt Kormákur mit verschiedenen Stilmittel, insbesondere Super-8-Aufnahmen. Er baut Szenen ein, wo man nicht einschätzen kann, ob sich das real so abgespielt hat oder abgespielt haben kann. Etwa wenn Kormákur von einem Vulkanausbruch auf den Westmännerinseln berichtet. In solchen Szenen blitzten unerwartet mythische Momente in The Deep auf, dann wird die Tragödie weitmöglichst real weiter erzählt. Im Abspann schließlich werden Original-Aufnahmen eingespielt, wie Gulli einem Reporter unprätenziös Interviews gibt und er sich im Namen der Wissenschaft auf einem Fahrrad abstramplet. Das vergleicht man damit dem soeben Gesehen – und The Deep hält diesen Original-Aufnahmen erstaunlich gut stand.