Frankreich 2014 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: David Oelhoffen Drehbuchvorlage: Albert Camus Drehbuch: David Oelhoffen Kamera: Guillaume Deffontaines Darsteller: Viggo Mortensen, Reda Kateb, Angela Molina, Djemel Barek, Vincent Martin u.a. |
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Wüstenpoesie, die Waffen sprechen lässt |
Ein Western, der in Nordafrika spielt – klingt ungewöhnlich, funktioniert aber erstaunlich gut, wie David Oelhoffens neueste Regiearbeit Den Menschen so fern beweist, die kürzlich das Münchener Filmfest eröffnete. Bereits 2014 war das auf einer Kurzgeschichte des Philosophen Albert Camus basierende Wüstendrama im Wettbewerb von Venedig zu sehen, wo es drei Preise und reichlich Kritikerlob erhielt. Berechtigt sind die wohlwollenden Reaktionen allemal, da es Oelhoffen fast durchweg gelingt, visuelle Ausdruckskraft mit überzeugenden Schauspielerleistungen und existenzialistischen Fragestellungen zu verbinden.
Schon der eröffnende Kameraschwenk über eine zerklüftete, staubige Landschaft macht dem vielsagenden Filmtitel alle Ehre. Wir befinden uns am Rande des algerischen Atlasgebirges und erblicken in einem Tal ein kleines Schulhaus, das mitten ins Nirgendwo hineingeschleudert scheint. Hier, fernab anderer Zivilisationsspuren, wohnt und arbeitet der Lehrer Daru (Viggo Mortensen) im Jahr 1954. Zu einer Zeit also, da in der französischen Kolonie Algerien handfeste Unabhängigkeitsforderungen aufkommen und gewaltsame Auseinandersetzungen nicht mehr abzuwenden sind.
Oelhoffens Drehbuch zeichnet den Lehrer zunächst eher rudimentär, stellt ihn als zurückgezogen lebenden Menschen vor, der klare Prinzipien verfolgt. Was spätestens dann deutlich wird, als ein Gendarm mit einem Auftrag der Obrigkeit und einem Gefangenen im Schlepptau bei ihm erscheint: Daru soll den arabischen Bauern Mohamed (Reda Kateb), dem ein Mord zur Last gelegt wird, in die nächste Stadt eskortieren, wo den Delinquenten seine Verurteilung erwartet. Da der Protagonist bloß die Kinder der Umgebung unterrichten, ansonsten aber unbehelligt bleiben will, weigert er sich vehement, den Befehl auszuführen. Und doch bleibt der Täter über Nacht in seiner Obhut zurück. Als am nächsten Morgen die Schule von den rachsüchtigen Angehörigen des Mordopfers angegriffen wird und Mohamed inständig darum bittet, an die französischen Behörden ausgeliefert zu werden, gibt der Lehrer schließlich nach.
Was folgt, ist ein beschwerlicher Marsch durch das gebirgige und sandige Terrain, der einige dramatische Wendepunkte bereithält und die Beziehung der beiden Männer um neue Facetten bereichert. Ist Daru anfangs noch reserviert und verschlossen, kommt es mit der Zeit zu aufrichtigen Gesprächen, die überraschende Berührungspunkte erkennen lassen. Auch wenn der Lehrer für die Kolonialmacht arbeitet und früher in der französischen Armee gedient hat, ist die Frage der Identität alles andere als leicht zu beantworten. Vielmehr entpuppt er sich als innerlich zerrissener Grenzgänger, der mit den Forderungen der Algerier sympathisiert, für gewaltsame Auseinandersetzungen allerdings nichts mehr übrig hat. Oelhoffen formuliert den Standpunkt seines Protagonisten explizit, als Daru und Mohamed in die Hände von Rebellen geraten. Für den ehemaligen Soldaten zählt im Kampf um Selbstbestimmung nur der Weg der Bildung: Die Mädchen und Jungen sollen schreiben und lesen lernen, um sich aus ihrer Unterdrückung befreien zu können. Eine sicherlich idealistische Haltung, die man der Figur jedoch sofort abkauft, wenn man an die engagierten Unterrichtsmomente vom Filmbeginn zurückdenkt.
Näher beleuchtet wird auch das Innenleben Mohameds, den Daru anfangs noch als ehrenlosen Feigling beschimpft. Seine Tat ist, wie sich herausstellt, nicht auf Niedertracht zurückzuführen. Und sein Wunsch, von den Franzosen verurteilt zu werden, hat einen bemerkenswerten Grund, mit dem das humanistisch geprägte Drama einmal mehr die Sinnlosigkeit von Gewalt- und Racheakten unterstreicht.
Wie ein klassischer Westernstoff wirkt Den Menschen so fern nicht nur wegen seiner Figurenkonstellation, seiner Kolonialthematik und seiner Plot-Bausteine. Auch und vor allem die optische Gestaltung fällt bewusst ikonisch aus. Immer wieder zeigt uns Kameramann Guillaume Deffontaines wuchtige Bilder der kargen Wüstengegend (gedreht wurde in Marokko), in denen die beiden Wanderer nur als kleine Punkte in einem Meer aus Brauntönen auszumachen sind. Menschen, die vor einer trostlosen Naturkulisse fast verschwinden und daher bisweilen wie Spielbälle einer höheren Macht erscheinen. Kontrastiert werden die imposanten Panoramaaufnahmen mit nahen Einstellungen, die bevorzugt dann zum Einsatz kommen, wenn sich Daru und Mohamed freundschaftlich annähern. Unterlegt ist das Ganze mit der minimalistischen Filmmusik von Nick Cave und Warren Ellis, die billige sentimentale Anflüge konsequent umgeht.
Zu den Stärken dieses leisen, aber fesselnden Films, der erst auf der Zielgerade erzählerisch ein wenig ins Straucheln kommt, gehören auch die beiden Hauptdarsteller, deren Zusammenspiel jederzeit natürlich wirkt. Besonders hervorheben muss man Viggo Mortensen, der die Blockbuster-Bühne seit seinen Auftritten in Der Herr der Ringe: nur noch selten betritt und stattdessen eigenwillige Charakterrollen übernimmt. Für David Oelhoffens Westerndrama bietet das markante Gesicht des dänisch-amerikanischen Mimen eine vortreffliche Projektionsfläche. Und überdies präsentiert sich Mortensen als talentierter Sprachjongleur, der behände zwischen französischen, arabischen und spanischen Dialogzeilen wechselt.