Deutschland 2020 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Eric Friedler, Andreas Frege Drehbuch: Eric Friedler Kamera: Thomas Schäfer, James Stolz, Marian Engel Schnitt: Andrea Schröder-Jahn |
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Dreharbeiten zu Land of Plenty | ||
(Foto: 24 Bilder) |
Er ist einer der wichtigsten lebenden deutschen Filmregisseure, schuf Meilensteine des deutschen Kinos – und war doch nie unumstritten: Wim Wenders, der an diesem Freitag, dem 14. August, seinen 75. Geburtstag feiert.
Der Dokumentarfilm Wim Wenders, Desperado, gedreht von Eric Friedler und dem Musiker Campino unter seinem bürgerlichen Namen Andreas Frege, präsentiert jetzt auf fast zwei Stunden Länge viele Vignetten aus Wenders' Schaffen –
und eine Unmenge Interviews mit sogenannten Weggefährten.
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Was ist ein »Desperado«? Laut Wikipedia bedeutet das aus dem Spanischen kommende Wort »verzweifelt«, »hoffnungslos«, aber auch »verwegen«, »tollkühn« und »ungeduldig«, und bezeichnet im engeren Sinne das Mitglied einer sich außerhalb jeglicher Gesetze stellenden Gruppe, die in der Regel extreme politische und umstürzlerische Absichten verfolgt. Einen anomistischen oder anarchistischen Extremisten, einen Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat und entsprechend rücksichtslos handelt.
Was bitte hat Wim Wenders mit diesem Begriff zu tun?
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Wenn man einmal, in vielen Jahren, auf das Werk von Wim Wenders zurückblicken wird, dann wird dieser Film bleiben, wie kein anderer: Alice in den Städten. Wim Wenders' Road-Movie aus dem Jahr 1974 ist großartig, und es gibt sehr wenig, was daran auszusetzen wäre.
Hier ist alles schon vorhanden. Alles was Wenders' Werk bedeutend und wichtig macht, was es einerseits als Porträt und Spiegel einer ganz bestimmten Generation erscheinen lässt, was gleichzeitig hier schon über den Neuen Deutschen Film und seine Problemfilmkonstellationen hinausgeht, alles dies weiterentwickelt, zugleich aber auch spätere Grenzen und Scheitern.
Hier schon trifft man die archetypischen Figuren von Wenders' Filmen: Das Kind als Inbegriff von Unschuld, das gleichzeitig weise und älter ist, als alle Erwachsenen. Das Fragen stellt. Wieso weshalb warum, wer nicht fragt, bleibt dumm.
Und dann die jungen Männer, die immer irgendeine Kamera vor der Nase haben und die erwachsen sein sollen, dies aber nicht sind: Unreif, suchend, mit Deutschland hadernd. Diese jungen Männer, die aufbrechen wollen in die Welt, und die auch wissen,
wohin, nämlich nach Amerika, aber nicht wissen, wozu. Die unpolitisch sind, in deren Denken der Osten und der Kalte Krieg nicht vorkommen, nicht die Revolution.
Melancholisch gedämpft, traurig, scheiternd. Träumer, die genau der Generation angehören, die nach dem Krieg nie wirkliche Probleme gehabt hat, außer denen, die sie sich selber gemacht haben, und die auch durch die Revolution der 60er und den Hedonismus der 70er Jahre nicht geschädigt wurden.
Alice in den Städten ist ein Kristall in der deutschen Filmgeschichte – strahlend wie am ersten Tag.
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Was sonst von Wim Wenders wirklich bleiben wird, das ist auch in der Woche seines 75. Geburtstags schwer zu sagen.
»Ich würde einem 18-jährigen Filmstudenten sagen: Wenn du Filme machen willst, schau dir Wims Filme an, du Depp!!« – wer hier wirklich der Depp ist, das ist noch die Frage. Aber mit einer derartigen autoritären Geste, die inzwischen auch vielen Alt-68ern eigen ist, kommt man nicht weit – selbst wenn man wie in diesem Fall Werner Herzog heißt.
Und auch wenn es natürlich immer schön ist, einem wie Herzog zuzuhören, sogar wenn so einer plötzlich seine Wertschätzung und
Sympathie für Wim Wenders entdeckt, mit dem er außer der Gemeinsamkeit der Generation ja nie viel zu tun hatte, als Filmemacher oder als Mensch, dann ist das schön.
Vielleicht ist dieser Satz, der ganz zu Beginn des Films fällt, aber trotzdem verräterisch in dem Misston, den er anschlägt: Autoritär, keinen Zweifel zulassend. Auf die Nachkommenden, die 18-jährigen Deppen herabblickend. Oder, wenn man den Satz anders zu verstehen hat, dann sich selbst Überzeugungskraft zusprechend. Er glaubt nicht, was er sagt, aber er sagt es mit Entschiedenheit.
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Der Dokumentarfilm Wim Wenders, Desperado scheitert – falls er überhaupt versucht hat, ein unparteiisches, abgewogenes, ansatzweise analytisches Portrait des Filmemachers zu sein.
Viel eher ähnelt alles einer unkritischen Fan-Boy-Arbeit, ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, dass auch Wenders selbst, der hier in unzähligen Selbstkommentaren präsent ist, um keine Eitelkeit verlegen ist: Er stolziert auf den Kulissen seiner Filmfiguren diesen hinterher, er bildet den Mittelpunkt, um den seine Frau Donata wortwörtlich herumtanzt, und er deutet seine Vergangenheit da, wo ihm andere widersprechen.
Francis Ford Coppola zum Beispiel. Der Italoamerikaner war Wenders' Produzent, bei seinem, nach eigener Ansicht, missglücktesten Film: Hammett.
Und mit gerade in diesem Film beispiellosem Understatement packt Coppola, sardonisch lächelnd alles, die ganze Problematik dieses Films und vielleicht sogar dieses Filmemachers in einen einzigen Satz:
»How do you say: 'Cherchez la femme'
in German? It’s as simple as that!«
Lang und breit, viel zu lange und viel zu breit, geht es um dieses doppelte amerikanische Abenteuer – einfach weil die Macher es offenbar cool fanden, dass man hier Streit inszenieren konnte, und ihnen der wirklich große Coppola ein Interview gab.
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Ansonsten erlebt man auf zwei Stunden viele unkritisch redende Köpfe, viel Namedropping, zu dem Wenders selbst einen großen Hang hat – immer wieder »der Jim« und »der John«, »der Bob« und »der Neil« – und so auch dieser Film: Keiner darf da fehlen, der noch lebt und irgendetwas mit Wenders' Filmen zu tun hat, auch wenn sich einige offenkundig versagt haben. Ich hätte es ja interessanter gefunden, von Alexander Kluge, Volker Schlöndorff oder von Margarethe von Trotta etwas über Wenders zu hören, also von jenen Filmemachern, die mit ihm zwar einen gemeinsamen Weg gegangen sind, bei denen die Distanz aber offensichtlich größer ist. Nur: Analyse, ernsthafte Auseinandersetzung, Intellektualität interessieren die Filmemacher noch viel weniger, als Wenders selbst. So hat man hier ein Klassentreffen der Freunde der Freunde und all derjenigen, die vielleicht gar nicht so viel zu sagen haben, weil sich ihr Weg auch nur ein einziges Mal gekreuzt hat: Erika Pluhar, Amanda Plummer, Willem Dafoe, Agnes Godard, Ed Lachman, Andie MacDowell, Rüdiger Vogler, Patti Smith, Hanns Zischler.
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Hinzu kommt der Verzicht auf alle wirklich interessanten Fragen: Etwa, was die einstige Faszination von Wenders' Filmen ausmachte? Etwa, wie es zur Wendung zu den konservativen Erzählweisen kam? Etwa, wer denn irgendwo im Gegenwartskino von Wim Wenders beeinflusst wäre? Und wie?
Vor allem aber wird nicht nachgefragt, wenn Donata Wenders selbst erzählt, dass ihr Mann mit seinen Spielfilmen der letzten 15 Jahr nicht recht zufrieden sei, weil die Produktionsbedingungen Wenders' suchende Arbeitsweise nicht mehr zulassen, seine poetische Freiheit töten.
Gewiss: Es wird manche Wenders-Fans geben, die hier gewissermaßen gemeinsam mit den Machern die Fan-Schachtel aufmachen und alle möglichen Utensilien aus ihr hervorziehen, den Staub abklopfen, sie nach Jahren noch einmal betrachten und sich für einige Momente jung fühlen.
Dies ist aber, leider muss man das so feststellen, ein schlechter Film.
Was bleibt, ist ein überraschend melancholischer Wenders, der weiter Filme macht, dessen Werk aber längst hinter ihm liegt. Und der 40 Jahre später seine eigenen Fragen aus dem Essayfilm Chambre 666 selbst beantwortet und zwar abgrundtief und allzu pessimistisch.