DK/F/D/GB 2004 · 105 min. · FSK: ab 18 Regie: Thomas Vinterberg Drehbuch: Lars von Trier Kamera: Anthony Dod Mantle Darsteller: Jamie Bell, Bill Pullman, Allison Pill, Michael Angarano, Novella Nelson u.a. |
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Wilder Westen |
»Liebe Wendy« – so könnte ein Tagebucheintrag anfangen oder ein Liebesfilm. Aber Wendy, die beste Freundin von Dick (Jamie »Billy Elliot« Bell), einem Teenager aus einem heruntergekommenen US-Bergwerkskaff, ist eine Geliebte besonderer Art: Ein kleiner Revolver.
Eigentlich ist Dick – sprechender Name übrigens – Pazifist, aber ein paar Schießübungen in einer der stillgelegten Minen können natürlich trotzdem nicht schaden. Bald gründen er und seine besten Freunde – ein Mädchen, Susan, ist auch dabei –, sämtlich Loser-Typen, die Dicks Leidenschaft teilen, weil die Waffen ihnen fehlendes Selbstbewusstsein geben, einen Club, in dem sie sich »Dandys« nennen, wunderschöne Klamotten anziehen, ihre Schusswaffen, skurrile, etwas pubertäre Rituale, und natürlich auch ihren Pazifismus pflegen. Die Waffen dürfen nämlich nicht gegen Menschen gerichtet werden. Natürlich passiert das irgendwann doch
Das Drehbuch zu Dear Wendy, dem neuen Film von Thomas Vinterberg (Das Fest) stammt von Lars von Trier. Auf den ersten Blick wirkt der Film wie eine jener Allegorien auf die Vereinigten Staaten, für die von Trier bekannt ist, erinnert auch durch den betont künstlichen Set, die grundsätzliche Theater- und Bühnenhaftigkeit und das Voice-Over an Dogville. In dieser Form ist dies ein Gegenwartswestern und Portrait einer Gruppe von Jugendlichen, die sich zwischen Wirklichkeit und Phantasie entscheiden muss – und entschlossen letztere wählt.
Das Motiv des Leidens an der Welt und der Flucht aus ihr mischt sich mit dem des Dandyismus, der – recht zeitgemäßen – ästhetizistischen Selbstinszenierung, die eigentlich auch nur eine andere Form der Distanz zur Welt ist. Vinterberg erweist sich damit endgültig als ein großer Romantiker des Kinos, der von guter Pop-Musik – Lieder von The Zombies – untermalt, den Geist des Dandyismus und die dazu gehörende Stilisierung zelebriert, alte Kinostile beschwört, um in ihnen etwas ganz Zeitgemäßes zu erzählen. Dieses Zeitgemäße ist die Geschichte hinter der Geschichte: Der Aufschrei einsamer junger Menschen, die sich nicht integrieren wollen, dazu die Enttäuschung und der Frust jeder Jugendzeit. Es gibt eine feine, aber klare Verbindung zwischen dem Dandytum dieser Kids und den Tätern von Columbine – dies ist es, das von Trier an dem Stoff vor allem interessiert haben dürfte. Zugleich kann man den rebellischen Geist dieser Figuren lieben, ihren Gemeinschaftssinn – und ihre Traurigkeit.
Am Ende verzichtet der Film auf die Entscheidung zwischen dem zynischen Moralismus von Triers und der Liebe Vinterbergs zum Kino und den Ideen Amerikas und feiert die Widersprüchlichkeit seiner »Pazifisten mit Pistolen«, der Kombination von Waffen-Fetischismus, Coming-of-Age, Freundschaft und Hoffnungslosigkeit...
Dass nun ausgerechnet dies von der deutschen FSK im Gegensatz zum Rest der Welt mit dem Prädikat »nur ab 18« bezeichnet wurde, ist albern und durch die Bilder nicht zu rechtfertigen. Hier soll offenbar die Gesinnung der Story – die Entscheidung für die Moral der Phantasie, gegen die Moral der Anpassung – abgestraft werden. Das hat Dear Wendy nicht verdient.