USA 2024 · 128 min. · FSK: ab 16 Regie: Shawn Levy Drehbuch: Rhett Reese, Paul Wernick, Ryan Reynolds, Zeb Wells, Shawn Levy Kamera: George Richmond Darsteller: Ryan Reynolds, Hugh Jackman, Emma Corrin, Morena Baccarin, Rob Delaney u.a. |
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Buddy-Movie & Heldenbegräbnis | ||
(Foto: Disney) |
They took your credit for your second symphony
Rewritten by machines and new technology
And now I understand the problems you can see
Oh, ah, oh
– The Buggles, Video Killed Radio Star
Wer sich an die ersten beiden Teile um Deadpool erinnert, Tim Millers Deadpool (2016) und David Leitchs Deadpool 2 (2018), dürfte vor allem an die völlig fehlende Moral des von Ryan Reynolds dargestellten Helden denken. Obwohl das natürlich nicht ganz stimmt, bewies Deadpool doch zumindest im privaten einen fast schon symbiotisch-kindhaften Zug, wenn es um Ziehmütter, die Freundin und Freunde ging. Doch außer Haus war Deadpool der klassische Systemsprenger, der sich weder um ein Team noch Gerechtigkeit scherte und wenn es nicht um das für Marvelfilme sehr unübliche, explizit blutige physische Töten ging, dann laberte er jeden, der ihm über den Weg lief, in babbelnden Plapperspiralen regelrecht tot.
Das hob sich derartig erfrischend von den etablierten und saturierten Reihen des Marvel Cinematic Universe (MCU) ab, dass es nicht sonderlich überraschte, dass mit der Übernahme der 21. Century Fox durch Walt Disney im März 2019 zwar alle laufenden Fox-Produktionen zu X-Men und den Fantastic Four gestoppt wurden, Deadpool aber weitergeführt werden sollte.
Diese Vorgeschichte um Rechte und Reihen sei auch nur deshalb erwähnt, weil sie auch unter Shawn Levys Regie in Deadpool & Wolverine eine Rolle spielt, immer wieder Seitenhiebe auf die katastrophale Kommerzialisierung ausgeteilt werden und sogar als V-Effekt ganz im Sinne von Bertolt Brecht in die an sich schon erratische Handlung integriert werden. Dazu gehört dann auch an einer Stelle ein im Wüstensand erodierendes plastisches 21. Century Fox-Logo, so wie wir es aus hunderten Filmanfängen kennen.
Damit wird sehr schnell deutlich, dass es sich bei Deadpool & Wolverine nicht um die einfache Fortsetzung eines Franchise handelt, sondern um den Abschluss eines Franchise, ein mit einem reich verzierten Grabstein versehenes Ende. Und es ist ein Grabstein mit einer Grabinschrift, die sehr wohl weiß und sehr gut erklärt, was ein Franchise ist, und die auch versucht, dieses Geschäftsmodell wie das eigene Leben zu hinterfragen, wie das bei Grabinschriften so üblich ist, um im gleichen Atemzug munter damit weiterzumachen. Das ist natürlich verständlich, weil jeder lieber leben will statt zu sterben, egal wie dreckig und hoffnungsvoll sein Leben ist. Aber es ist auch völlig grotesk, so wie die dementsprechenden Dialoge und Anspielungen, bei denen allein die Kenner des Franchise ihre schiere Freude haben dürften.
Dazu gehören jedoch nicht nur an die Industrie gerichtete Bashings, sondern auch die völlig bizarre Starparade sowohl alter, verschollener Helden wie Wolverine (Hugh Jackman) als auch Bezüge zu aktuellen Blockbuster-Helden-Franchises außerhalb des MCU, wie das erst vor kurzem in die Kinos gekommene Furiosa: A Mad Max Saga.
Bei all diesen Auf- und Abgängen verlieren Uneingeweihte
sicherlich schnell den Überblick, doch der Film konzentriert sich letztlich auf die Buddy-Story zwischen Deadpool und Wolverine mit großartigen Szenen wie der etwa völlig sinnlosen, präpubertären Schlägerei in dem Auto eines japanischen Herstellers. Dabei ist natürlich selbst die Automarke Referenz, so wie alles, was hier passiert, Referenz ist. So wie das Leben selbst, das bei Helden wie diesen und ihrer Fähigkeit zur sofortigen Regeneration so alltäglich weitergeht wie die
Idee zur ewigen Wiederkehr.
Das war in der Hochphase des MCU bei weitem noch nicht so, gab es allenfalls das Auskosten einer ironisch gebrochenen Selbstreferentialität und waren Pathos und große Gefühle immer auch ernst gemeint, so etwa in dem vielleicht besten Film der Reihe, Avengers: Endgame (2019).
Seitdem hat sich vieles geändert. Es sind nicht nur die Zuschauer müde von all dem guten Heldenkitsch geworden, sondern es sind auch die Zuschauerzahlen dementsprechend eingebrochen, womit sich der Antagonist Deadpool, der Antiheld unter den biederen Helden des MCU, fast schon selbst erledigt hat. Und er macht das wie fast alle Helden der letzten MCU-Filme vor allem mit dem schlichtweg besten Suizid-Mittel aller Universen, dem Metaverse.
Und wie sollte es bei einem derartig reich verzierten Megagrabstein auch anders sein, als dass der Grabstein ganz besondern mega, ich meine natürlich meta, ausgestattet ist. Der charakterlose, reine Handlungstrigger Mr. Paradox (Matthew Macfadyen) will ausgerechnet die Parallelwelt eliminieren, in denen Deadpools Peergroup zu Hause ist, und weil Cassandra Nova (Emma Corrin), eine Irre mit telekinetischen und telepathischen Kräften und eine Therapeutin der Extraklasse, die mit ein paar Handgriffen ins Unbewusste eines jeden vorzudringen vermag, Deadpool und Wolverine nicht gleich helfen will, aus dem Mülleimer des Universums, dem Void, in das sie von Mr. Paradox abgeschoben wurden, zu entkommen, gibt es nicht nur all die Parallelwelten, sondern auch noch sowas wie die Vorhölle, in der sich ein Spektakel nach dem anderen entzündet. Das ist so abstrakt und grotesk wie es sich anhört, und ist wie eine Oper aus dem Barock immer wieder gefällig anzusehen, aber immer wieder auch etwas langweilig. Was schade ist, denn irgendwie geht es hier ja auch um das Ende der Unschuld, um das Ende einer großen, geilen Zeit, die wir alle – Hand aufs Herz – auch sehr genossen haben.
Doch wo wir schon mal vom Herzen sprechen. Damit sieht es in Deadpool & Wolverine einfach sehr mau aus. Denn die ganzen Deadpools, all die Metaversen, killen nicht nur die Story, sondern auch jedes Gefühl. Und bahnt sich mal ein solches an, wird es in der nächsten Szene munter massakriert. Regisseur Shawn Levy, einer der Großmeister des Blockbusters (Nachts im Museum, Real Steel, Stranger Things) inszeniert das brillant, und da die beiden ursprünglichen Deadpool-Drehbuchautoren Rhett Reese und
Paul Wernick weiterhin mit an Bord sind, geschieht dies auch mit der
notwendigen historischen Dichte.
Trotz einer eigenwilligen Hündchen-Szene überwiegt dabei am Ende immer die intellektuelle Zärtlichkeit, die Dekonstruktion des Epischen an sich, so dass wir es am Ende fast mit einem Arno Schmidt des Heldenfilms zu tun haben, in dem wie bei Schmidt und seinem Großwerk Zettels Traum noch Jahrzehnte nach Erscheinen die Fans Schlüsselszenen diskutieren und eruieren werden.
Das ist als Film zwar ein metamega Mindfuck, doch als Grabstein das Beste, was es in unserer Universumsvariante wohl gibt.