USA 2024 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Sean Wang Drehbuch: Sean Wang Kamera: Sam A. Davis Darsteller: Izaac Wang, Joan Chen, Shirley Chen, Chang Li Hua, Mahaela Park u.a. |
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Überraschende Fenster in eine neue Freiheit... | ||
(Foto: Universal) |
Wie schnell die persönliche Zeit fließt, sieht man meist am besten an den eigenen Kindern. Sieht man sich Sean Wangs Langfilmdebüt Dìdi an, gibt es außer dieser sehr persönlichen Erkenntnis, von der auch Wang erzählt, zusätzlich ein Gefühl für den beängstigend schnellen Fluss unserer »gesellschaftlichen« Zeit. Denn Wang, der bislang vor allem mit preisgekrönten Kurzfilmen auf sich aufmerksam gemacht hat, erzählt in seinem Film nicht nur von den letzten Wochen des 13-jährigen taiwanisch-amerikanischen Jungen Chris, der versucht, den letzten Ferienmonat zu genießen, bevor er auf die High School wechseln wird. Aber er erzählt auch von einer gar nicht so lange zurückliegenden Zeit. Denn Wangs Film ist im Jahr 2007 angesiedelt und es die Zeit, da nicht nur Wangs Alter-ego-Held Chris (Izaac Wang) erwachsen wird, sondern es sind auch die sozialen Medien, die gerade ihren Kinderschuhen entwachsen. Es wirkt zwar ein wenig wie die digitale Steinzeit, wenn wir Browser wie Netscape als Schaltfläche und soziale Netzwerke wie MySpace auftauchen sehen. Doch das ist allemal genug für die vielleicht erste Generation, deren pubertäres Schlingern von den sozialen Medien so gestärkt wie verunsichert wird.
Denn Chris sucht Unterstützung in seiner Unsicherheit. Seine Eltern sind taiwanesische Einwanderer; der Vater ist wieder nach Taiwan zurückgegangen und versorgt die Familie zwar finanziell von dort aus, doch familiär sieht es schlecht aus. Chris’ Mutter Joan (Chungsing Wang) sucht ihre Identität zwischen ihrer Mutterrolle und der Malerei genauso wie Chris’ Schwester (Shirley Chen). Nur die Großmutter, die von Wangs eigener Großmutter Chang Li Hua gespielt wird, ruht noch ganz in ihrer ursprünglichen Identität als Taiwanesin. Doch es ist keine ruhende, verbindende Identität, es ist eine, die den familiären Rahmen genauso sprengt wie die Streits zwischen Chris und seiner älteren Schwester, die nach den Sommerferien das Haus und die Familie verlassen wird, um zu studieren.
Wang erzählt diese Geschichten an den Orten seiner eigenen Kindheit in Fremont und mit einem Cast, den er zum großen Teil aus Laiendarstellern aus Fremont besetzt hat. Das gibt Wangs Film trotz des zeitlichen Bruchs mit unserer Gegenwart eine fast schon unheimliche Intensität, die sich immer wieder wirklicher als die Wirklichkeit anfühlt, vor allem durch die subtilen, sehr genauen Dialoge, etwa während des ersten Dates von Chris, in dem die Kamera und die filigranen Dialoge hypnotisch Unsicherheit und Mut, Vergangenheit und Aufbruch, Kindheit und Erwachsensein, Lust und Frust umfangen.
Das ist so süß wie bitter und erinnert an die vielen, großen Vorgänger des amerikanischen Coming-of-Age Films: an Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers, an Boyhood, an Minari – Wo wir Wurzeln schlagen oder an den erst im letzten Jahr erschienenen Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums, in dem es auch ein Sommer ist, der junge Helden zu erwachsenen Helden macht. Und auch dort geht es wie in Dìdi um die irre Gratwanderung zwischen Selbstverständlichkeit von Migration und einen virulenten Alltagsrassismus.
Und so wie in Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums werden auch bei Wang die Kinder und ihre Suche so ernst genommen wie die Erwachsenen. Doch gelingt es Wang außerdem, die Zerrissenheit und Pein der Erwachsenen einzufangen und anzudeuten, dass es mit der Transformation unseres Lebens im Grunde nie aufhört, dass das, was früher die Pubertät war, später nur andere Namen wie Midlife-Crisis bekommen wird. Denn es ist immer wieder diese schreckliche Einsamkeit, mit der wir von Zeit zu Zeit umgehen lernen müssen, weil wir nun mal so leben wie wir träumen, allein, wie es Joseph Conrad, der in diesen Tagen vor hundert Jahren gestorben ist, einmal geschrieben hat.
Wang belässt es aber nicht nur bei dieser Fokussierung auf den Strudel dieser Einsamkeit, sondern er zeigt auch die überraschenden Fenster in eine neue Freiheit, die sich fast automatisch aus der Isolation ergeben. Das bedeutet für Chris dann vielleicht nicht jetzt schon die Liebe, aber dafür das Skateboarden, es sind neue und alte Freunde, es ist die Kamera und das Filmen, die Halt geben. Und dann ist es auch so etwas wie Erkenntnis, Beziehungen tatsächlich neu definieren und damit ändern zu können. Wie jene zu der eigenen Schwester oder in einer ganz großen Schlusszene, in der wir Mutter und Sohn zu wirklich neuen Menschen reifen sehen. Trauriger, aber auch schöner, geht es kaum.