Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist

The Feeling That the Time for Doing Something Has Passed

USA 2023 · 89 min. · FSK: ab 16
Regie: Joanna Arnow
Drehbuch:
Kamera: Barton Cortright
Darsteller: Joanna Arnow, Scott Cohen, Babak Tafti, Michael Cyril Creighton, Alysia Reiner u.a.
Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist
»Generation Beziehungsunfähig«...
(Foto: 24 Bilder)

Hürden der Unterwerfung

Sperriger Titel, starker Film: Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist erkundet die Schwierigkeiten sexueller und romantischer Beziehungen in der Gegenwart

Das Kino der kommenden Wochen beschäf­tigt sich wieder­holt mit Sado­ma­so­chismus. Ende 2024 und Anfang 2025 laufen in den deutschen Kinos mehrere Filme, die sich mit der Verschrän­kung von Lust und Schmerz, mit Dominanz und Unter­wer­fung im eroti­schen, aber auch im alltäg­li­chen sozialen Sinne beschäf­tigen. In Halina Reijns Babygirl lässt sich Nicole Kidman als Mutter und mächtige Geschäfts­frau auf eine sado­ma­so­chis­tisch geprägte Affäre mit einem jüngeren Prak­ti­kanten ein. Reijn nutzt diese Situation für eine Ausein­an­der­set­zung mit der Unter­drü­ckung, aber auch Insze­nie­rung von Affekten und Emotionen in einer Business-Kultur, die das sexuelle Spiel in einer Abfolge von Unter­drü­ckungs­sze­na­rien dreht und wendet.

Robert Eggers histo­ri­sches Schau­er­s­tück Nosferatu, basierend auf dem Stummfilm von Friedrich Wilhelm Murnau, wirft derweil einen Blick auf ein unter­drücktes, vom Patri­ar­chat geformtes und gerahmtes weib­li­ches Begehren. Es rebel­liert, gequält und besessen von einer bösen vampi­ri­schen Macht, gegen das Sitten­kor­sett seiner Zeit, indem es die eigene Ekstase unauf­haltsam mit der drohenden Auslö­schung und Vernich­tung kolli­dieren lässt. Joanna Arnows erster langer Spielfilm hebt sich von diesen beiden Filmen inter­es­sant ab, weil dort das sexuelle Begehren längst von einem Tabu-Diskurs und der Scham befreit ist. Das Koket­tieren mit der eigenen Unter­wer­fung, das Verkehren von Hier­ar­chien und das Ausleben der eigenen Lust an der Degra­die­rung ist selbst­ver­s­tänd­li­cher Teil des Alltags. BDSM als Lifestyle und Ich-Facette von vielen, die man abwech­selnd bespielt und zur Schau stellt. Nur: Welche Befrie­di­gung kann daraus entstehen?

Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist heißt dieser episo­disch und ellip­tisch erzählte Film. Schon der Titel stellt sich quer. Zu lang, zu spröde für die Such­ma­schi­nen­op­ti­mie­rungen des Internets. Zu wenig eingängig, um ihn im Alltags­ge­spräch so einfach einwerfen zu können. Eine Bestands­auf­nahme liefert er mit. Der Eindruck der Alter­na­tiv­lo­sig­keit und Unver­än­der­bar­keit, der verpassten Chancen dominiert die Gegenwart und wurde immer wieder von verschie­denen Seiten aus beschrieben, sei es bezüglich der Ausein­an­der­set­zung mit dem Spät­ka­pi­ta­lismus oder den Folgen des Klima­wan­dels und der Umwelt­zer­störung.

Bana­li­täten des Alltags

Joanna Arnow, die zugleich die Haupt­figur spielt, hat ein Drama geschaffen, das man künftig bestens studieren können wird, um einen Eindruck von dieser gegen­wärtig um sich grei­fenden, bleiernen Schwere und Bedrü­ckung zu erhalten. Ausschnitt­haft, klar perspek­ti­viert aus einem bestimmten Milieu heraus, aber doch durch­drungen von größeren, verbin­denden Aufschlüssen. Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist begleitet eine New Yorkerin, Anfang, Mitte 30, durch ihren Alltag und eine Reihe von Begeg­nungen. Ihr Einkommen ist soweit abge­si­chert, der Büro-Job struk­tu­riert ihr Leben. Den Rest verplant Ann, so heißt die Figur, mit BDSM-Treffen. Die Männer, die sie datet, gliedern diesen Film in einzelne Kapitel. Da sind Allen, Thomas, Elliott, Peter, Hugo Martin, Bob, Jason und Chris. Einige von ihnen werden zu Anns Herren, denen sie sich bereit­willig auslie­fert, andere müssen erst noch an diese Rollen gewöhnt werden. Joanna Arnow betrachtet die eroti­schen Spiele mit derselben kühlen Nüch­tern­heit, mit der sie ein Meeting im Büro, das Ausquet­schen einer eklig braunen Suppe zum Abend­essen oder einer Yoga-Session einfängt. Ihr Film bietet keine einfachen Anhalts­punkte. Sie zeigt ihre Haupt­figur nicht als Opfer männ­li­cher Triebe, sondern als eine Frau, die danach strebt, ihre eigenen Fantasien auszu­leben und in Worte zu fassen und doch scheint dies immer wieder in Ernüch­te­rung zu münden. Der Sado­ma­so­chismus ist hier weder als Sensation oder Stör­faktor gerahmt noch als Sinnbild entworfen, sondern ein offener Prozess und eine Aufgabe, einer Vorstel­lung gerecht zu werden. Unbequeme Kostüme werden angelegt, Gelüste werden abge­spro­chen. Anstren­gungen werden aufge­bracht und am Ende ist das alles doch nur halb so aufregend. Der Film zeigt es als Banalität.

Hinzu kommen unsen­sible Gesten, Männer, die nicht verstehen, wann die Zeit reif ist, einmal nicht nur über das eigene Leben zu quasseln oder das Gegenüber mit Belang­lo­sig­keiten zu nerven. Männer, die am Ende doch nichts von der weib­li­chen Sexua­lität und Befrie­di­gung zu verstehen scheinen. Noch kompli­zierter wird es, wenn Ann beschließt, das Modell einer Zwei­er­be­zie­hung auszu­pro­bieren, es einmal mit »klas­si­schem« Dating zu versuchen. Auftritt: Chris. Ein etwas verpeilter, etwas verklemmter, aber dennoch liebens­werter Typ. Soll das alles sein? Die spießige Paar­be­zie­hung als Ende der Fahnen­stange? Der Film hat eine bloße Geschlech­ter­frage an diesem Punkt längst hinter sich gelassen.

Zwei­sam­keit: Und dann?

Ein echtes Lächeln auf dem Gesicht der Regis­seurin und Haupt­dar­stel­lerin will sich selten einstellen. Ihr Film bleibt verschlossen, über­le­gend und dennoch nahbar, weil er so irri­tie­rend anrüh­rende Charak­ter­mo­mente kreiert und so präzise Szenen einer Zeit beob­achtet, in der alles emotio­na­li­siert ist und insgeheim immer weiter abstumpft. Die stati­schen Kame­ra­ein­stel­lungen von Barton Cortright verwan­deln Räume in Puppen­stuben. Die Bilder bieten keine Dynamik, keine Plötz­lich­keiten. Nur die starre Rahmung und Menschen, die in mecha­ni­schen Routinen darin ihr Leben leben. Mitunter denkt man an die strengen Tableaus in den Filmen von Roy Andersson (Über die Unend­lich­keit), gerade in der alles umfas­senden Melan­cholie, die nur der abgrün­digste Humor aufzu­lo­ckern vermag.

Das große Gefühl findet viel­leicht noch in der Welt der Shows und Musicals statt, die in einer grotesk komischen Szene Einzug in das heimische Schlaf­zimmer hält. Dazwi­schen gleicht jeder Ausdruck einem unsi­cheren, gezwun­genen Schau­spiel. Jede Ohnmacht wird über­spielt oder totge­schwiegen. Konfron­ta­tionen führen ins Nichts – wie alles in diesem Film der offenen Enden. Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist zeigt entblößte Figuren, die sich offen­sicht­lich am liebsten so richtig auskotzen möchten, die sich gegen­seitig ankotzen, aber zu nett sind, um es sich ins Gesicht zu sagen. Weil sie die Gründe für ihren Frust selbst nicht mehr zu verstehen scheinen und insgeheim wissen, dass sich ihre Leben ohnehin immer nur im Kreis drehen. Also erfreut man sich am Kleinen. Die Gewohn­heit will es zumindest so.

Einmal schießt Ann ein Foto. Das Tages­licht fällt gerade so schön auf die Pflanzen, die an der Wand drapiert sind. In Wirk­lich­keit ist alles trist und karg. Der gemein­same Sport, die Entspan­nung beim Yoga wird via Weit­winkel in eine öde Muse­ums­halle verwan­delt, in der die verrenkten und aushar­renden Körper wie Exponate drapiert sind. Und dann sind da die Begeg­nungen mit den Eltern, die noch eine alte Vorstel­lung von Idyll zu leben scheinen. Dort singt man noch gemeinsam von Soli­da­rität, Arbeitern und Gewerk­schaften, doch zu sagen hat man sich eigent­lich nichts. Belang­loser Smalltalk, mehr findet zwischen den Gene­ra­tionen nicht statt. Sprach­lo­sig­keit trifft auf Frust. Viel­leicht, weil das Greifen nach dem Glück einer Uner­sätt­lich­keit gewichen ist. Weil der Leit­ge­danke und die Doktrin, immer mehr vom Leben erwarten zu sollen, in einen Konsu­mismus in allen Bereichen übergeht, der keine Zufrie­den­heit erlaubt. Wäre letztere einge­treten, würde das kühle, erstarrte Bilder­system, das dieser eindrucks­volle Film vorführt, längst in sich zusam­men­fallen. Das meist abschät­zige, augen­zwin­kernde Gerede um »Gene­ra­tion Bezie­hungs­un­fähig« und derglei­chen bekommt hier eine einzig­ar­tige, konfron­ta­tive und vor allem diffe­ren­zierte, ambi­va­lente künst­le­ri­sche Bear­bei­tung entge­gen­setzt.