D/F/CH 2005 · 167 min. · FSK: ab 0 Regie: Philip Gröning Drehbuch: Philip Gröning Kamera: Philip Gröning |
So einen Film hat man noch nicht gesehen. Es beginnt schon damit, dass man nicht ganz sicher ist, ob man Die große Stille eigentlich eine Dokumentation nennen soll. Genausogut ist es auch eine philosophische Meditation. Ein Versuch. Dieser Film erklärt sich nicht. Wer aber hinguckt und hinhört, kann eine Menge erleben.
Meditation, Einkehr, Schweigen sind nicht gerade en vogue im Kino von heute. Nun aber hat Philip Gröning einen Film gemacht, in dem die Ruhe und die Stille das zentrale Thema sind; ein Film, der Menschen dabei zusieht, wie sie versuchen, sich Gott anzunähern. Eine ihrer Methoden ist es, möglichst wenig zu reden.
Gröning, bekannt durch Die Terroristen! und L’amour, l’argent, l’amour, erzählt in 164 Filmminuten vom Leben in der »Grande Chartreuse«. So heißt das Gründungskloster des fast tausend Jahre alten Ordens der Karthäuser-Schweigemönche in den französischen Alpen.
Die Vorgeschichte ist schon abenteuerlich. Denn man kann bei den Karthäusern nicht für einen Besinnungsurlaub einziehen, man kann ihre Klöster nicht besichtigen, man kann sie kaum besuchen. Gröning gelang sein Vorhaben, weil er eine Tugend bewies, die unter Filmemachern heute eher ungewöhnlich ist, die einzige, die die Karthäuser überzeugte: Er hatte Geduld. Er ließ der Zeit Zeit. Vor 21 Jahren, Gröning (geb 1959) arbeitete an seinem ersten Film, fragte er den Orden, ob es möglich sei, einen Film über das Kloster zu drehen. Man sagte ihm ab. Aber er hielt den Kontakt, und als die Mönche spürten, dass er sich wirklich für sie interessiert, sagten sie irgendwann unerwartet zu. Ganze sechs Monate dürfte Gröning bei ihnen wohnen – und ist damit vielleicht der einzige weltliche Besucher, dem ein solch tiefer Einblick in das Karthäuserleben vergönnt war.
Gröning zeigt Normalität, betont den Aspekt des Alltäglichen. Für Abläufe, Ordnungen und Strukturen interessiert er sich vergleichsweise wenig. Ein Apfel ist wichtiger, und auch das kleine Chaos im strengen Leben. Es gibt keine Interviews, keinen Kommentar, keine untermalende Musik. Die Mönche reden tatsächlich nicht. Miteinander kommunizieren sie über kleine Texte auf Zetteln. Und wenn sie, in größter Not einmal sprechen müssen, kann es ihnen passieren, dass sie kaum artikulieren können, oder plötzlich Latein reden
So einen Film hat man noch nicht gesehen. So einen Film wird man so schnell nicht wiedersehen. Gröning ist ein filmisches Ereignis gelungen, eine Suche nach Sinn in mönchischer Askese während der klar wird, dass auch das Filmemachen eine transzendente Komponente hat. Man tut Gröning wohl nicht unrecht, wenn man ihm unterstellt, dass es hier auch um einen Gegenentwurf zur Hektik unseres modernen Alltags geht. Gröning sagt, er hätte diesen Film nicht über ein buddhistisches Kloster, oder über orthodoxe Mönche machen können, das sei uns nicht nahe genug. Aber auch nicht über die Trapisten, die Fundis unter den Schweigemönchen. Sie schlafen noch in Massensälen – während die Karthäuser doch auch überraschende moderne Züge aufweisen. Sie benutzen sogar Computer.
Die große Stille ist ein Film über die Frage, was Religion und Religiosität heute bedeuten. Damit ist dies auch ein Gegenentwurf zu den Ratzingers, Meissners, den Erleuchteten Bushs, zu Weltjugendtagen, zu dem ganzen allzu modernen Religionskitsch und Esoterikschmarrn. Stattdessen mehr Stille. Anders gesagt: Einfach mal die Klappe halten!