A Different Man

USA 2024 · 112 min. · FSK: ab 12
Regie: Aaron Schimberg
Drehbuch:
Kamera: Wyatt Garfield
Darsteller: Sebastian Stan, Adam Pearson, Renate Reinsve, Billy Griffith, C. Mason Wells u.a.
A Different Man
Vorher-Nachher-Bild
(Foto: Universal Pictures)

Deformation als Dekoration?

Aaron Schimbergs A Different Man umspielt klug die Grenzen des Authentischen im Schauspiel

»Actors and actresses who are beautiful start with an enormous advantage because we love to look at them.«
– Pauline Kael, Vorspann von Chained For Life

Allein schon des Titels wegen könnte A Different Man ein dekon­struk­tiver Film sein. Die différance nannte Jacques Derrida das freie Spiel der Gegen­sätze, das sich weder zum einen noch zum anderen Pol hin auflösen lässt, in dem unauf­hör­lich beides vorhanden ist, gut und böse, Mann und Frau, Melodram und Gangs­ter­film, wie gerade bei Jacques Audiards Emilia Pérez. In A Different Man, dem dritten Film des New Yorker Regis­seurs Aaron Schimberg, wird die Wandlung des Menschen, der ein anderer werden will und sich dafür aus seiner physi­schen Defor­miert­heit häutet, mit der Gestalt von jenem konfron­tiert, der das nicht kann. Der mit seiner physi­schen Anders­ar­tig­keit essen­tiell »different«, anders ist – er ist der eigent­lich titel­ge­bende different man. A Different Man ist auch ein Film über die Grenzen des Schau­spiels und die Frage nach der Notwen­dig­keit von Authen­ti­zität. Und hier gelangt das Derrida'sche Spiel der Pole wieder gewaltig in Schwin­gung, in ein unauf­lös­bares Hin und Her, Pro und Contra – beides ist richtig für die Kunst, beides ist falsch als Normie­rung. In der ungelösten Konfron­ta­tion wird das inter­es­sant.

Edward, ein defor­mierter, schüch­terner und defen­siver Büro­an­ge­stellter (Sebastian Stan), unter­zieht sich einer kosme­tisch-chir­ur­gi­schen Behand­lung, insze­niert wird das mit vielen Anleihen an James Whales berühmte Fran­ken­stein-Szene, nur mit umge­kehrtem Vorzei­chen. Unter den chemi­schen Prozessen entsteht nicht die Ungestalt als das Monströse (das sich in der Defi­ni­tion von Michel Foucault immer auch moralisch und geset­zes­mäßig monströs mani­fes­tieren muss). Eine Häutungs­szene mit plasti­fi­ziertem Body Horror à la David Cronen­berg bringt im Gegenteil das Norm­schöne eines Beaus hervor – den man viel­sa­gend auch als »gesichtslos« bezeichnen kann.

Edward nennt sich nach seiner Verwand­lung in Guy um, hat bald zum ersten Mal sexuelle Erleb­nisse, alles ist prima. Dann stellt er sich für ein Thea­ter­pro­jekt als Schau­spieler vor, das seine ehemalige Nachbarin Ingrid (Renate Reinsve) insze­niert. Mit ihr hatte er, als er noch Edward mit dem Mons­ter­ge­sicht war, ein kurzes, vergeb­li­ches Stell­dichein, jetzt bringt sie das Stück »Edward« auf die Bühne, in dem es über einen defor­mierten Mann geht, den sie mal kannte. Auch wenn Guy/Edward die gelebte Erfahrung hat, in seiner Verletzt­heit authen­tisch wirkt und prompt engagiert wird, muss er sich für die Rolle eine Maske über­ziehen, die ihm der Chirurg von seinem alten Gesicht über­lassen hat.

Sehr bald taucht im Theater ein Mann auf, der tatsäch­lich defor­miert ist: Oswald ist charis­ma­tisch, ein Showman, selbst­be­wusst, König aller Herzen. Er ersetzt umgehend den Masken-Edward von Guy auf der Bühne – weil er selbst authen­tisch, aber auch natural ist.

Alsbald kommt das große Bedauern in Guy-Edward auf, sich umge­wan­delt zu haben, ange­sichts des großen Erfolges und der Beliebt­heit von Oswald. Guy sackt wieder in sich zusammen, fällt zurück in die leidende Attitude des herum­ge­schubsten Edward. Vorbei ist es mit dem selbst­be­wussten Höhenflug und der Eroberung der Frauen.

Ist das die Botschaft des Films? Ein Hoch auf die inneren Werte, und: Wer einmal ein passiver und neiderfüllter Griesgram war, der wird das immer bleiben? Außerdem: Es ist völlig egal, wie wir aussehen! Body Posi­ti­vity, die auch Krank­heiten, Behin­de­rung und Defor­ma­tion umschließt, ist möglich, wenn man nur selbst­be­wusst genug ist! Ja, das ist die simple Botschaft des Films, mit der es sich Schimberg sehr einfach macht, und die seinen Film stre­cken­weise blutleer und konstru­iert erscheinen lässt.

Zum Glück aber dreht Schimberg die Schraube noch eine Umdrehung weiter.

Durch­de­kli­niert werden in der Bühnen­si­tua­tion, und das macht den Film ungleich inter­es­santer als der durch­schau­bare Plot, die Thesen der Pro-Iden­ti­täts­be­set­zung, wie sie zum Beispiel die seit 2021 bestehenden Richt­li­nien der Amazon Studios verlangen. Nach diesen müssen vor und hinter der Kamera bestimmte Diver­si­täts­quoten einge­halten werden und auch das Verhältnis zwischen Schau­spieler und seiner Rolle identisch sein, es müssen »Schau­spieler engagiert werden, deren Identität (Geschlecht, Geschlechts­iden­tität, Natio­na­lität, Ethni­zität, sexuelle Orien­tie­rung, Behin­de­rung) mit den Figuren, die sie spielen, über­ein­stimmt«.

Erstaun­li­cher­weise aber macht dieses Vorgehen meist halt, wenn es um Behin­de­rung, Krank­heiten oder Fett­lei­big­keit geht, also alles, was im Körper unmit­telbar sichtbar wird und sich nicht mit Judith Butler als kultu­relle Identität performen lässt. Als Method Actor lässt es sich gut Oscars gewinnen. Ein Para­de­bei­spiel für dieses Miss­ver­hältnis aus Reprä­sen­tanz der körper­lich Einge­schränkten und ihrer fehlenden Auszeich­nung, das nahelegt, dass wir es hier immer noch mit einem tabui­sierten und ausge­grenzten Bereich zu tun haben, sind die zwei Academy Awards für Darren Aronof­skys The Whale über einen fett­lei­bigen, walar­tigen Mann, der sich zu Tode frisst. Der Fatsuit war der Academy einen Oscar wert, ebenso die Schau­spiel­per­for­mance des ausge­stopften Brendan Fraser, der kaum mehr tut, als Pizza in sich rein­zu­schau­feln.

Schimberg thema­ti­siert und umspielt dieses Miss­ver­hältnis, wenn Edward erst wieder durch die Maske zum Mann mit dem mons­trösen Aussehen werden kann und durch einen real defor­mierten Schau­spieler ersetzt wird. Oswald wird vom Briten Adam Pearson verkör­pert, der tatsäch­lich an der Neufi­brom­a­tose leidet, bekannt auch als »Elefan­ten­krank­heit«. David Lynch hat sie in The Elephant Man als monströse, die Menschen in Angst und Schrecken verset­zende Krankheit insze­niert. Schimberg wiederum hat Adam Pearson bereits 2018 in Chained For Life besetzt, ein fingiertes Making-of von Tod Brownings Freaks, in dem es um unsere Urängste vor der als »monströs« wahr­ge­nom­menen Behin­de­rung geht.

Während des Sehpro­zesses von A Different Man, der als Vexier­spiel von Defor­ma­tion (Edward) – Eufor­ma­tion (Guy) – Defor­ma­tion (Oswald) durchlebt wird, passiert ganz funda­mental etwas. Wir lernen zunächst, dass sich Defor­ma­tion wegope­rieren lässt (und sich als unge­wünschte »Deko­ra­tion« denken lässt), das Glück danach aber nicht von Dauer ist. Wir lernen, dass die authen­ti­sche Defor­ma­tion, der Mensch bei sich, in der Paarung mit viel Selbst­be­wusst­sein (Oswald erobert die Bühne im Sturm), Humor (Oswald ist wahn­sinnig gut drauf) und Geld (Oswald hat Kohle) auch liebens­wert und sogar attraktiv sein kann. Und schließ­lich werden wir auch gewahr, dass der tatsäch­lich kranke Schau­spieler seine Krankheit nicht wegope­rieren kann, weil dies im Reich der reinen Fiktion liegt. Das ist eine schöne, aber auch etwas typische Lektion für den Main­stream, die für uns stell­ver­tre­tend Edward durch­macht.

So wie Aaron Schimberg mit den Schau­werten der körper­li­chen Ober­fläche speku­liert, so gibt er auch in seiner Insze­nie­rung der Ober­fläche großen Raum. Der Film spielt in einem sehr »Seventies« und sexy anmu­tenden New York, ist gesättigt von Braun­tönen und häss­li­chen Karo­hemden und taucht tief ein in den Sehn­suchtsort verlo­ren­ge­gan­gener Authen­ti­zität, mani­fes­tiert auch am Objekt einer Schreib­ma­schine. Die Kamera zoomt heran, wie sie es in den Sieb­zi­gern durfte, gedreht wurde auf 16mm-Kodak-Material. Das ist allemal sehr schön anzusehen und ein Genuss für alle Cine­philen.

Unterm Strich ist Schim­bergs A Different Man um einiges schöner, klüger und weiter als die Filmwelt, die immer noch nicht bereit ist für den different man. Auf der Berlinale erhielt Sebastian Stan den Silbernen Bären für die Beste Perfor­mance – und nicht Adam Pearson.