Frankreich/D/P 2008 · 121 min. · FSK: ab 16 Regie: Werner Schroeter Drehbuch: Gilles Taurand, Werner Schroeter Kamera: Thomas Plenert Darsteller: Pascal Greggory, Jean-François Stévenin, Marc Barbé, Bruno Todeschini, Eric Caravaca u.a. |
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Die Helden dieser Nacht lassen Federn... |
Die Kamera gleitet über ein Gemälde. Man muss nicht wissen, könnte es aber sehen, dass es von Tizian stammt, und den Titel »Die Schändung des Marsyas« trägt. Es handelt von einem Halbgott, der den Apollo herausforderte, und von diesem zur Strafe oder aus Neid zu Tode gefoltert wurde – eine Allegorie auf den Künstler, seine Hybris und sein Leid, vor allem aber sein Leben. Gemalt ist es in der flirrenden, schon nicht mehr klassisch-korrekten, sondern eher impressionistischen
Technik von Tizians Spätwerk; das Feine spielt hier gar keine Rolle mehr, sondern das Grobe, Klare – und ein wenig kann man bei der Gewalt des Bildes auch an Francis Bacon denken.
Während die Kamera uns Details aus dem Bild zeigt, sagt ein Sprecher aus dem Off einen Satz: »Von allen Wundern, die ich je gehört, scheint mir das Größte, dass sich Menschen fürchten, da sie doch sehen, der Tod, das Schicksal aller, kommt, wenn er kommen soll.« Man muss nicht wissen, könnte es aber, dass es
von Shakespeare stammt, Julius Caesar spricht es im gleichnamigen Stück in der Nacht vor seinem Tod.
Die Hauptfigur heißt Ossorio. Er ist kein Künstler, sondern ein Freiheitsheld. Mit Kampferfahrung. Gespielt von Pascal Greggory erscheint er als Mischung aus Che Guevara und dem Mann ohne Eigenschaften. Wie ein Candide auf der Suche nach der Unschuld des Neuanfangs reist er durch ein altes, traumatisiertes Land, seine Heimat, in die er nach Jahren des Exils zurückkehrt.
Diese Nacht ist der erste Film, den Werner Schroeter seit Jahren gedreht hat. Wie aus einer anderen Zeit taucht der Fassbinder-Weggefährte auf. 1990 hatte er Malina gedreht, dann nur noch Filme gemacht, die hierzulande nur in Sondervorführungen zu sehen waren. Jetzt hat Schroeter, der sich seitdem höchst erfolgreich auf Oper und Theater konzentrierte, einen Roman des Uruguayers Juan Carlos Onetti verfilmt. Das Buch wurde 1942 durch den Besuch von zwei spanischen Exilanten, Republikanern aus dem Bürgerkrieg, inspiriert, die Onetti in Montevideo besuchten. Aber Diese Nacht ist ein unverwechselbarer Schroeter geworden: Stilisiert, melodramatisch, sonambul und überaus intensiv.
Die Handlung lässt sich am ehesten als Paranoia-Thriller mit Anspielungen auf Grimms Märchen begreifen. Es geht um politischen Opportunismus, Kollaborationsmentalität und ihren Preis. Die Situation, in der Ossorio auftaucht, und seine Geliebte sucht, ist eine aus Chaos und Anarchie: Milizen und oppositionelle Rebellen bekämpfen sich in einer Stadt, es herrschen Folter und Terror. Schroeter malt dies nicht plakativ aus, ihn interessiert die existentielle Situation, die er zur existenzialistischen Metapher verdichtet. Diese Nacht, nur in der Pracht des nächtlichen Porto gedreht, ist ein ebenso düsteres wie prächtiges Schlachtengemälde, ein Film Noir der Vergeblichkeit und der Liebe zum Leben, aber auch zu den eigenen Idealen im Angesicht des Todes.
Für seine lange Reise bis ans Ende der Nacht findet Schroeter einmal mehr bestechend schöne Bilder und Momente, die mal an eine Oper erinnern, mal an einen Geistertanz. Sie fügen sich zu einem völlig unzeitgemäßen Film. Eine Ode an die Schönheit, eine Anklage der Wirklichkeit und in beidem eine Summe von Schroeters Werk. Faszinierend, wie Schroeter jede Konzession an den Zeitgeist vermeidet, und trotzdem ein heutiges Publikum zu fesseln vermag.