USA 2012 · 115 min. · FSK: ab 12 Regie: Henry-Alex Rubin Drehbuch: Andrew Stern Kamera: Ken Seng Darsteller: Jason Bateman, Hope Davis, Frank Grillo, Michael Nyqvist, Paula Patton u.a. |
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Wohltuend ambivalent |
Es ist eine banale Erkenntnis. Und doch kann man sie nicht oft genug wiederholen. Das Internet hat unsere Art, zu kommunizieren, drastisch verändert. Sich tief in unser Leben, in unseren Alltag eingegraben. Die Zeit vor der digitalen Vernetzung scheint Ewigkeiten entfernt zu sein. Mutet beinahe lächerlich an in all ihrer Umständlichkeit. Wir selbst haben uns für die virtuelle Welt entschieden. Können die Finger nicht mehr lassen von unseren Smartphones und Tablets. Wollen ständig erreichbar und online sein, um nur ja nichts zu verpassen – ob berufliche Chancen oder neue Schlagzeilen im kontinuierlichen Informationsfluss. Nicht selten glauben wir, uns auszukennen, den Datendschungel zu durchschauen und die volle Kontrolle über unser digitales Ich zu haben. Ein naiver Irrglaube, wie immer neue Enthüllungen schmerzlich zeigen. So verheißungsvoll das Netz auch sein mag, müssen seine Schwächen und Schattenseiten immer mitgedacht werden. Der lange Zeit ungebremste Optimismus hat uns angreifbar gemacht. Und ebenso blind. Für Probleme und Bedrohungen.
Das Independent-Drama Disconnect schlägt genau in diese Kerbe. Spürt den Konsequenzen der umfassenden Technisierung nach. Will veranschaulichen, auf welche Weise digitale Medien Beziehungen beeinflussen und direkte Interaktion untergraben. Zu spät kommt dieser Film (bereits 2012 auf den Festivals in Venedig und Toronto zu sehen) keineswegs. Auch wenn die Gefahren der Netzkultur mittlerweile jedem bekannt sein dürften, sind gravierende Veränderungen im Nutzungsverhalten noch lange nicht zu spüren. Viele machen weiter wie zuvor. Geben persönliche Informationen offenherzig preis oder halten sich online mit Beschimpfungen und Verleumdungen nicht zurück.
Das Unterfangen, das Henry-Alex Rubin in seinem Spielfilmdebüt unternimmt, ist durchaus ambitioniert. Immerhin erzählt er in drei parallel ablaufenden Handlungssträngen, die sich nur gelegentlich überschneiden, von hochgradig brisanten Themen wie Onlinepornografie mit Minderjährigen, Cyber-Mobbing und digitalem Datenklau. Extremgefahren der schönen neuen Medienwelt, die der Regisseur – das lässt der vielsagende Filmtitel bereits anklingen – zu einem pessimistischen, freilich wenig originellen Befund verdichtet: Obwohl wir eigentlich immer vernetzt sind, verlieren wir mehr und mehr den Anschluss an unsere Mitmenschen. Werden zu Fremden, die nur noch über Monitore und Touchscreens miteinander kommunizieren.
Eine solche Entwicklung zeigt die Episode rund um die Journalistin Nina Dunham (Andrea Riseborough), die, auf der Suche nach einer karriereförderlichen Story, das Vertrauen des minderjährigen Pornodarstellers Kyle (Max Thieriot) gewinnt und eine Dokumentation über sein Leben drehen will. Sie zeigt sich auch beim dauergestressten Anwalt Rich Boyd (Jason Bateman), der seine Familie vernachlässigt, ständig mit seinem Handy beschäftigt ist und daher nicht mitbekommt, dass sein Sohn (Jonah Bobo) Opfer einer Cyber-Mobbing-Attacke wird. Der verschlossene Junge glaubt, in einem sozialen Netzwerk eine Freundin gefunden zu haben, und teilt mit ihr intime Details. Nichts ahnend, dass das Mädchen nur eine Erfindung des Mitschülers Jason Dixon (Colin Ford) und eines Kumpels ist. Jasons Vater (Frank Grillo) wiederum hat nach dem Tod seiner Frau den Zugang zu seinem Sohn verloren und übersieht, wozu die Langeweile des Jungen führt. Ausbleibende Kommunikation liegt ebenso bleiern über der dritten Episode, die von Cindy (Paula Patton) und Derek Hull (Alexander Skarsgård) berichtet. Einem jungen Ehepaar, das sein Kind verloren hat und in hilfloses Schweigen sowie blinden Aktionismus verfällt. Während Cindy in Internetforen nach Gleichgesinnten sucht, um ihre Trauer zu verarbeiten, taucht ihr Mann in die Welt des Online-Pokers ein. Nur um eines Tages festzustellen, dass ihre persönlichen Daten gestohlen wurden und sie plötzlich zahlungsunfähig sind.
Betont ernsthaft nähert sich Rubin seinen emotional aufgeladenen Geschichten. Das unterstreicht schon die nüchterne Bildsprache. Ausgewaschene Farben dominieren, inszenatorische Ablenkungen bleiben auf ein Minimum reduziert. Fast dokumentarisch erscheint der filmische Blick (Rubin machte unter anderem als Co-Regisseur des Oscar-nominierten Dokumentarfilms Murderball auf sich aufmerksam), der sich ganz auf die Figuren und ihre Schicksale konzentriert. Ein klarer Fokus, umrahmt von einem unaufgeregten, aber präzisen Erzählrhythmus. Das Bemühen um Authentizität macht sich auch bemerkbar im zurückgenommenen, aber eindringlichen Spiel der Darsteller. Erfahrene Mimen wie Jason Bateman überzeugen dabei ebenso wie die zahlreichen jungen Akteure.
Für einen knapp zweistündigen Episodenfilm wenig verwunderlich, gelingt es freilich nicht, die dargestellten Problematiken in all ihrer Komplexität zu beleuchten. Manche Entwicklungen und Phänomene sind im Drehbuch (Autor: Andrew Stern) verknappt, ohne dass sie deshalb allzu undifferenziert erscheinen würden. Ärgerlicher ist da schon der moralische Zeigefinger, den Rubin trotz inszenatorischer Umsicht mehrfach durchscheinen lässt. In allen Episoden betont er, dass ein Umdenken der Figuren erst dann möglich wird, als das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Sprich: Tragische Ereignisse die Verblendung durch digitale Medien offen gelegt haben. Bezeichnenderweise ziehen die langsamen Annäherungen weitere Verwicklungen nach sich, die in jedem Erzählstrang letztlich zu einer gewaltsamen Eskalation führen. An dieser Stelle treten die dramatischen Kerngedanken leider hinter einer allzu kalkulierten Plot-Mechanik zurück und werden überdies vom Klischeebild des eigenhändig nach Gerechtigkeit suchenden Amerikaners überlagert. Gewöhnlicher Spannungsaufbau gewinnt hier die Überhand, was angesichts der ansonsten unaufgeregten Erzählweise doch irritieren muss.
Erfreulicherweise macht es sich Disconnect nach der Kulmination der drei Handlungsstränge allerdings nicht so leicht, die vorherigen Ereignisse in billige Affirmation zu überführen. Auch wenn Hände gereicht werden, Umarmungen zu beobachten sind und Hoffnungsschimmer aufblitzen, wirken Unsicherheiten und ungeklärte Fragen über die letzten Einstellungen hinaus. Ein erster Schritt zu einem besseren Miteinander ist vielleicht getan, mehr auch nicht. Mit dieser Ambivalenz wird der Zuschauer entlassen und kann für sich selbst entscheiden, welche Erkenntnisse er aus dem Episodendrama für seinen digitalen Alltag mitnehmen will.