Disconnect

USA 2012 · 115 min. · FSK: ab 12
Regie: Henry-Alex Rubin
Drehbuch:
Kamera: Ken Seng
Darsteller: Jason Bateman, Hope Davis, Frank Grillo, Michael Nyqvist, Paula Patton u.a.
Wohltuend ambivalent

Im Netz gefangen

Es ist eine banale Erkenntnis. Und doch kann man sie nicht oft genug wieder­holen. Das Internet hat unsere Art, zu kommu­ni­zieren, drastisch verändert. Sich tief in unser Leben, in unseren Alltag einge­graben. Die Zeit vor der digitalen Vernet­zung scheint Ewig­keiten entfernt zu sein. Mutet beinahe lächer­lich an in all ihrer Umständ­lich­keit. Wir selbst haben uns für die virtuelle Welt entschieden. Können die Finger nicht mehr lassen von unseren Smart­phones und Tablets. Wollen ständig erreichbar und online sein, um nur ja nichts zu verpassen – ob beruf­liche Chancen oder neue Schlag­zeilen im konti­nu­ier­li­chen Infor­ma­ti­ons­fluss. Nicht selten glauben wir, uns auszu­kennen, den Datend­schungel zu durch­schauen und die volle Kontrolle über unser digitales Ich zu haben. Ein naiver Irrglaube, wie immer neue Enthül­lungen schmer­z­lich zeigen. So verheißungs­voll das Netz auch sein mag, müssen seine Schwächen und Schat­ten­seiten immer mitge­dacht werden. Der lange Zeit unge­bremste Opti­mismus hat uns angreifbar gemacht. Und ebenso blind. Für Probleme und Bedro­hungen.

Das Inde­pen­dent-Drama Discon­nect schlägt genau in diese Kerbe. Spürt den Konse­quenzen der umfas­senden Tech­ni­sie­rung nach. Will veran­schau­li­chen, auf welche Weise digitale Medien Bezie­hungen beein­flussen und direkte Inter­ak­tion unter­graben. Zu spät kommt dieser Film (bereits 2012 auf den Festivals in Venedig und Toronto zu sehen) keines­wegs. Auch wenn die Gefahren der Netz­kultur mitt­ler­weile jedem bekannt sein dürften, sind gravie­rende Verän­de­rungen im Nutzungs­ver­halten noch lange nicht zu spüren. Viele machen weiter wie zuvor. Geben persön­liche Infor­ma­tionen offen­herzig preis oder halten sich online mit Beschimp­fungen und Verleum­dungen nicht zurück.

Das Unter­fangen, das Henry-Alex Rubin in seinem Spiel­film­debüt unter­nimmt, ist durchaus ambi­tio­niert. Immerhin erzählt er in drei parallel ablau­fenden Hand­lungs­strängen, die sich nur gele­gent­lich über­schneiden, von hoch­gradig brisanten Themen wie Onlin­epor­no­grafie mit Minder­jäh­rigen, Cyber-Mobbing und digitalem Datenklau. Extrem­ge­fahren der schönen neuen Medi­en­welt, die der Regisseur – das lässt der viel­sa­gende Filmtitel bereits anklingen – zu einem pessi­mis­ti­schen, freilich wenig origi­nellen Befund verdichtet: Obwohl wir eigent­lich immer vernetzt sind, verlieren wir mehr und mehr den Anschluss an unsere Mitmen­schen. Werden zu Fremden, die nur noch über Monitore und Touch­screens mitein­ander kommu­ni­zieren.

Eine solche Entwick­lung zeigt die Episode rund um die Jour­na­listin Nina Dunham (Andrea Rise­bo­rough), die, auf der Suche nach einer karrie­re­för­der­li­chen Story, das Vertrauen des minder­jäh­rigen Porno­dar­stel­lers Kyle (Max Thieriot) gewinnt und eine Doku­men­ta­tion über sein Leben drehen will. Sie zeigt sich auch beim dauer­ge­stressten Anwalt Rich Boyd (Jason Bateman), der seine Familie vernach­läs­sigt, ständig mit seinem Handy beschäf­tigt ist und daher nicht mitbe­kommt, dass sein Sohn (Jonah Bobo) Opfer einer Cyber-Mobbing-Attacke wird. Der verschlos­sene Junge glaubt, in einem sozialen Netzwerk eine Freundin gefunden zu haben, und teilt mit ihr intime Details. Nichts ahnend, dass das Mädchen nur eine Erfindung des Mitschü­lers Jason Dixon (Colin Ford) und eines Kumpels ist. Jasons Vater (Frank Grillo) wiederum hat nach dem Tod seiner Frau den Zugang zu seinem Sohn verloren und übersieht, wozu die Lange­weile des Jungen führt. Ausblei­bende Kommu­ni­ka­tion liegt ebenso bleiern über der dritten Episode, die von Cindy (Paula Patton) und Derek Hull (Alexander Skarsgård) berichtet. Einem jungen Ehepaar, das sein Kind verloren hat und in hilfloses Schweigen sowie blinden Aktio­nismus verfällt. Während Cindy in Inter­net­foren nach Gleich­ge­sinnten sucht, um ihre Trauer zu verar­beiten, taucht ihr Mann in die Welt des Online-Pokers ein. Nur um eines Tages fest­zu­stellen, dass ihre persön­li­chen Daten gestohlen wurden und sie plötzlich zahlungs­un­fähig sind.

Betont ernsthaft nähert sich Rubin seinen emotional aufge­la­denen Geschichten. Das unter­streicht schon die nüchterne Bild­sprache. Ausge­wa­schene Farben domi­nieren, insze­na­to­ri­sche Ablen­kungen bleiben auf ein Minimum reduziert. Fast doku­men­ta­risch erscheint der filmische Blick (Rubin machte unter anderem als Co-Regisseur des Oscar-nomi­nierten Doku­men­tar­films Murder­ball auf sich aufmerksam), der sich ganz auf die Figuren und ihre Schick­sale konz­en­triert. Ein klarer Fokus, umrahmt von einem unauf­ge­regten, aber präzisen Erzähl­rhythmus. Das Bemühen um Authen­ti­zität macht sich auch bemerkbar im zurück­ge­nom­menen, aber eindring­li­chen Spiel der Darsteller. Erfahrene Mimen wie Jason Bateman überz­eugen dabei ebenso wie die zahl­rei­chen jungen Akteure.

Für einen knapp zweis­tün­digen Episo­den­film wenig verwun­der­lich, gelingt es freilich nicht, die darge­stellten Proble­ma­tiken in all ihrer Komple­xität zu beleuchten. Manche Entwick­lungen und Phänomene sind im Drehbuch (Autor: Andrew Stern) verknappt, ohne dass sie deshalb allzu undif­fe­ren­ziert erscheinen würden. Ärger­li­cher ist da schon der mora­li­sche Zeige­finger, den Rubin trotz insze­na­to­ri­scher Umsicht mehrfach durch­scheinen lässt. In allen Episoden betont er, dass ein Umdenken der Figuren erst dann möglich wird, als das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Sprich: Tragische Ereig­nisse die Verblen­dung durch digitale Medien offen gelegt haben. Bezeich­nen­der­weise ziehen die langsamen Annähe­rungen weitere Verwick­lungen nach sich, die in jedem Erzähl­strang letztlich zu einer gewalt­samen Eska­la­tion führen. An dieser Stelle treten die drama­ti­schen Kern­ge­danken leider hinter einer allzu kalku­lierten Plot-Mechanik zurück und werden überdies vom Klischee­bild des eigen­händig nach Gerech­tig­keit suchenden Ameri­ka­ners über­la­gert. Gewöhn­li­cher Span­nungs­aufbau gewinnt hier die Überhand, was ange­sichts der ansonsten unauf­ge­regten Erzähl­weise doch irri­tieren muss.

Erfreu­li­cher­weise macht es sich Discon­nect nach der Kulmi­na­tion der drei Hand­lungs­stränge aller­dings nicht so leicht, die vorhe­rigen Ereig­nisse in billige Affir­ma­tion zu über­führen. Auch wenn Hände gereicht werden, Umar­mungen zu beob­achten sind und Hoff­nungs­schimmer aufblitzen, wirken Unsi­cher­heiten und unge­klärte Fragen über die letzten Einstel­lungen hinaus. Ein erster Schritt zu einem besseren Mitein­ander ist viel­leicht getan, mehr auch nicht. Mit dieser Ambi­va­lenz wird der Zuschauer entlassen und kann für sich selbst entscheiden, welche Erkennt­nisse er aus dem Episo­den­drama für seinen digitalen Alltag mitnehmen will.