Die wandernde Erde II

Liu lang di qiu 2

China 2023 · 173 min. · FSK: ab 12
Regie: Frant Gwo
Drehbuchvorlage: Cixin Liu
Drehbuch: , , ,
Kamera: Michael Liu
Darsteller: Wu Jing, Andy Lau, Xuejian Li, Zina Blahusova, Liya Tong u.a.
Filmszene »Die wandernde Erde II«
Mathematik der Gefangenschaft
(Foto: Plaion Pictures)

Panasiatisch grundierter Universalismus

Spekulatives Spektakel: Der chinesische Film Die wandernde Erde II ist tolles Blockbusterkino. Er gibt das Bild einer Welt, die nicht mehr unilateral ist, und bezeugt eine filmökonomische Erdplattenverschiebung

»Die Stunde vor Sonnen­auf­gang ist immer die dunkelste.« Dialog­auszug

Die Geschichten der Zukunft werden nicht länger von Hollywood diktiert. Auch wenn die Filme unserer Welt immer noch die den globalen Unter­hal­tungs­markt bisher domi­nie­rende nord­ame­ri­ka­ni­sche Drama­turgie nachahmen, gibt es auch im Kino wie in anderen Enter­tain­ment­be­rei­chen längst einen Aufstand des soge­nannten »Globalen Südens«.
Frant Gwos Die wandernde Erde II, der jetzt in den deutschen Kinos läuft, ist ein guter Beleg dafür, wie in den neuen Geschichten anderer Länder und Kulturen die ange­knackste Moral eines innerlich schwächelnden Westens mit Zukunfts­ge­wiss­heit und Wissen­schafts­op­ti­mismus, also den alten Tugenden der klas­si­schen Aufklärung kuriert wird – der neue Hand­lungsmut wird aller­dings auch mit aufge­klärter Despotie und dem poli­ti­schen Setting einer wohl­mei­nenden Auto­kratie erkauft.

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Ein »weiterer Waldbrand«, »eine weitere Stadt verschwindet« – apoka­lyp­tisch sind die ersten Bilder und pessi­mis­tisch die Gespräche der Menschen.
In Frant Gwos Die wandernde Erde II befindet man sich in der nahen Zukunft des Jahres 2044; der Klima­wandel ist fort­ge­schritten und die Erde hat sich noch stärker und viel schneller erwärmt, als es die pessi­mis­tischsten Prognosen unserer Gegenwart vorher­sagen. Doch zum exis­ten­ti­el­leren Problem der Mensch­heit ist die Sonne geworden. Sie beginnt zu verglühen und droht als »Roter Riese« die Welt zu verschlingen. »Die Erde wird in 100 Jahren verschluckt, das Sonnen­system in 300 Jahren nicht mehr exis­tieren.« konsta­tiert eine Figur gleich zu Beginn und stellt die nahe­lie­gende Frage: »Was sollen wir machen?«

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Glück­li­cher­weise haben sich aber auch die tech­ni­schen Fähig­keiten der Mensch­heit in wenigen Jahr­zehnten quan­ten­sprung­artig verbes­sert: Es gibt eine Weltraum­sta­tion, in der die ganze Mensch­heit mitein­ander verbunden an Lösungs­sze­na­rien arbeitet, und die von fern an jene aus Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey erinnert. Statt einer Odyssee durchs Weltall steht den Personen in diesem Film aller­dings zuvor eher ein troja­ni­scher Krieg bevor, der mit härtesten Bandagen und statt mit Hilfe der Götter mit Super-High-Tech ausge­fochten wird. Die Gefühle der Menschen aber sind über alle Erfah­rungen hinweg dieselben geblieben: Man flirtet auch im Weltraum mit Rosen­sträußen, und ein totes Kind ist ein uner­setz­li­cher Verlust, selbst wenn sich dessen Bewusst­sein und Sprache digital repro­du­zieren lassen.

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Die ganze Mensch­heit lässt sich damit aller­dings nicht retten, darum gibt es auch hier einen Super-High-Tech-Plan. Er lautet: »Projekt Wandernde Erde«, und will mittels eines »Erd-Trieb­werks« den kompletten Planeten in ein neues Sonnen­system verschieben. Man sollte hierüber nicht länger sinnieren als über die Mars­men­schen und Aliens in einem x-belie­bigen Holly­wood­knaller. Es genügt, zu akzep­tieren: Glaube kann Berge versetzen, Wissen­schaft in diesem Film die ganze Erde.

Die wandernde Erde II ist auch ein Meilen­stein der filmö­ko­no­mi­schen Erdplat­ten­ver­schie­bung und einer neuen »geopo­li­ti­schen Ästhetik« (Frederic Jameson), deren Zeugen wir derzeit werden: Der globale Süden meldet sich zu Wort, und lässt sich seine Geschichten nicht länger von Hollywood diktieren. Zugleich ahmt der Film die den Weltmarkt bisher noch domi­nie­rende nord­ame­ri­ka­ni­sche Drama­turgie in vielem einfach platt nach: Helden sind in der Regel männlich und reüs­sieren eher durch Tat- und Muskel­kraft als durch intel­lek­tu­elle Leis­tungen; sie sind opti­mis­ti­sche oder von persön­li­chen Traumata moti­vierte Indi­vi­dua­listen, die bereit sind, sich gegen »die Gruppe« zu stellen. Das Klischee »asia­ti­scher Werte«, nach denen in Ostasien angeblich das Kollektiv und die Nation über dem Einzelnen stehen, unter­mauert dieser Film an keiner Stelle. Auch wenn positiv konno­tierte Figuren willens sind, sich im Notfall für ein »höheres Ziel« zu opfern, entspricht das dem Helden­mindset Holly­woods.
Zwei bedeu­tende Frau­en­fi­guren gibt es aller­dings; und im Gegensatz zum konser­va­tiven, letzt­end­lich puri­ta­ni­schen Holly­wood­kino stehen diese mit beiden Beinen fest im Berufs- und Action­hel­din­nen­leben und sind darin den Männern mindes­tens eben­bürtig, im entschei­denden Moment sogar überlegen: Sie dürfen nämlich Intellekt zeigen und um die Ecke denken, wo die Männer allzu­schnell geradeaus gegen die Wand rennen.
All diese Haupt­fi­guren werden von chine­si­schen Super­stars verkör­pert, darunter Zhu Yanmanzi (»Puppy Love«), Li Xuejian (»Der Kaiser und sein Atten­täter«), Hongkong-Action­held Andy Lau, und Wang Zhi.

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Drama­tur­gisch schwer macht es dem Film die Tatsache, dass es im Prinzip keinen wirk­li­chen Anta­go­nisten gibt, keinen Feind. Zwar gibt es eine Terror­gruppe, die im Namen »des digitalen Lebens« Terror­akte verüben und sogar eine Weltraum­sta­tion zum Absturz bringen. Aber deren Anhänger werden nur selten plastisch, sondern bleiben so diffus wie ihre Ziele, und haben keinen größeren Effekt als ein gele­gent­li­cher Meteo­ri­ten­schauer. Der eigent­liche Anta­go­nist ist hier die Natur, ist die drohende Auslö­schung der Mensch­heit selbst. Es gibt für die Figuren vor allem verschie­dene Arten, sich ihr gegenüber auf der Skala zwischen Mut und Feigheit, Tatkraft und Lähmung zu verhalten und die Heraus­for­de­rung an das Publikum liegt in diesen verschie­denen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­an­ge­boten. Ein Zuschauer wird sich, wenn er hier mitgeht, posi­tio­nieren.

Die Handlung ist im einzelnen melo­dra­ma­tisch und verbindet relativ kompli­ziert verschach­telt drei Haupt­stränge mit unter­schied­li­chen Schau­plätzen und Figuren, zudem schreitet die Story im Laufe des Films um fünfzehn Jahre voran. Das ist anspruchs­voll; dem Publikum wird hier einiges zugemutet und auch zugetraut.

In Stil und Machart ist der Film Spek­ta­kel­kino, auf hohem Niveau, dessen über­wäl­ti­gende, unge­se­hene Bilder, von erstaun­lich guter Compu­ter­technik erzeugt werden. Ästhe­ti­sche Höhe­punkte sind zum Beispiel Martial-Arts-Kämpfe in der Schwe­re­lo­sig­keit und ein »Drohnen-Hagel« nach der elek­tro­ni­schen Notab­schal­tung hunderter von Drohnen. Ein paar Luft­kämpfe im Weltraum erinnern tatsäch­lich ein bisschen an Star Wars, die Kata­stro­phen­bilder und die grund­sätz­liche Chuzpe der Macher an Roland Emmerich.

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Das ist ein ideo­lo­gi­scher und wenn man so will auch kultur­im­pe­ria­lis­ti­scher Film. Aber nicht stärker, als es fast jedes Produkt aus Hollywood ist. Nur sind es hier die Chinesen, die an die Zukunft wie an mensch­liche Hand­lungs­fähig­keit glauben, die opti­mis­tisch sind, und in vieler Hinsicht auch psycho­lo­gisch als Erben des Ameri­ka­ni­schen Traums auftreten.

Aber es gibt auch markante Unter­schiede, gerade in den poli­ti­schen Zukunfts­bil­dern: In der Origi­nal­ver­sion (im viel­spra­chigen China werden auch einhei­mi­sche Filme in der Regel im Original mit Unter­ti­teln gezeigt) sind viele Sprachen zu hören, die nur den Menschen im Film per Über­set­zungs­pro­gramm digital direkt aufs Ohr gesetzt werden. Das ist ein schlüs­siges Zukunfts­bild für eine Welt, die nicht unila­teral ist, in der es tatsäch­lich nicht mehr primär um den Westen und schon gar nicht mehr um die Ameri­kaner und die englische Sprache allein geht. Man spricht hier natur­gemäß Chine­sisch, aber auch Russisch, auch Fran­zö­sisch, auch Englisch, aber ebenso Japanisch und Korea­nisch. Keine Sprache ist privi­le­giert. Vielfalt wird vereint unter einem neuen, panasia­tisch grun­dierten Univer­sa­lismus.

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Einer der drei zentralen Erzähl­stränge spielt am UNO-Haupt­quar­tier in New York rund um einen chine­si­schen Spit­zen­di­plo­maten, der das »Projekt Wandernde Erde« stark voran­treibt. Dabei arbeitet er selbst­ver­s­tänd­lich mit den US-Ameri­ka­nern zusammen. Diese sind hier nicht etwa »böse« und geopo­li­ti­scher Rivale, sondern allen­falls ein bisschen naiv und grob­schlächtig, vor allem aber nur noch eine von vielen Mächten in einer UNO, in der China die erste Geige spielt und auch sonst die asia­ti­schen Mächte Japan, Korea, Russland längst eine wich­ti­gere Rolle haben, als der alte Kontinent Europa, aus dem allein Frank­reich nach wie von Bedeutung zu sein scheint. Nur jener asia­ti­sche Rivale, den China in Wirk­lich­keit für die Zukunft am meisten fürchtet, nämlich der indische Subkon­ti­nent, kommt in dieser Welt bezei­chen­der­weise so gut wie gar nicht erst vor.
Es sind solche beiläu­figen Beob­ach­tungen und sorg­fältig plat­zierte Details, die Die wandernde Erde II über das übliche Spek­ta­kel­kino, woher auch immer es jeweils kommen mag, hinaus­heben und in allem Lärm aus Raketen, Explo­sionen und Sonnen­s­türmen für stille Augen­blicke sorgen.

Natürlich ist dieser Film trotzdem auch das: Spek­ta­kel­kino. Genauer gesagt: ein chine­si­scher Block­buster für die heimi­schen Kinos, der an den Riesen­er­folg von Gwos Vorläufer Die wandernde Erde anknüpfen soll, der allein in der Volks­re­pu­blik über 700 Millionen Dollar einspielte, und zu Unrecht in Deutsch­land mehr als in den USA etwas respektlos übersehen und als teuer gemachter B-Movie verachtet wurde.

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Dies ist über­bor­dende Wissen­schafts-Fantasy wie klas­si­sche Science-Fiction, der en passant die Gefahren von Tech­nik­feind­schaft thema­ti­siert, und Sozi­al­struk­turen der Gegenwart in die Zukunft fort­schreibt, wenn Arbeiter hier Angst haben, dass ihnen Quan­ten­com­puter die Arbeit wegnehmen könnten.

Das Schöne an diesem Film ist nicht zuletzt, dass er sich nicht, wie der innerlich schwächelnde Westen mit seinem brüchig gewor­denen Selbst­be­wusst­sein in Selbst­mit­leid, Zukunfts­skepsis und Dystopien ergeht, sondern an die Zukunfts­ge­wiss­heit, den Wissen­schafts­op­ti­mismus und die Tech­nik­be­geis­te­rung des klas­si­schen Science-Fiction und seiner Goldenen Ära in den 50er Jahren anknüpft, an Autoren wie Arthur C. Clark, Isaac Asimov, Ray Bradbury.

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So kann man Die wandernde Erde II durchaus einiges abge­winnen: Nicht zuletzt eine wohl­tu­ende Unschuld, einen opti­mis­ti­schen Huma­nismus, den nur Zyniker als »naiv« abtun werden, und der viel­leicht das ethische Fundament für eine Zukunft legt, in der die Mensch­heit die Hand­lungs­hem­mungen der Gegenwart über­windet, um die lange vertagten Heraus­for­de­rungen unserer Gegenwart im letzten Moment dann doch noch zum Guten zu bewäl­tigen.

Dieser Huma­nismus ist hier aller­dings – dies soll auch nicht verschwiegen werden – verbunden mit dem poli­ti­schen Setting einer wohl­mei­nenden Auto­kratie – wobei die Themen poli­ti­sche Reprä­sen­ta­tion und Herr­schafts­tech­niken hier weit­ge­hend ausge­blendet bleiben. Aber auch das ist nicht grund­sätz­lich anders, als in Hollywood, das in zahl­rei­chen Beispielen vorführt, das Not kein Gebot kennt, und der Tatmensch/Action­held sich dadurch auszeichnet, dass er im richtigen Moment alle Regeln und Verfahren der »Eierköpfe« ignoriert. In Roland Emmerichs Inde­pen­dence Day sind es nicht die Gleichen, Vielen der Founding Fathers, sondern der zum charis­ma­ti­schen Führer und Dezi­sio­nisten gewordene US-Präsident, der selbst als Kampf­pilot die außer­ir­di­schen Invasoren besiegt.

Der indi­vi­dua­lis­ti­sche Heroismus ruht hier immerhin auf mehreren Schultern. Und auf der Willens­frei­heit. Gegen alle Schick­sals­er­ge­ben­heit antwortet auch der Computer auf eine entspre­chende Frage, die Geschichte der Zivi­li­sa­tion habe »gezeigt, dass das Schicksal in den Entschei­dungen der Menschen liegt.« Darauf antwortet einer der Helden: »Ich wähle die Hoffnung.«