Dogman

Italien 2018 · 99 min. · FSK: ab 16
Regie: Matteo Garrone
Drehbuch: , ,
Kamera: Nicolai Brüel
Darsteller: Marcello Fonte, Edoardo Pesce, Alida Baldari Calabria, Nunzia Schiano u.a.
Fata­lismus als Ausdruck exis­ten­zi­eller Verzweif­lung

Auf den Hund gekommen

Es ist wenig über­ra­schend zu erfahren, dass sich Matteo Garrone jahrelang vorrangig der Malerei gewidmet hatte, bevor er sich ernsthaft ins Film­ge­schäft zu stürzen begann. Bereits die erste Szene in Dogman wirkt mit ihrer Kombi­na­tion aus Düsternis und einer drama­ti­schen Licht­set­zung sowie in ihrer Bruta­lität wie ein animiertes Gemälde von Cara­vaggio. Nur ist es bei Garrone keine schöne Judith, die dem musku­lösen Holo­fernes mit einem Schwert das Haupt absäbelt, sondern ein häßlicher Kampfhund, der dem schmäch­tigen Hunde­fri­seur Marcello (Marcello Fonte) die Hand abzu­beißen droht.

Dabei will der sanfte Hunde­fri­seur das fiese Vieh bloß waschen. Das gehört zum Job in seinem schäbigen Hunde­salon »Dogman«, der sich am Rande eines herun­ter­ge­kom­menen italie­ni­schen Küsten­orts befindet. Die dortigen allmäh­lich verfal­lenden Gebäude bilden eine ähnlich triste Kulisse wie der monströse vergam­melte bruta­lis­ti­sche Wohnblock in Garrones scho­nungs­losem Mafi­a­drama Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra (2008). Und das depri­mie­rende Szenario dient in beiden Filmen als adäquater Hinter­grund für das desil­lu­sio­nie­rende Treiben der sich in ihnen bewe­genden Gestalten.

Der sanft­mü­tige Marcello hat sich mit seinem Hunde­salon ein kleines, beschei­denes Glück aufgebaut. Nebenher verdient er sich ein paar Euro dazu, indem er Koks verkauft. Dieses Extrageld verwendet Marcello vorrangig, um seiner geliebten kleinen Tochter Alida (Alida Baldari Calabria), welche die meiste Zeit bei der Mutter wohnt, auch mal etwas bieten zu können. Auch ansonsten ist er sehr bemüht, es allen recht zu machen, um als Teil der örtlichen Gemein­schaft akzep­tiert zu werden.

Marcello versucht sogar ein freund­schaft­li­ches Verhältnis mit dem frisch aus dem Gefängnis entlas­senen Ex-Boxer Simone (Edoardo Pesce) zu wahren, obwohl dieser ihn ebenso tyran­ni­siert wie alle anderen im Ort. Simone ist ein dumpfer, gewis­sen­loser und brutaler Schläger, den alle hassen und der Marcellos Gutmü­tig­keit nur dazu ausnützt, um diesen immer wieder gegen dessen Willen für krumme Dinger einzu­spannen. Das erreicht einen Punkt, an dem es selbst Marcello zu viel wird – und dieser sich entschließt, sich mit allen Mitteln den verlo­renen Respekt vor seiner Person wieder zurück zu erkämpfen.

Die erste Szene mit Marcello und dem zähne­flet­schenden Kampfhund nimmt nicht nur in verklei­nerter Form die spätere Konfron­ta­tion zwischen dem gutmü­tigen Hunde­freund und dem gewis­sen­losen Kokskopf Simone vorweg. Die beiläu­fige Brillanz ihrer Insze­nie­rung zeigt zudem, was Matteo Garrone als Filme­ma­cher so einzig­artig macht. Gomorrha und Dogman wirken auf den ersten Blick wie bestimmte Arthouse-Dramen, die mithilfe einer fast unter­in­sze­nierten Kargheit eine besondere Wirk­lich­keits­nähe zu erreichen – aber mögli­cher­weise auch eine gewisse visuelle Ideen­lo­sig­keit zu kaschieren – versuchen.

In Wirk­lich­keit befindet sich Garrone in der Beherr­schung seiner visuellen Mittel auf Augenhöhe mit seinem Landsmann Paolo Sorren­tino (Ewige Jugend). Doch während sich Letzterer passend zu seinen opern­haften Geschichten in über­bor­denden visuellen Räuschen austobt, ist Garrone gerade dann am meisten bei sich, wenn er sich sowohl auf narra­tiver wie auf insze­na­to­ri­scher Ebene in einem Under­state­ment übt, dessen heimliche Meis­ter­schaft erst nach und nach zum Vorschein tritt. Dass genau hier Garrones große Stärke liegt, zeigt sich auch daran, dass er zuletzt in Das Märchen der Märchen den gegen­tei­ligen Weg beschritten – und dabei ziem­li­chen Schiff­bruch erlitten – hatte.

Mit Dogman kehrt Garrone wieder auf seinen persön­li­chen Pfad der Tugend zurück. Trotzdem erreicht das Drama um den auf den Hund gekom­menen Marcello nicht die gleiche Eindring­lich­keit wie sein Meis­ter­werk Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra. Denn das auf dem gleich­na­migen Buch von Roberto Saviano aufbau­ende Mafi­a­drama um die Machen­schaften der Camorra bestach bei aller visuellen Schlicht­heit auch aufgrund der sich allmäh­lich immer stärker entfal­tenden Komple­xität der Geschichte.

Nicht umsonst ist aus Gomorrha mitt­ler­weile eine gleich­falls brillante Serie geworden, von welcher die ersten zwei Staffeln unter der Feder­füh­rung von Stefano Sollima (Suburra) entstanden. Dahin­gegen ist Dogman auch inhalt­lich von einem derart starken Mini­ma­lismus geprägt, dass sehr bald klar ist, in welche Richtung hier der Köter hecheln wird. Man kann diese Vorher­seh­bar­keit aber auch als kongruent mit dem die Geschichte bestim­menden Fata­lismus ansehen, der wiederum Ausdruck einer tiefen exis­ten­zi­ellen Verzweif­lung ist. Am Ende ist der Dogman »Der Fremde«.

Der Mensch als Tier

Er ist ein überaus sanft­mü­tiger Mensch, eine Ausnahme in den harten Verhält­nissen, in denen er lebt: Marcello, die Haupt­figur und Titelheld von Dogman ist ein Mann mittleren Alters. Rührend kümmert er sich um seine Tochter aus einer früheren Beziehung, und sein Geld verdient er – ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Bekannten – auf anstän­dige Weise: Mit einem Hundeshop für zuge­lau­fene Tiere, als Hunde­sitter und Hunde­pfleger. Schon in den ersten Szenen dieses Films, in denen man sieht, wie er einen überaus aggres­siven Kampfhund mit Zärt­lich­keit beruhigt, versteht man schnell, wie sensibel Marcello ist. Er hat ein großes Herz und eine schwache Seite für seine Hunde, um die er sich liebevoll kümmert.

Dem italie­ni­schen Regisseur Matteo Garrone gelang mit der Verfil­mung von Roberto Savianos Gomorrah ein Welt­erfolg. Mit seinem neuen Film kehrt er nun zu seinem Lebens­thema zurück. Aller­dings ist Dogman kein konven­tio­neller Mafiafilm, sondern ein Werk ganz eigener Art. Gnaden­lose, elegante Böse­wichter gibt es hier nicht. Eher geht es um die schmud­de­lige und alltäg­liche Seite der Camorra, der südita­lie­ni­schen, armen Variante der Mafia.

Von Anfang an macht der Film deutlich, dass Mafia nicht nur Menschen meint, sondern vor allem soziale Struk­turen, ein dichtes Netz aus Bezie­hungen, die eng im Alltag verankert sind. In diese Struk­turen sind vor allem die Unter­schichten und die Underdogs der Gesell­schaft invol­viert.
Edle Anzüge trägt hier niemand, sondern billige Hemden unter glän­zenden Glitter-Jacketts. Manchmal haben die Menschen auch ein zusam­men­ge­rolltes Geld­bündel in der Hand, oder ein Tütchen Kokain versteckt in der Tasche und eine Pistole daheim im Schrank.

Neben den Hunden gibt es hier, in der namen­losen verges­senen Hafen­stadt an der unendlich langen italie­ni­schen Westküste, auch Menschen, die eine Art Tier sind: Vor allem Simone, der junge Mafia-Schläger des Viertels, ein Tauge­nichts und unbe­re­chen­barer Gewalt­täter, der alle hier drang­sa­liert und ärgert, und mit allen denkbaren sozialen Regeln bricht, auch denen der Gesell­schaft des Verbre­chens.

Den Männern des Ortes, die allabend­lich beim Wein zusam­men­sitzen, ist klar: Er kennt keine Grenzen mehr. »Eins steht fest: früher oder später wird ihn einer töten.« Oder man müsse ihn umbringen lassen – so wird da geredet.

Doch noch ist es nicht so weit – Pech für Marcello. Marcello ist ein körper­lich kleiner Mann, und seine größte Schwäche ist, dass er nicht Nein sagen kann.
Und wie sollte er zu einem wie Simone Nein sagen? »Komm mit uns, es ist ein einfacher Job.« So geht es los, und so wird Marcello, der »sauber bleiben« will, hinein­ge­zwungen in einen krimi­nellen Akt.
Tatsäch­lich wird er dann erwischt und muss die Haft­strafe stell­ver­tre­tend für Simone verbüßen. Als er dann wieder heraus­kommt, ist sein bishe­riges Leben kaputt. Nun will Marcello wenigs­tens Geld bekommen, eine Entschä­di­gung von Simone. Als er das nicht bekommt, sondern weiterhin dessen Opfer wird, rächt er sich.

Dogman ist ein Film über Zwangs­lagen. Es ist beacht­lich, wie es Garrone gelingt, in wenigen Minuten ein Milieu zu skiz­zieren. Und wie der Haupt­dar­steller Marcello Fonte größte innere Konflikte in kleinsten Regungen seines Gesichts aufhebt und wie auch eine minu­ten­lange Groß­auf­nahme von Marcellos Gesicht nie lang­weilig wird.

Grund­sätz­lich ist dieser Film von einer klas­si­schen huma­nis­ti­schen, dem italie­ni­schen Neorea­lismus verpflich­teten Bild­sprache geprägt. Manches an Dogman ist aber sehn­suchts­voll stili­siert, anderes wiederum zu einer pessi­mis­tisch ausweg­losen Tragödie verdichtet. Vor allem aber ist Garrone eine facet­ten­reiche Allegorie auf die ambi­va­lenten poli­ti­schen Verhält­nisse in seiner Heimat geglückt.

Und wer ein bisschen Lust an Sprache hat, sollte versuchen, den Film in der Origi­nal­fas­sung mit Unter­ti­teln zu sehen.