Japan 2002 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Takeshi Kitano Drehbuch: Takeshi Kitano Kamera: Katsumi Yanagishima Darsteller: Miho Kanno, Hidetoshi Nishijama, Tatsuya Mihashi, Kyôko Fukada u.a. |
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Bunraku Theater |
»Kirschblüten baden in Tränen!« – so heißt die herzzerreißende Liebesszene, die zu Beginn dieses Films mit zwei schweren Holzpuppen gespielt wird. Dolls, der Titel von Takeshi Kitanos neuem Werk ist zuerst einmal ganz wörtlich zu nehmen: 10 Minuten lang schaut der Film einer Aufführung des traditionellen japanischen Bunraku Theaters zu: Die fast mannshohen Puppen werden von jeweils drei Spielern bewegt, gespielt wird Der Bote aus der Unterwelt, das Meisterwerk Monzaemon Chikamatsus, des großen Dramatikers aus dem 18.Jahrhundert – der japanische Lessing. Doch plötzlich geht ein rosa Kirschblütenregen auf der Leinwand nieder, wir sind im Film, und ein junges Paar schreitet langsam, mit puppenstarren Gesichtern durch einen Park. Miteinander wie eine riesige Nabelschnur verbindet sie ein knallrotes Band. Sie sind »bounded beggers«, das ewig verbundene, aneinander auch gewaltsam gefesselte, bettelnde Liebespaar aus der japanischen Mythologie.
Seine Wanderung beginnt mit einem Liebesverrat, der aus familiärer Verpflichtung, moralischer Schwäche gegenüber dem elterlichen Druck begangen wurde. Ein junger Mann opfert das private Glück für Karriere und Gehorsam – und wird bitter bestraft: Die Zurückgelassene wird wahnsinnig, und verzweifelt hoffnungslos versucht der junge Mann alles wieder gut zu machen. Nun durchwandert das schicksalhaft verkettete Paar die Welt und diesen Film. Am Ende werden es drei Paare sein, deren Liebe jeweils unglücklich scheitert.
So melodramatisch dieser Plot klingt, so sehr betören Bilder und Tonlage des Films. Geschildert werden die intensiven, stillen Liebesgeschichten wie im Bunraki-Theater mit kleinsten Akzentverschiebungen der Gestik und der Sprache – amour fou ohne Zweifel, aber eine der erstickten Art, in der Ekstase sich nach innen wendet.
Daneben sieht man vieles: Ein kleiner rosa Ball fliegt höher, als Bälle es normalerweise zu tun pflegen; ein quitschgelbes Auto fährt durch eine Sommerlandschaft; tiefrote Herbstblätter hängen an den Bäumen; weißer Schnee blendet. Allein seine Farbdramaturgie macht Dolls schon zu einem unvergesslichen Erlebnis: Ein bildersatter, in seiner Zärtlichkeit und Poesie unmittelbar berührender Film. Die Kostüme stammen von Modestar Yoji Yamamoto, besetzt sind die Rollen mit einigen der besten Schauspieler Japans oder mit Outsidern wie dem Popstar Haruna Yamaguchi – Dolls liefert auch seltene Einblicke ins Alltagsjapan der Gegenwart.
Kitano, der mit Hana-Bi vor Jahren weltberühmt wurde, hat nach Kikujiros Sommer und Brother wiederum Neuland betreten. Mit Dolls, der nur dank des Engagement des WDR, der die TV-Rechte kaufte und dadurch den Verleih co-finanzierte, mit einem Jahr Verspätung doch noch auch ins deutsche Kino kommt, ihm ist ein schmerzhaft schöner Film geglückt – sehr japanisch, und doch keinen unberührt lassend. »Dies ist mein gewalttätigster Film« betont der Regisseur – und obwohl hier im Gegensatz zu Brother kein Tropfen Blut fließt, meint er das nicht nur ironisch. Vielmehr erscheint Kitano mit diesem Werk über das Nichts und die Traurigkeit mehr denn je als der große Romantiker des Weltkinos. Ein ebenso kühner, wie reifer Film: Universale Menschheitsthemen werden auf künstlerisch kompromisslos hohem Niveau berührt. Am Ende staunt man, ist aufs Bestmögliche befremdet über einen ungewöhnlichen, auch ungewöhnlich reizvollen Film – und glücklich, weil man ein Meisterwerk gesehen hat.