3 Tage in Quiberon

Deutschland/Ö/F 2017 · 116 min. · FSK: ab 0
Regie: Emily Atef
Drehbuch:
Kamera: Thomas W. Kiennast
Darsteller: Marie Bäumer, Birgit Minichmayr, Charly Hübner, Robert Gwisdek, Denis Lavant u.a.
Als Romy in die Kamera schauen

Bäumer ist nicht Schneider, Romy nicht Sissi

Es war die Rolle ihres Lebens: Sissi. Romy Schneider kam nie so ganz von dem Image der »jungen Kaiserin« los, als die sie mit fünfzehn Jahren zu Weltruhm gelangte. Für ihre Fans und die Boule­vard­blätter in Deutsch­land blieb sie – auch nach ihren Auftritten in den Filmen der großen Filmkunst-Regis­seure Visconti, Chabrol, Sautet, Zulawski, Gavras, Tavernier, Risi oder Miller – immer die süße Sissi, mit der man heimat­film­mäßig träumen wollte. Wer hätte gedacht, dass sie in ähnlicher Weise, fast vierzig Jahre nach ihrem frühen Herztod 1982, das Image einer anderen Schau­spie­lerin domi­nieren würde? »Die neue Romy Schneider«, jubelten die Boule­vard­blätter, als Marie Bäumer ihre Schau­spiel­kar­riere begann. Jetzt hat diese ihren Wider­stand gegen den Ähnlich­keits­fluch auf- und den Erwar­tungen an sie nach­ge­geben. Sie spielt die Schau­spie­lerin, und tatsäch­lich funk­tio­niert das ziemlich gut: In 3 Tage in Quiberon lässt sie »die Romy« Fleisch und Blut, Trauer und Lachen, Wut und Verzweif­lung werden – eine Arbeit an der Legende, die Romy Schneider höchst­per­sön­lich bereits zu Lebzeiten begonnen hatte.

Den größten Anteil an dieser gelun­genen Bäumer-Schneider-Mimikry hat jedoch das Insze­nie­rungs­ge­schick der deutsch-fran­zö­si­schen Regis­seurin Emily Atef. Sie hat es tunlichst vermieden, das allzu bekannte Leben der Romy als Biopic nach­zu­zeichnen, konzen­triert sich statt­dessen auf eine verbürgte Huis-Clos-Situation im Leben der Romy Schneider, in der vieles nur ange­deutet bleibt – ihre Lebens­krise wird auf ganz emotio­nale Weise greifbar, ohne dass Atef auser­zählt. Im Jahr 1981 befand sich Romy Schneider an der rauen breto­ni­schen Küste von Quiberon in einem Sana­to­rium zur Entgif­tung. Sie nutzte die Zeit, um dem »Stern« eines ihrer letzten großen Inter­views zu geben. Es erschien ihr eine der großen Chancen, sich so zu zeigen, wie sie wirklich ist, ihr Image als Sissi zu korri­gieren – auch und vor allem für die Deutschen. Türöffner für Reporter Michael Jürgs, der mit über­zeu­gender Schmie­rig­keit von Robert Gwisdek gespielt wird, war der Fotograf Robert Lebeck (sehr vital: Charly Hübner), ein Freund von Romy Schneider. Er schoss von ihr 600 Fotos in Schwarz­weiß, in allen Lebens­lagen, auf Analog­film. Die drei Tage, in denen das Interview mit Unter­bre­chungen, Strand­aus­flügen und Alkohol-Eskapaden geführt wurde, waren begleitet von der zermür­benden Unge­wiss­heit der Schau­spie­lerin, ob sie das Sorge­recht für ihren Sohn behalten dürfe. Ihre Selbst­an­schul­di­gungen, als Mutter versagt zu haben, die Angst, den liebsten Menschen in ihrem Leben zu verlieren, ihr Verstummen, als dieser sie anruft – all dies wird im Spiel der Marie Bäumer zum bewe­genden Gefühls­ka­rus­sell, in dem sie als Schau­spie­lerin komplett aufgeht: Wir meinen, tatsäch­lich Romy Schneider zu sehen, »eine Frau, 42 Jahre und einsam«, wie sie einmal im Film sagt. Ihr intimer Ansprech­partner ist Freundin Hilde, die vergeb­lich versucht, sie vor allzu­g­roßer Offenheit, dem Alkohol und der Selbst­zer­flei­schung zu bewahren; Birgit Minich­mayer spielt sie als trotzigen Schutz­engel. 3 Tage in Quiberon ist ein klas­si­scher Schau­spie­l­er­film, deutsches Qualitäts­kino.

Atef wollte einen Romy-Schneider-Lookalike-Contest vermeiden, den selbst Marie Bäumer im unmit­tel­baren Vergleich nicht bestehen würde. Daher verzichtet sie auch, die Fotos in den Film zu inte­grieren. Und dennoch: das Origi­nal­ma­te­rial ist in jedem Moment spür- und sichtbar. Die Fotos von Lebeck verwan­delt Atef im Film in Szenen, arran­giert nach ihnen die Schau­spieler im Raum, lässt Marie Bäumer die Posen der Romy Schneider einnehmen. Michael Jürgs, der sich heute in der Öffent­lich­keit ungleich beson­nener gibt, als er dies als drauf­gän­ge­ri­scher »Stern«-Jour­na­list gewesen sein muss, hat Atef außerdem erzählt, worüber jenseits des großen Inter­views gespro­chen wurde, wie die Stimmung war. Dem fügt die Regis­seurin fiktio­nale Anteile hinzu, ausgehend von der Biogra­phie der Romy Schneider. Dieser Trans­po­si­tion des doku­men­ta­ri­schen Materials in filmische Fiktion verdankt sich der Eindruck von großer Nähe und Authen­ti­zität – ein insze­na­to­ri­sches Bravour­s­tück, dessen körniges Schwarz­weiß auf das Origi­nal­ma­te­rial verweist, und das in seinen besten Momenten an Hans-Jürgen Syber­bergs bahn­bre­chenden Film Romy – Portrait eines Gesichts (1966) erinnert. Auch hier sehen wir Romy Schneider offen und scho­nungslos zu sich selbst – sie zieht eine frühe Bilanz in ihrem Leben, alle schwie­rigen Themen, die sie fünfzehn Jahre später peinigen – Selbst­zweifel, Alkohol, Tablet­ten­sucht –, sind schon da. Für Marie Bäumer ist es jetzt die Rolle ihres Lebens: Sie hat die Chance, sich aus dem Schatten der Romy Schneider hinaus­zu­spielen. Bäumer ist nicht Schneider, so wie Romy nicht Sissi war.