USA 2023 · 166 min. · FSK: ab 12 Regie: Denis Villeneuve Drehbuch: Denis Villeneuve, Jon Spaihts Kamera: Greig Fraser Darsteller: Timothée Chalamet, Zendaya, Rebecca Ferguson, Stellan Skarsgård, Josh Brolin u.a. |
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Die Sandwürmer sind wieder los | ||
(Foto: Warner Bros. Entertainment) |
»Er bildet Wellen wie das Meer, er kann zu Wolken aufgewirbelt werden; Staub ist ein noch feinerer Sand. Ein bedeutender Zug ist die Drohung des Sandes, die Arte, wie er sich dem einzelnen Menschen als etwas Aggressives und Feindliches entgegenstellt. Das Gleichförmige, Riesenhafte und Leblose der Wüste konfrontiert den Menschen mit einer kaum überwindlichen Macht: sie besteht aus unzähligen, gleichartigen Teilchen. Sie erstickt ihn wie das Meer, aber auf eine Weise, die heimtückischer ist, es dauert länger. Die Beziehung des Menschen zum Wüstensand bereitet manche seiner späteren Haltungen vor, den Kampf, den er mit wachsender Macht gegen große Schwärme von ganz kleinen Feinden zu bestehen hat.« – Elias Canetti, Masse und Macht
Menschen steigen und fallen und oftmals im selben Moment. Denis Villeneuve spiegelt diese Krisenerfahrung, den Ur-Stoff großer Dramen gleich zu Beginn in imposanten Gewaltbildern. In knallig roten und orangefarbenen Aufnahmen werden Paul Atreides, seine Mutter und die eingeborenen Fremen von Harkonnen-Schergen attackiert. Männer in schwarzen Anzügen fliegen durch die Luft, erklimmen Felsen und krachen dann wieder erschossen zu Boden, regnen vom Himmel herab. Villeneuve hat mit diesem Film ein weiteres ambitioniertes, anregendes Stück Unterhaltungskino geschaffen, das mit großer Lust am verschlungenen Erzählen und einem Gespür für die Sinnlichkeit seiner überbordenden Bild- und Klangwelten begeistert. Seine Freude an praktischen Effekten, opulenten Kostümen, Requisiten und Kulissen stellt sich einer von seelenlosen Digitalwelten dominierten Blockbuster-Kultur ebenso in den Weg wie bereits der erste Dune-Film.
Dune: Part Two schließt unmittelbar an den Vorgänger an, zugleich gewinnt seine Exposition an Substanz und schält Essenzen heraus. Auch visuell ist diese Fortsetzung noch lebendiger und ausgefeilter als der erste Teil, wenngleich ihre Erzählweise stärker damit zu kämpfen hat, alle losen Fäden zusammenzuhalten. Villeneuve hat einen Film inszeniert, der ästhetisch nah am Expressionismus arbeitet. Für Dune: Part Two hat er besonders den Schattenriss für sich entdeckt. Immer wieder taucht er Figuren in Dunkelheit, lässt sie als Silhouetten vor strahlenden Hintergründen auftreten. In Sandstürmen und Staubwolken kann man sich kaum orientieren, bis sich einzelne finstere Gestalten zu erkennen geben.
Menschen erscheinen in symbolträchtig betonten Hell-Dunkel-Kontrasten. In der eindringlichsten Sequenz scheinen sie gar in eine andere Sphäre zu wechseln: Mit dem Eintritt in eine Arena fließen die Bilder ins Schwarz-Weiße. Titanische, brutalistische Bauten streben derweil in abstrakten Formen und Linien gen Himmel. Eine Verführungsszene mit Léa Seydoux zeigt Villeneuve als Lichtinstallation in Gängen, die von blendenden Stroboskopblitzen erhellt werden. Räume, Architektur, Lichtstimmungen sind bei ihm einerseits mit ganz konkreter Präsenz und Haptik aufgeladen, daneben erscheinen sie als unwirkliche, kaum erfassbare Visionen, unterbewusste Zerrbilder einer spätkapitalistischen, gewalttätigen Welt, in der mächtige Strippenzieher Ideologien in Köpfe pflanzen und Menschenmarionetten in einem übergroßen Gefüge auftreten. Das Utopische, Dystopische und Traumatische verschmelzen in Dune: Part Two zur Kultur- und Fortschrittskritik; innere Zustände werden als Materialschlacht nach außen projiziert.
Wenn Paul Atreides mit den Fremen Erntemaschinen in der Wüste sabotiert, um den Handel mit dem kostbaren Spice zu stoppen, ist das ein Kampf unter tierähnlichen Metallmonstren, die sich mit ratternden Zähnen in den Sand fressen und sich mit ächzenden Beinen vorwärtsbewegen. Die Auswüchse des ewigen imperialistischen Raubbaus erscheinen in ihrer körperlichen Gestalt als hässliche Fratze und Verhöhnung des Natürlichen, das es unentwegt in ihr rostendes Stahlgedärm schlingt. Villeneuve sucht dabei größtmögliche Nähe: Er begräbt sein Publikum unter Bergen des krachenden, zerstörenden und zerstörten Metalls und den rumpelnden Klangteppichen von Hans Zimmer.
Die bedeutsamsten Momente sind jedoch nicht die des überwältigenden Spektakels, sondern jene, die den Weg hin zur Eskalation bereiten. Dune: Part Two handelt vom Kontrollverlust, der schon in Teil 1 als Damoklesschwert die Stimmung trübte. Beide Filme verweisen auf Kommendes. Eine Blockbuster-Franchise-Marotte, zweifellos, doch passt diese prozesshafte, offene Erzählweise bestens zu der parabelartigen Struktur, die Herberts Vorlage und Villeneuves Adaption produktiv werden lassen. Part Two konzentriert sich auf die unheilvolle Verkehrung des Solidaritätsversprechens, das in Teil 1 noch als Utopie aufschien. Er beschreibt, an welchem Punkt Akteure falsch abbiegen und wie sich ihre Entscheidungen kontextualisieren lassen. Ein fatalistischer Film, der dennoch erhellend und alarmierend gegenwärtige Gefahren vorführt!
Villeneuves Sci-Fi-Epos analysiert die Verführung der Massen bis zum Krieg. Überhaupt prägt die Masse die gesamte Ausgestaltung: angreifende Menschenmassen, Massen, die auf Würmern in den Kampf reiten, zerstreute, fliehende Massen, jubelnde, betende, gewaltgeile. Das Faschistoide drängt an die Oberfläche. Elias Canetti hat in seinem Hauptwerk »Masse und Macht« die Masse als Erlösung des Menschen aus seiner Vereinzelung und Berührungsfurcht beschrieben. »Der wichtigste Vorgang, der sich innerhalb der Masse abspielt, ist die Entladung. Vorher besteht die Masse eigentlich nicht, die Entladung macht sie erst wirklich aus. Sie ist der Augenblick, in dem alle, die zu ihr gehören, ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen«, schreibt Canetti. Villeneuve zeigt diese Entladung in Dune: Part Two als brutale, unreflektierte Euphorie, andere aufzunehmen, geeint und angeglichen in der Idee einer religiös fundamentierten, besseren Welt. Was die Masse hemmt und sich ihrem Wachstum als Feind in den Weg stellt, muss sie überwinden. Zweifel und Kritik von innen (Pauls Geliebte Chani) erscheinen ihr nicht weniger gefährlich. Elias Canetti nannte diese Gereiztheit Verfolgungsgefühl.
Paul Atreides, der durch jahrelange Propaganda als Messias (v)erkannt wird, weiß besagtes Verfolgungsgefühl zu nutzen und erhebt sich zum Führer jener Masse, die im Eifer immer mehr Menschen bekehren und für den heiligen Krieg mobilisieren will. Lady Jessica, Pauls hexenhafte Mutter, manipuliert im Hintergrund dabei geschickt weitere Ungläubige und redet ihnen die Geschichte vom Erlöser ein. Nach einer Drogen-Nahtoderfahrung kommuniziert sie mit ihrem ungeborenen Kind: Der Drang nach Familienerhalt und die Aussicht auf Macht lassen den Aberglaube wachsen. Dass in der Welt von Dune tatsächlich Magisches, Prophetisches geschieht, daran besteht kein Zweifel. Villeneuve abstrahiert solche Aspekte jedoch klug zu einem grundlegenden Mechanismus, der Untersuchung einer allzu menschlichen Eigendynamik.
Der gierige Baron Harkonnen oder der eifersüchtige Imperator: Solche Feindbilder, geboren aus Rachegelüsten für den Sippenmord, bleiben blass. Sie spielen in ihren Motivationen nur eine marginale Rolle. Was Villeneuve vielmehr interessiert, ist der Kipppunkt, an dem die Masse, die sich auf der Seite des Besseren wähnt, die Mittel der Feinde übernimmt. Sie gibt keine Ruhe, ehe sie die Vorherrschaft über alles und jeden gesichert hat und damit ins Grenzenlose gewachsen ist. Dune: Part Two ist ein brutaler Antikriegsfilm, eine Warnung vor dem aufziehenden Faschismus, der nach Jahren der Krisen, Machtgefälle und Ausbeutung einen Führer herbeisehnt. Man verlässt Dune: Part Two nicht mit dem Eindruck, einen perfekten Film gesehen zu haben. Dafür sind seine verknappt und sprunghaft konstruierten Psychologien, Romanzen, Twists und neuen Figuren zu ungelenk eingeführt. Sie kranken an der inhaltlichen Fülle des literarischen Ausgangsmaterials, dessen Welt man auch in fünf Stunden Film nicht ausreichend erklären kann. Und doch überzeugt Dune: Part Two mit der gnadenlosen Konsequenz seiner Spiegelung.
Wenn Paul Atreides im Laufe seiner Antiheldenreise ins Dunkle gleitet, ist das keine bloße Lust am Bösen. Seine Erbschaft führt nicht zur These eines reinen Determinismus qua Geburt und DNA. Eher erkennt sie die unabdingbare, zusätzlich von außen angestachelte Anpassung an das feindliche Verhalten, will man in der hegemonial strukturierten Welt bestehen, Markt und Menschen kontrollieren, um nicht selbst die Rolle des Unterworfenen einnehmen zu müssen. Viele sind sie in dieser Logik verwandt. Hier wie dort wird der Kampf um die Vormachtstellung mit Gewalt ausgetragen. Paul und sein Gegenspieler tricksen sich mit großen Inszenierungen und Auftritten nach oben, sei es im Schaukampf, pathetischen Reden oder in der Naturbezwingung. Wo die Not groß ist, gedeiht das Ideologische. Jede Störung, jedes noch so kleine Widerfahrnis erscheint so als Bestätigung und Wunder des eigenen Weltbildes, dessen Fronten sich fortwährend verhärten.
Zum Schluss wird das Personal in Shakespeare’scher Tradition in einer hochspannenden Sequenz vor die Hunde gehen. Fortunas Rad der Steigenden und Fallenden wird sich weiterdrehen. Selbst im Tode streckt man noch die Hand nach dem Thron aus. Am Ende ist kein Ende in Sicht. Dune: Messiah, der dritte, abschließende Teil, soll kommen.
»Daß Kriege so lange dauern können, daß sie noch weitergeführt werden, wenn sie längst verloren sind, hängt mit dem tiefsten Triebe der Masse zusammen, sich in ihrem akuten Zustand zu erhalten, nicht zu zerfallen, Masse zu bleiben. Dieses Gefühl ist manchmal so stark, daß man es vorzieht, sehenden Auges zusammen zugrunde zu gehen, statt die Niederlage anzuerkennen und damit den Zerfall der eigenen Masse zu erleben.« (Canetti)
Sehend, um das Chaos wissend, führt Villeneuves Protagonist die Welt in das Verderben und er wird es wahrscheinlich auch künftig tun – wie viele andere vor ihm. Dass Dune: Part Two diesen zyklischen Konflikt auch mit Atomwaffen als Abschreckungsmethode austrägt, rückt sein Arrangieren von Mythen, Erzähltraditionen und popkulturellen Motiven einmal mehr höchst brisant an unsere Gegenwart heran. Das Halluzinieren zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft birgt seit jeher die Faszination und verstörende Kraft dieses Stoffes. Archaisches und vermeintlich Modernes prallen aufeinander. Gibt es überhaupt eine Zukunft in diesem System? Das ist die Frage, die sich in Villeneuves Porträt einer Heimsuchung sowie in aktuellen, apokalyptischen Krisenstimmungen stellt. Im sinnbildlichen Wüstensand sieht sie keine Perspektiven mehr, nur Furcht und Überlebensdrang. Bis sie eine Antwort findet, zergeht sie im Taumel des Rauschs und der Ekstasen, die fremde Substanzen, Rage, Sieg und vergossenes Feindesblut in Hirne speisen.