USA 1997 · 99 min. · FSK: ab 6 Regie: Tom Shadyac Drehbuch: Paul Guay, Stephen Mazur Kamera: Russell Boyd Darsteller: Jim Carrey, Maura Tierney, Jennifer Tilly, Cary Elwes u.a. |
Er schwindelt den ganzen Tag. Von der kleinen Flunkerei über den harmlosen Trick und die handfeste Unwahrheit bis hin zur unverschämten, hundsgemeinen Lüge, Fletcher Reede (Jim Carrey) beherrscht sie alle perfekt. Kein Wunder also, daß er dieses Können im Familienleben kaum mehr zu drosseln vermag. Seine Frau Audrey hat sich bereits von ihm getrennt, und auch sein Sohn Max zeigt sich zunehmend verprellt von Vaters leeren Versprechungen. Die Lage ist also schlimm, denn der geübte Zuschauer weiß ja, was herauskommen könnte, wenn ein amerikanischer Junge nicht regelmäßig mit seinem Daddy Baseball üben kann: Übergewicht, Waffenfetischismus und Befürwortung der Todesstrafe.
Schließlich aber wird Maxens Geburtstagswunsch beim Kerzenausblasen, sein Vater möge doch wenigstens einen Tag lang die Wahrheit sagen, durch nicht näher erläuterte Magie zur Wirklichkeit. Fletcher ist plötzlich unfähig, auch nur die kleinste Notlüge – und deren bedarf er vieler – zu äußern. Verheerend sind die Folgen, jede versuchte Schmeichelei verwandelt sich in eine blanke Frechheit, kein Fettnäpfchen wird ausgelassen, im Nu sind nicht nur sämtliche Kollegen
gehörig beleidigt, sondern auch potentielle Geschäftspartner. Auch Fletchers Redekünste vor Gericht schwinden dahin, denn er reitet sich und seine aktuelle Klientin durch seine ungewollte Wahrheitsliebe immer tiefer ins Schlamassel.
Bald freilich erkennt er die Vorzüge, seines temporären Schwindel-Unvermögens, entdeckt auch die Liebe zu seinem Sohn wieder. Und weil er dem das gleich erzählt und es dabei auch sicher ehrlich meint, hat Max ihn auch wieder ganz doll lieb; ja, und
Audrey auch.
Sie haben Steve Martin kleingekriegt, Dan Aykroyd, Whoopie Goldberg, Robin Williams, Eddie Murphy und alle anderen, sie haben sie abgeschmirgelt, plattgebügelt, eingelullt mit Weihnachtsmelodien, parfümiert und umlackiert, mit süßen Kindern, drolligen Hunden und patenten Frauen verbandelt und dabei reich, dick und langweilig gemacht. Sie werden auch mit Jim Carrey keine Schwierigkeiten haben. Amerika liebt seine Komiker, nimmt sie in den Arm, presst sie an die Mutterbrust und füllt sie so ab, daß sie nur noch Blubb sagen können. Oder wie einst Heinrich Haffenloher sachte: »Isch scheiß disch sowas von zu mit Geld... und irgendwann kommt dann der Punkt, da bist du so mürbe und so fertisch, und dann nimmst dus. Und dann hab isch disch.«
Jim Carrey glich noch in Cable Guy einer komödiantischen Wundertüte, dreißig Gags und Grimassen pro Minute; gewiß ist sein Spiel beizeiten etwas grenzwertig, aber immerhin ein Ereignis, und glanzvolle Virtuosität kann man ihm auch für Der Dummschwätzer nicht absprechen. Doch der Wind, der da diesmal mit einherweht ist lau, muffig, und riecht nach der ganzen Familie.
Die Story vom einsichtigen Vater bremst die natürliche, höchst begrüßenswerte Bösartigkeit von Carreys Komik ganz erheblich. Bei der guten alten Phrase »Am Anfang war er gut, aber dann...« dürfte Carrey jetzt ungefähr das Komma erreicht haben. Bald wird er seine erste romantische Komödie drehen, dann seine erste gaanz, ganz ernste Rolle spielen, irgendwas, wo jemand an Krebs stirbt oder so, und den Rest seiner erlahmenden Arbeitskraft wird er Storys widmen, in denen wesentlich mehr
geheult als geblödelt wird. Klar sind das Behauptungen, aber wir wissen’s doch eigentlich schon:
Wenn die Komödianten an Kraft verlieren, man denke nur an den qualligen Robin Williams, aber auch an Jerry Lewis und Chaplin, retten sie sich immer ins Pathos, und das ist schad, »denn Pathos ist für alle Arten von Darstellern das Gefährlichste, weil es das Leichteste ist.« (Egon Friedell)