USA 2021 · 156 min. · FSK: ab 12 Regie: Denis Villeneuve Drehbuch: Jon Spaihts, Denis Villeneuve, Eric Roth Kamera: Greig Fraser Darsteller: Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgård u.a. |
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Schöne Menschen tun schöne Dinge und verhalten sich gar heldenhaft... |
»Insofern sagt 'Der Wüstenplanet' zwar nichts über die Zukunft, aber alles über die gegenwärtige Verfassung der Filmindustrie.«
- Bodo Fründt über David Lynchs Dune-Verfilmung, SZ 18.12.1984
Irgendwann recht spät in diesem Film kommen die Helden oder was von ihnen übrig blieb, jedenfalls ein versprengter Haufen aufrechter Aristokraten, Jessica von Atreides und Paul Henckel von Messias (oder so ähnlich) zusammen mit galaktischen Ökoaktivisten in deren gut versteckten Unterschlupf. Es wird noch ein bisschen dauern, bis auch Paul sagen wird: »The desert is my home.«, aber er hat seiner Mami schon erklärt, wie diese schicken Latexklamotten funktionieren, die hier jeder trägt, mit denen man einerseits Batman-artig elastisch herumspringen kann, in die man andererseits keinen Schlitz machen darf, weil sie Tränen und Schweiß postwendend in Trink- und Kühlwasser verwandeln. Jeder Mensch ist seine eigene Ökosphäre. So können wir uns unser Leben in gut 8000 Jahren schon vorstellen. Es wird alles doch nicht so schlimm mit dem Klimawandel – aber so richtig top mit der Demokratie läuft es dann auch nicht mehr. Gut für die Menschen von Geblüt (die ja schon jetzt überproportional viele oscarnominierte deutsche Filme machen, und irgendwann bestimmt wieder die Welt beherrschen und uns dienen dürfen).
Wir befinden uns in diesem Film nun endlich auf dem titelgebenden Ort, einem vermeintlich lebensfeindlichen, weil wasserlosen Wüstenplaneten, bei dem es sich vielleicht um Kepler 16b handelt, oder um Tatooine oder um Arrakis, jedenfalls gilt hier: Unter der Wüste liegt der Strand, und deswegen haben die Fremen, das Wüstenvolk auf diesem Planeten unter der Erde auch einen Kräutergarten angelegt, mit ein paar Bonsai, zu trinken gibt es Bionade, es ist also alles fast wie zu Hause. Fremen for Future!
Dune ist das Paradox eines »Arthouse-Blockbusters«, der obschon immer monumental und laut, und vom dröhnenden Soundtrack Hans Zimmers ständig begleitet, trotzdem subtil, raffiniert und klug ist. Das einzige, was ihm wirklich fehlt, bis auf einen reichlich bemühten Moment im ersten Drittel, ist Humor.
Und der bombastische, beim besten Willen lächerliche Ernst dieses Films, der macht es einem schwer, und verleitet den Rezensenten zu bemühten, schlechten Witzen, in der Hoffnung, damit aber das, was in diesem Film liegt, sichtbarer zu machen, als wenn man es ernst wiederkäuen und in philosophische Fladen verwandeln würde.
Sonst ist alles an diesem Film super! Ernsthaft!!
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»This is just the beginning. Dies ist nur der Anfang« – so lauten die letzten Sätze dieses Films. Famous last words. Und eine Botschaft. Denn tatsächlich müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn es bei den bislang anvisierten zwei »Dune«-Filmen bliebe, und hier nicht der Anfang eines neuen weltweiten Pop-Universums entstanden ist, das als Franchise global vermarktet werden wird. Wie Der Herr der Ringe und die Tolkien-Verfilmungen von Peter Jackson, wie George Lucas' Star Wars-Kosmos, wie die Serie His Dark Materials nach Philip Pullman. Die Ähnlichkeiten zu diesen Vorbildern, sind inhaltlich wie formal zu groß.
Die ersten Reaktionen auf die Weltpremiere von Dune bei den Filmfestspielen in Venedig waren überwiegend positiv, wenn es auch gerade von der sehr ökonomisch ausgerichteten US-Branchenpresse kritischere Stimmen gab. Aber egal, für wie gut man diesen Film nun hält – so oder so ist Dune, stargespickt mit Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgard und Charlotte Rampling schon jetzt, unmittelbar nach seiner Premiere, das industrielle und industriepolitische Ereignis des Jahres.
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Im 11. Jahrtausend ist die Welt nicht wesentlich weiter, als heute: Der Weltraum ist besiedelt, aber Demokratie ein unbekannter Begriff. Statt parlamentarisch wird autoritär regiert, statt Kontinenten werden jetzt Planeten besiedelt und ausgebeutet; einige Familien haben sich das Universum aufgeteilt, und regieren wie mittelalterliche Feudalherren den Orbit, Territorien werden vom Vater zum Sohn vererbt, wenn auch die wahre Macht in diesem versteckten Matriarchat bei
Frauen liegt, die im Geheimorden der »Bene Gesserit« zusammengeschlossen sind, dessen Mitglieder in der menschlichen Seele lesen können, wie unsereins in der Tageszeitung, und die eher machtpolitisch als religiös orientiert ist: »Our plans are measured in centuries.«
Irgendwo in einer fernen Galaxis gibt es den »Padishah Imperator Shaddam IV«, der dieses »Heilige Planetarische Reich diverser Nation« mit Manipulation durch Aberglauben (»Planting superstitions or building
the path?«), harter Hand und fiesen Intrigen regiert – auch da hat sich seit dem altrömischen Prinzip des »Divide et Impera« (teile und herrsche) nichts Wesentliches geändert.
»Im Grunde bedienen solche Epen totalitäre Phantasien,« erkennt nun ausgerechnet die Schweizer »Neue Zürcher« mit leicht vorwurfsvollem Unterton. Ja und? Hollywood war immer schon totalitär. Warum schauen wir uns totalitäre Phantasien so gerne im Kino an? Weil wir uns verführen lassen.
»Dreams are messages from the deep.« – Paul, aristokratischer Prinz der Atreides-Dynastie und Dune-Hauptfigur, wird von schön-schrecklichen, ahnungsvollen Träumen gleichermaßen eingelullt, wie heimgesucht. Ein verlockend-hübsches fremdes Mädchen erscheint ihm darin genauso, wie der Tod seines besten Freundes. Es geht um dieses Träumen und Dune ist ein Filmspektakel, das unter anderem das Medium Kino wieder auf die Kunstlandkarte setzt, der die einmalige Erfahrung braucht, etwas auf einer riesigen Leinwand und gemeinsam mit anderen zu sehen.
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»A great man doesn’t seek to lead. He’s called to it. And he answers« – der Wille zur Macht dominiert, und Paul wird im Prinzip mehr als von seinem Vater von seiner Mutter, einer begabten »Bene Gesserit«-Ordensritterin angeleitet: »Remember your technics. Control your impulses. Fear is the mind-killer. Fear is the little death to kill obliteration.«
Trotzdem stapft er zunächst, solange sein Vater Baron Leto Atreides noch lebt, als ein zaudernder Parzifal
planlos-unschuldig durchs Jahr 10191, eigentlich ein Melancholiker und Hamlet, bevor er dann schnell zum Paulus mutiert: Der Organisationsstifter einer gar weltlichen Herrschaft, die sich mit höheren Mächten im Bund wähnt und dem Kaiser Konkurrenz macht – gemeinsam mit dem Frauenorden.
Denn es sind keine Neurosen, die ihn plagen, sondern eher eine frühreife Erschöpfung, eine tiefere Einsicht in die Verfasstheit dieser Welt. Aber irgendwann wird er töten müssen, und
erst dann wird er vielleicht wirklich ein Messias, der hier übrigens »Kwiesatz Haderach« heißt, was wir für diesen Teil besser wieder vergessen, weil es sowieso nur für Verwirrung sorgt.
Frank Herberts zum Weltbestseller gewordenen amerikanischen Romanzyklus aus den 1960er und frühen 1970er Jahren, der irgendwo zwischen Science-Fiction und Fantasy angesiedelt ist, konstruiert eine Phantasie-Welt, die mehr mittelalterlich-feudalistisch als futuristisch anmutet.
Das Buch wollten schon viele verfilmen. Der in Paris beheimatete Chilene Alejandro Jodorowski zum Beispiel, über dessen psychedelischen Versuch es sogar einen eigenen Dokumentarfilm gibt. Sie hätte auch mindestens zehn Stunden gedauert und wäre schon deshalb jedenfalls eine einmalige Erfahrung geworden. US-Autorenfilmer David Lynch hat es dann geschafft, er erlebte in diesem Film 1984 allerdings den größten Flop seiner Karriere. Erst heute gilt sein monströs besetzter (Freddie Jones, Sting, Virginia Madsen, Max von Sydow, Jürgen Prochnow) und mit befremdenden Blut-und-Boden-Sprüchen bestückter Dune zumindest bei manchen der Fans von Lynch oder dem Buch als Kultfilm.
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Nun also Denis Villeneuve. Herberts 1000-Seiten-Schwarte, deren je nach Zählweise bis zu 14 Folgebände einen ganzen Bandwurm an rhizomartigen Fortsetzungen, Prequels und Seitensträngen erwarten lassen, ist ähnlich wie Star Wars oder Herr der Ringe ein unverdaulicher Brei aus Pseudophilosophie, Religionssurrogaten und New-Age-Mythologien, ökologisch angehaucht, von Machtpolitik und Führerstaat-Phantasien insgeheim fasziniertes, dumpf waberndes Elaborat.
Der einzigartige Franco-Kanadier schafft es trotzdem, auch hier einmal mehr, unroutinierte Bilder auf die Leinwand zu bringen, außergewöhnliches, visuell anspruchsvolles Kino und Tiefgang mit Breitenwirkung zu verbinden. Und mit Aktualität. Denn in »Dune« geht es um Klimawandel und Kolonialismus, um »race«, es geht um Bodenschätze, es geht um Ausbeutung, schlechte wie gute. Um die feinen Unterschiede also. Die kolonisierten Fremen sind so aufgeklärt wie abgeklärt: »Who will our next opressors be?« Dabei beleidigt Dune niemanden, aber begeistert auch durch seinen entspannten, unaufdringlich unkorrekten Blick auf Macht-Verhältnisse und angebliche Privilegien. Manche werden darauf mit den bekannten neuen Empfindlichkeiten reagieren – denn dies ein Film, der in seiner weltweiten Wirkung Hunderte von Proseminaren und »Akademie der Künste«-Ausstellungen über Postkolonialismus aufhebt und ungeschehen macht.
Aber Villeneuves Dune ist ein unvollendetes Projekt, dessen Erzählung erst noch wirklich abgeschlossen werden muss. Dune ist perfekt und unvollkommen zugleich. Der Regisseur schwankt ständig zwischen Texttreue und dem Bedürfnis, zu seinem eigenen präzisen ästhetischen Stil zu finden. Dabei verblüfft der Regisseur mit visionärem Geist und stilistischem Einfallsreichtum. Man erlebt großartige Actionsequenzen, geleitet von einer prächtigen Regie und technischen Ausstattung sowie einer Starbesetzung, in der vor allem Timothée Chalamet und Rebecca Ferguson in Hochform sind: ein Werk also, das wir uns mit großem Vergnügen ansehen können.
Dune ist das Paradox eines »Arthouse-Blockbusters«, der laut, vom dröhnenden Soundtrack Hans Zimmers ständig begleitet, und trotzdem subtil, raffiniert und klug ist.
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Über Inhalte und Aussagen wird nun um so mehr gestritten: So ist es ein weißer Erlöser, der die arabischen Wüsten-Nomaden ähnelnden Fremen befreien wird. Darüber beklagen können sich nur Bornierte. Denn eine Messias- und Retterfigur wird ja nicht deswegen emanzipatorischer oder auch nur »linker«, wenn diese Figur weiblicher oder farbiger besetzt ist. Auch hier erleben wir Blockbusterkino als Aufklärungskino. Denn es geht in Herberts Hippie-Epos ja gerade nicht darum, die Herrschaft einer Hautfarbe durch die einer anderen abzulösen, sondern Rassenunterschiede zu ignorieren und zu tilgen. »Race« ist ein Kriterium in dieser Welt und für Frank Herbert. Zum Trost für alle Besorgten darf man die Beobachtung mitteilen: Die Schurken Harkonnens sind Weiße in schwarzer Kleidung, die Guten sind Nicht-Weiße in heller Kleidung.
Jenseits der großartigen Bilder, das Resultat von Plünderzügen durch Stilgeschichte und Avantgardekunst der letzten zwölfhundert Jahre, bleibt die Handlung eher im Dunklen, oder auf den Bildtableaus zwischengelagert – zumal das Publikum mehrheitlich eher nicht aus lauter Herbert-Kennern bestehen dürfte. Nicht sonderlich origineller Handlungskern: Paul ist zum künftigen Messias bestimmt, muss aber dafür erstmal seinen Vater verlieren, was dem Muttersöhnchen noch recht leicht fällt, um dann auf dem Planeten Arrakis (...my road leads into the desert. If you'll have us, we will come.) eine orbitale Resistance gegen den Vatermörder, den tückischen Baron Wladimir Harkonnen – man beachte den russisch-slawischen Namen – aufzubauen, und alsbald das Töten zu lernen. Auf Arrakis gibt es »Spice«, dieser Treibstoff für Menschen wie Maschinen, eine Wunderdroge, die wie die Alraune ewiges Leben und schönen Rausch verheißt und zugleich Weltraumfahrten überhaupt erst möglich macht, weshalb die Abbaurechte unter den Dynastien des Universums begehrt sind. Vor allem aber gibt es dort die »Fremen«, die einerseits Sklaven, andererseits ein freiheitsliebendes Wüstenvolk sind, das in unterirdischen Höhlen lebt, großartige Raumanzüge auf dem neuesten Stand der Technik trägt, die Schweiß und Tränen zu Wasser recyceln, und das sich mit den »Shai-Hulud« genannten hochhausgroßen Sandwürmern arrangiert hat. »I am Fremen. The desert is my home.«
Ein bisschen sehr Fremen for Future ist das alles, aber warum auch nicht, und Chani, das kesse, gelegentlich etwas naseweise Wüstengirl und zukünftige Prinzessin, könnte man als eine galaktische Luisa Neubauer bezeichnen, wäre die nicht selbst schon aus der Zukunft zu uns gekommen.
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Dazu gibt es viel Dekors und nicht falsche, aber etwas oberflächliche Lebensratgebersätze: »Die Angst tötet den Gedanken«. Nur die Sandwürmer, die aus David Lynch' von Glam-Rock und preußischen Kadetten-Uniformen geprägter Verfilmung noch in Erinnerung sind, fehlen diesmal. Man sieht nur zweimal eine kratergroße Mischung aus Riesenstaubsauger und Vagina Dentata, bis zum Ritt auf diesen heimlichen Hauptfiguren des Romans muss man wohl den zweiten Teil abwarten.
Dabei fühlt sich diese Version von »Dune« manchmal so an, als wolle sie mehr beeindrucken als unterhalten. Sie ist düster, entfaltet in ihren gelungenen Traumbildern ein erschütternd pessimistisches Weltbild und lässt die oberflächlichen Vergnügungen an Science-Fiction zugunsten einer Weltsicht fallen, die eher an Villeneuves Gangsterfilme Sicario oder Prisoners erinnert. Gerade visuell ist Dune eine gewaltige filmische Leistung, ein riesiges Atmosphären- und Stimmungsstück, das in seiner dunklen Schönheit berauschende Wirkung entfaltet.
Vor allem aber macht dieser Film sehr viel Spaß. Schöne Menschen tun schöne Dinge und verhalten sich gar heldenhaft. Blockbuster-Kino at its best!
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Aber wovon erzählt uns dieser Film eigentlich? Heute? Zum einen von Todessehnsucht, ja vom Todestrieb unserer Zivilisation. Anders kann man es leider gar nicht sagen. Gemeint ist jetzt nicht unbedingt die Erderwärmung, das kriegen wir schon durch Technik unter Kontrolle, und wenn doch nicht, dann ist das zwar für die Europäer eine schlechte Nachricht, aber nicht unbedingt für die ganze Menschheit. Aber wir erleben in dieser Erzählung eine unglaubliche Todesfixiertheit.
»Dune« according to Denis Villeneuve ist ein einziger Todesreigen, in dem viele gute, interessante Figuren dutzendweise und vor allem viel zu früh im Film sterben. Man muss auch feststellen, dass Dune im Gegensatz zu vielen Villeneuve-Filmen nicht gerade ein Meilenstein der Ambivalenz ist.
Eher ein – lustiger? – Zufall ist die Koinzidenz zwischen der Handlung von Dune, in der ohne große Vorwarnung
plötzlich eine Kolonialmacht vom Wüstenplaneten abzieht, woraufhin eine andere das Zepter übernimmt, mit dem Abzug des Westens aus Afghanistan.
Soll man sich aber wegen des Scheiterns in Afghanistan nun etwa aus allem heraushalten? Sind der Kulturrelativismus, die Beliebigkeit und eine dumpfe, öde »Vielfalt« die Antwort auf den Zusammenbruch eines Imperiums (der noch nicht einmal das Scheitern »des« Imperialismus bedeutet, denn auch wenn die USA jetzt fertig haben, gibt
es ja immer noch Russland und China)?
Nein, die Antwort auf den Zusammenbruch eines Imperiums lautet Universalismus. Das zeigt dieser Film. Die Zeit der Imperien liegt noch vor uns.