Österreich 2008 · 115 min. · FSK: ab 6 Regie: Kurt Ockermüller Drehbuch: Ernst Hinterberger Kamera: Thomas Benesch Darsteller: Karl Merkatz, Ingrid Burkhard, Klaus Rott, Liliana Nelska u.a. |
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Alles ist anders und doch irgendwie bekannt. |
Edmund „Mundl“ Sackbauer hat Depressionen. Sein Schrebergarten hat wurde platt gewalzt um ein neues Wohngebiet zu errichten. Sein Freund Kurti Blahovec liegt im Sterben. Melancholisch sitzt der fast Achtzigjährige nun auf seinem Balkon im leicht vergammelten 70er Jahre Gemeindebau in der Großfeldsiedlung im 21.Wiener Gemeindebezirk Florisdorf, wo die Hochhaussilos aussehen wie in allen mitteleuropäischen Großstädten. Das Radio dudelt in die Nacht hinein, immer dasselbe „deppate Lied“, bis die Nachbarn randalieren und Mundl, inzwischen eine ganze Batterie von Bierflaschen vor sich und deren Inhalt in sich, derb zurückgrölt: »Mei Liad is ned deppat, Du bist deppat, Du Trottel.«
Mundl (grandios dargestellt von Karl Merkatz), ist der ergraute proletarische Patron einer inzwischen gesellschaftlich stark ausdifferenzierten Wiener Familie in der jeder vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Die Sackbauers sind aufgestiegen: Der Sohn Karli, finanziell durch seine Ehe mit der Modehausinhaberin Irma saturiert und inzwischen selbst im Rentenalter, spielt am liebsten Golf und tut ansonsten nichts. Die Tochter Hanni lebt mit dem unehelichen geborenen Sohn Olaf an der Seite ihres ergrauten und solventen Teilzeitliebhabers Kai Uwe im fernen Hamburg. Sie wird noch immer von Franzi, verehrt, Prototyp eines durchgeknallten österreichischen Halbintellektuellen und vergeistigten Schriftstellers, von Mundl, der Intellektuelle hasst, wegen seiner Brille despektierlich „Nudlaug“ oder „Dioptrinotto“ genannt. Enkel René, Ingenieur und Manager in einem Telekommunikationsunternehmen, ist verwitwet und lebt mit Sohn Edi, der die üblichen Pubertätskrisen eines 13jährigen durchmacht, in einem spießigen, aber teuren Einfamilienhaus. Nur Mundl und seine geduldige und auf Ausgleich bedachte Frau Toni sitzen noch in demselben Gemeindebau, in den sie vor dreißig Jahren eingezogen sind und zetern mit den Nachbarn und der Hausbesorgerin.
Vor dreißig Jahren, 1979, endete auch Ernst Hinterbergers für das ORF produzierte, damals noch als Fernsehspiel bezeichnet Serie Ein echter Wiener geht nicht unter, die auf seinem bereits in den sechziger Jahren publizierten Roman Salz der Erde basierte. Sie endete mit dem Einzug der Familie Sackbauer in eben jenen Gemeindebau. Die Serie war einer der ganz großen Erfolge in der Geschichte des österreichischen Fernsehens – verblüffend, wenn man die Einfachheit der Mittel bedenkt, mit denen zwischen 1975 und 1979 24 Folgen produziert wurden. Ein echter Wiener geht nicht unter war ganz auf den Hauptprotagonisten Mundl Sackbauer zugeschnitten, den jähzornigen und seine Familie tyrannisierenden Wiener Proletarier, der bald zur alters- und milieuübergreifenden Kultfigur avancierte. Seine komischen Schimpftiraden und sprachlichen Einfälle nachzuahmen, wurde schließlich auch in besseren Kreisen en vogue, die Serie, durch mehrmalige Wiederholungen auch dem Publikum in Deutschland bekannt.
An diesen Erfolg knüpft der vorliegende Film von Regisseur Kurt Ockermüller, für den erneut Ernst Hinterberger das Drehbuch verfasst hat, nun an. Dreißig Jahre später sind alle Protagonisten dreißig Jahre älter, eine neue Generation ist hinzugekommen, aus den Kleinkindern sind alleinerziehende Erwachsene geworden, aus den Teenagern die Best Ager von heute – somit ist alles anders und doch irgendwie bekannt.
Nun steht Mundls 80. Geburtstag vor der Tür und seine Frau organisiert ein Fest um die zerstreuten Familienmitglieder wieder zusammenzuführen. Dabei gelingt es ihr auch, die von Mundl wegen ihres unehelichen Kindes einst verstoßene Tochter Hanni wieder mit dem Vaters zu versöhnen. Der Film endet in raunziger Harmonie am Donaustrand, der den verlorenen Schrebergarten ersetzt. Und alles scheint wie am ersten Tag, um von neuem zu beginnen.
Ockermüllers Film steht gut für sich und ist auch für Kinobesucher verständlich, welche die Fernsehserie nicht kennen. Der Film ginge als etwas sentimentale Generationenstudie mit Witz, Charme und Lokalkolorit, aber auch mit einigen dramaturgischen Schwächen durch. Doch erhöht die Kenntnis der Vorgeschichte(n) den Reiz erheblich, zumal – eine logistische Großtat des Produzenten – alle Charaktere mit den gleichen Schauspielern besetzt sind, wie in der Fernsehrserie vor dreißig Jahren und somit das Gefühl vermittelt wird, man sei wirklich Zeuge eines familiären und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses über diese Zeitspanne hinweg. Da sieht man dann auch etwas großzügiger darüber hinweg, dass nicht alle Darsteller gleichermaßen zu überzeugen vermögen, für einen Film dieser Länge eigentlich zu viele Personen auftreten und manche Charakterstudie so an der Oberfläche bleibt. Doch gilt auch hier, was schon für die Serie galt: Die kauzige, politisch in jeder Hinsicht erfrischend unkorrekte und darstellerisch von Karl Merkatz fulminant umgesetzte Figur des Mundl Sackbauer und seine Schimpftiraden, machen diesen Film für alle Freunde des schrägen österreichischen Humors zu einem Muss.