D/CH/NL/L 2004 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Niko Brücher Drehbuch: Niko Brücher, Kiki von Glasow Kamera: P.S.C. Jola Dylewska Darsteller: Ivan Stebunov, Bela B. Felsenheimer, Jochen Nickel, Anna Thalbach u.a. |
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Freiheit und Abenteuer, das schwingt bei diesem Namen mit, den sich eine wenig bekannte Widerstandsgruppe gegen die Nazibarbarei gab. Ein kleines Edelweiß am Knopfloch war ihr heimliches Erkennungszeichen. Sie entzogen sich dem Drill des Staates, dem Krieg, wollten anders sein und wurden so zu Nazi-Gegnern. Sie lebten nach eigenen Vorstellungen: intensiv, rebellisch und gegen jede Konvention.
Sie sind lange, viel zu lange in ihrer Heimat verkannt worden, obwohl sie schon seit Jahren in der israelischen Gedenkstätte Yad Vaschem geehrt werden als »Gerechte unter den Völkern«. Doch in Deutschland gelten sie noch immer offiziell als gemeine Verbrecher. Jetzt endlich – die letzten von ihnen leben noch – erfahren die »Edelweißpiraten«, die in Köln und Umgebung gegen den Terror der Nationalsozialisten kämpften, ihre längst verdiente Anerkennung: Durch den gleichnamigen Film des Kölner Regisseurs Niko von Glasow.
Glasow schönt dieses Bild an keiner Stelle: Der Kampf der Edelweißpiraten war ein proletarischer, eher »linker« Widerstand von unten, der nach dem Krieg so gar nicht in das offiziöse Widerstandsbild passte. Einige der Gruppe waren Kleinkriminelle, entlaufene Zwangsarbeiter und Desillusionierte. Im Jahr 1944 bildeten sie ein für die Machthaber des Unrechtsregimes gefährliches, militantes Gegengewicht gegen die Barbarei. Mit allen Mitteln wurden sie bekämpft.
So bekommt der zu Zuschauer keine Mitleid heischenden Bilder aus dem Führerbunker a la Der Untergang, keine Szenen eines vornehmen Intellektuellenwiderstands auf entlegenen ostpreußischen Landgütern a la Stauffenberg. Weit entfernt sind auch die Dokudramen eines Guido Knopp und alle anderen Foren unserer allzu gewohnten visuellen Vergangenheitsbewältigung. Stattdessen wirft der Film die Zuschauer mitten hinein in die Trümmerlandschaft Kölns im fünften Kriegsjahr. Hier macht die Gestapo Jagd auf versteckte Juden und sucht die Waffenlager des Widerstands von ganz unten. Cilly (hervorragend gespielt von Anna Thalbach) versucht ihre Kinder durch den Krieg zu bringen – in einem verdreckten Kellerloch. Doch sie verliebt sich in den KZ-Flüchtling Hans (Bela B. Felsenheimer). Die Amerikaner sind schon fast in Köln, als sich die Brutalität der Gestapo zur Raserei steigert. Ein letztes Attentat wird geplant – und geht schief. Erzählt wird diese dramatische Geschichte aus der Perspektive der Kölner Brüder Karl und Peter. Beide sind Halbwaisen, der Vater kämpft an der Front.
Edelweißpiraten ist ein rauer Film vom Überleben, der manchmal wie ein Actionfilm wirkt, und auf tatsächlichen Ereignissen in Köln-Ehrenfeld beruht, an deren Ende 13 Jugendliche und Erwachsene öffentlich und ohne Urteil von der Gestapo erhängt worden sind, die jüngsten waren erst 16 Jahre alt.
Gegen das im deutschen Gegenwartskino sonst vorherrschende, überaus cleane Widerstandsbild, in dem Widerstand – siehe Sophie Scholl – Die letzten Tage – immer etwas Bürgerliches, Moralisches, geradezu Heiliges ist, zeigt Glasow einen Widerstand, der aus dem Bauch kommt: körperlich, leidenschaftlich, unreflektiert und romantisch. Und seine Nazis haben keine Argumente, reden überhaupt nicht, sondern schlagen gleich zu. Aber auch diese lange vernachlässigten Aspekte gehören zum vollständigen Bild von Naziterror und Widerstand.
So darf man bei Glasows Film, dem man die emotionale Beteiligung seines Regisseurs – für den sich mit dem Film ein Herzensprojekt erfüllte – jederzeit anmerkt, eher an Scorsese und Coppola denken, als an Schlöndorff. Ein Blick auf das Dritte Reich von unten, aus der Perspektive von Jugendlichen – wild, politisch und voller Leidenschaft und bis zum bitteren Ende wohltuend unversöhnlich.