Eden

Eden – Lost in Music

Frankreich 2014 · 131 min. · FSK: ab 12
Regie: Mia Hansen-Løve
Drehbuch: ,
Kamera: Denis Lenoir
Darsteller: Félix de Givry, Pauline Etienne, Vincent Macaigne, Hugo Conzelmann u.a.
Vertreibung aus dem Paradies

Die letzten Tage des Techno

Mia Hansen-Løve heißt eine fran­zö­si­sche, aus Dänemark stammende Regis­seurin. Sie begann schon vor 20 Jahren als Schau­spie­lerin und ist jetzt mit Mitte 30 immer noch sehr jung und hat in ihrem zarten Alter bereits vier Spiel­filme gedreht. Ihr Neuester heißt Eden und handelt tatsäch­lich vom Paradies, aller­dings einem künst­li­chen: dem der Techno- und House-Musik, die die Popkultur seit Anfang der 90er Jahre domi­nierte.

Die Story umspannt fast 20 Jahre, reicht also bis in unsere Gegenwart. Im Zentrum steht eine Gruppe junger DJs, die auch Musik­pro­du­zenten sind, und von den Partys leben, die sie orga­ni­sieren. Es gibt Lieb­schaften, Freund­schaften in dieser abwechs­lungs­rei­chen Geschichte, Streit und Wieder­sehen, Figuren, die aus der Handlung verschwinden, und dann später wieder auftau­chen, es gibt Tod, Sex und viele Party-Drogen.

Zugleich ist dies aber noch viel mehr: Hansen-Love kreiert hier das Porträt einer ganzen Gene­ra­tion, jener Gene­ra­tion, die ihre Jugend nach dem großen Umbruch lebte, nach dem Mauerfall von ‘89. Es ist eine Gene­ra­tion, für die Partys und Musik, die gelebte Freiheit, zur Utopie werden und die Träume von poli­ti­scher Verän­de­rung oder Lebens­re­form ersetzten.
Das unter­mauert die Original-Musik jener Jahre – deren Rechte die Regis­seurin über­ra­schen­der­weise zu bezahl­baren Kondi­tionen bekommen konnte.

Doch auch im Fall dieser Gene­ra­tion folgt dem Zauber der Anfänge die Desil­lu­sio­nie­rung auf dem Fuß. Die Drogen werden unkon­trol­lierbar, das Geld fließt nicht wie gewünscht. Der ganze große Erfolg der Haupt­fi­guren bleibt aus, statt­dessen wursch­teln sie sich so durch.

Dies ist auch eine auto­bio­gra­phi­sche Geschichte, denn hier verar­beitet die Regis­seurin die Lebens­ge­schichte ihres Bruders. Der arbeitete jahrelang als DJ und versank um ein Haar in der Party­hölle aus Sex, Drogen und Elektro-Beats.

Man muss das nicht wissen, um von der Inten­sität, mit der Hansen-Løve in die Techno-Kultur eintaucht, gefan­gen­ge­nommen zu werden, um sich von der Sympathie, die sie für ihre Figuren hat, und mit der sie die Seelen­lage eines ganzen Zeit­al­ters einfängt, berühren zu lassen.

Eden ist ein musi­k­er­fülltes Statio­nen­drama, das sowohl in Euphorie, wie in Melan­cholie getaucht ist, und dem es gelingt, sich zwischen diesen beiden Gemüts­lagen nicht entscheiden zu müssen. Das liegt an der sehr beson­deren filmi­schen Methode dieser ungemein begabten Filme­ma­cherin: Ihre Kamera ist subjektiv, folgt ihren Figuren in die Party­keller und atmet gewis­ser­maßen im Rhythmus der Beats. Der Blick des Films flaniert zwischen dem Geschehen, wechselt die Perspek­tiven. Durch diese gewis­ser­maßen frag­men­ta­ri­sche Erzähl­weise stellt die Regis­seurin eine Zeit und eine Epoche dar, in ihrer Breite in Form dichter Beschrei­bung, fast ethno­lo­gisch und alltags­ge­bunden – und nicht wie allzu oft im Kino von einer hoch­dra­ma­ti­schen Szene zur nächsten, von Plotpoint zu Plotpoint springend.
Das Besondere an diesem Film ist seine offene Drama­turgie, ist, dass er noch dem kleinsten Detail genauso viel Bedeutung beimisst wie den Personen und den großen Linien seiner Handlung. »Eden« ist ein Film voller Under­state­ment, voller Zurück­hal­tung und dabei neugierig und wahr­haftig.

Im Zentrum steht das Leben selbst, in all seinen Facetten und Frag­menten. Und das Verschwinden der Zeit. Wie Gäste­listen durch Tablets ersetzt werden, wie Garage durch House, House durch Techno. Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter von Daft Punk haben einige Cameo-Auftritte, Laien spielen mit profes­sio­nellen Schau­spie­lern. All das verleiht diesem Film zusätz­liche Authen­ti­zität.

Mia Hansen-Løve ist ein großar­tiger, berüh­render, stel­len­weise nost­al­gie­satter, aber niemals kitschig-senti­men­ta­li­sie­render Film geglückt. Er handelt von der Vertrei­bung aus dem Paradies – der Jugend; der Unbe­schwert­heit.

Den letzten Tagen des Techno.