Deutschland 2021 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Kida Khodr Ramadan Drehbuch: Constantin Lieb, Kida Khodr Ramadan Kamera: Julian Landweer Darsteller: Susana Abdulmajid, Dunya Ramadan, Momo Ramadan, Burak Yigit, Jean-Philippe Adabra u.a. |
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Am Ende der Spirale | ||
(Foto: Alpha Centauri Studios GmbH) |
»Es hat nichts mit Ihrer Migrationsgeschichte zu tun!«
»Welche Migrationsgeschichte? Ich bin Berliner!«
- Dialog in Égalité
Kida Khodr Ramadan ist vor allem durch seine mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Rolle als Clan-Chef Toni Hamady in der Serie 4 Blocks einer wirklich breiten Öffentlichkeit bekannt geworden, obwohl er schon seit der Zusammenarbeit mit dem deutsch-türkischen Regisseur Neco Çelik im Jahr 2003 durch sein differenziertes Schauspiel aufgefallen ist.
Mit seinem Regie-Debüt In Berlin wächst kein Orangenbaum (2020) belegte Ramadan sein Interesse an ebenso differenziertem Arbeiten hinter der Kamera, das er mit seinem zweiten Film Égalité nun ausbaut.
Anders als in seinem Debütfilm tritt Ramadan in Égalité nicht als Schauspieler in Erscheinung, sondern stellt einen jungen in Berlin geborenen Vater mit migrantischem Hintergrund in das Zentrum seiner Erzählung. Attila (Burak Yigit) hat mit seiner Frau Aya (Susana Abdul Majid) bereits zwei Kinder und erwartet ein drittes Kind. Die Familienverhältnisse sind stabil, die Wohnungseinrichtung und die Besitzverhältnisse (Auto, Kleidung) der Familie zeigen uns eine Familie, die es geschafft hat, trotz ihrer migrantischen Wurzeln in den deutschen Mittelstand aufzusteigen. Dass dieser Aufstieg nicht reibungslos verlaufen ist, wird deutlich, als Tochter Leila (Dunya Ramadan) nach einer Standard-Mandel-OP erblindet aufwacht. Versucht Aya besonnen die Situation zu sondieren, ist sie für Attila der Auslöser, seine Frustration über die ungleichen Verhältnisse in Deutschland endlich zu artikulieren. Er vermutet nicht nur Pfusch der behandelnden Ärzte, sondern ein im Nachfeld der OP rassistisch bedingtes Abkanzeln seiner Familie und verliert durch seine zunehmende Wut mehr und mehr den emotionalen Kontakt zu seiner Frau und seinen Kindern.
Ramadan legt in diesem fast klassischen Aufbau eines Sozialdramas nicht nur die Vernachlässigung des Berliner Gesundheitssystems bloß, sondern schafft mit Attila eine differenzierte Persönlichkeit, die in Ansätzen an Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas erinnert, der bereit ist, für die Erlangung seines Rechts alles zu opfern, was er hat, und ganz so wie Kleists Kohlhaas auch bereit ist, seine Frau zu verlieren, um dadurch noch einmal mehr Furor zu entwickeln. Der Kampf gegen ein unerschütterliches System erfolgt im ersten Teil von Égalité aber nicht nur nach kleistschem Muster, sondern erinnert immer wieder auch an die Helden von Sozial-Drama-Altmeister Ken Loach (z.B. Ich, Daniel Blake). Die Gespräche und Telefonate mit dem Krankenhaus etwa sind Paradebeispiele für institutionellen, subtilen Rassismus, an dem schließlich eine ganze Familie zu zerbrechen droht. Gleichzeitig macht Ramadan aber immer wieder auch deutlich, dass es nicht immer nur die Menschen sind, die sich zu Rassismen verleiten lassen, sondern dieses Verhalten meist erst durch Stress und den Druck eines maroden Systems entsteht.
Doch Ramadan will nicht nur die herrschende Moral und ihr System kritisieren, sondern er übt auch system-immanente Kritik auf der anderen Seite. Denn er zeigt einen Mann, der in seiner Schwäche und mit seiner vernarbten Seele so hilflos ist, dass er einer Männlichkeit vertraut, die ihm eigentlich fremd ist, die sich aber wie ein transgenerationales Gespenst über ihn legt und ihn zu völlig irrationalem Handeln und dann auch Gewalt verleitet. Getrübt werden diese und andere emotionale Szenen allerdings immer wieder durch eine musikalische Unterlegung, die zu laut und pathetisch ist und die starken Dialoge dieses Transformationsprozesses eher schwächt als unterstützt.
Mit Attilas spiralenartigem Abgleiten verändert sich auch Ramadans Film und bedient sich klassischer Selbstjustizfilm-Motive. Doch ähnlich wie in jüngeren Arbeiten zu diesem Genre, etwa Anders Thomas Jensens Helden der Wahrscheinlichkeit oder Ilya Naishullers Nobody, nutzt Ramadan diese Motive nur, um auch etwas anderes zu erzählen, um etwa in einer berührenden, mythologisch unterlegten Szene zwischen Attila und Aya zu zeigen, dass die Zeiten andere sind und die Gespenster einer überkommenen Männlichkeit abgeschüttelt werden müssen.
Égalité überzeugt nicht nur an diesen Stellen mit einem differenzierten Blick auf seine Figuren, die sich über 80 kompakte Minuten in eine Entfremdung katapultieren, von der sie zu Anfang des Films nicht einmal etwas geahnt haben. Damit leistet Ramadan auch einen wichtigen Beitrag über die komplexen Untiefen von Integration in einer Gesellschaft, die Integration zwar toleriert, mehrheitlich aber weiterhin nicht akzeptiert.