F/Kanada 2016 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Xavier Dolan Drehbuch: Xavier Dolan Kamera: André Turpin Darsteller: Gaspard Ulliel, Nathalie Baye, Marion Cotillard, Vincent Cassel, Léa Seydoux u.a. |
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Innige Begegnungen mit Nathalie Baye als Mutter |
Er ist ein Falschmünzer, und ein Angeber. Aber bei seinen Fans kann er nichts falsch machen. Der sowieso schon gnadenlos überschätzte Xavier Dolan, ein Darling vor allem nicht mehr ganz junger Filmkritikerinnen und ihrer Publikumsentsprechung – »Doris 56« im Fachjargon – die hier ihre mütterlichen Gefühle entdecken, hat nun wirklich einen unerträglich langweiligen, und außerdem nervtötenden Film gedreht. Einfach das Ende der Welt ist ein übermelodramatisches, innerlich total leeres Gehäuse. Lange hat man keine ähnliche Ansammlung von unsympathischen, einen derart kalt lassenden Figuren gesehen.
Als ein verlorener Sohn nach langer Abwesenheit in sein Elternhaus zurückkehrt, um reinen Tisch zu machen, bevor er sterben wird, steht ihm das Hauptproblem seiner dysfunktionalen Familie im Weg: Eine tiefe Kommunikationslosigkeit, die sich hier in einem riesigen Wortschwall verbirgt, oder hinter Wortfindungsstörungen. Jeder in dieser Familie hat einen Knall – ein derartiges Szenario ist natürlich ein Fest für Schauspieler wie Léa Seydoux, Marion Cotillard, Vincent Cassell und Truffaut-Star Nathalie Baye, die all ihr Können präsentieren, ebenso wie enervierende Schauspieler-Manierismen. Dolan fehlen da bei allem Talent erkennbar die Inszenierungsstrategien. Das Ergebnis ist ein inkohärenter, schriller, missglückter Film.
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Ein verlorener Sohn kehrt nach zwölf Jahren Abwesenheit zurück in sein Elternhaus, für einen knappen Tag. Draußen in »der Welt«, hat Louis sein Glück gemacht; er ist viel gereist und als Autor von Theaterstücken zu Ruhm gekommen. Mit der Familie, der Mutter, der Schwester und vor allem dem verheirateten, ihm in Rivalität verbundenen Bruder, hat er nur über unzählige Postkarten losen Kontakt gehalten. »Immer nur diese Drei-Wort-Antworten« wirft ihm die Mutter später einmal vor. Sie
kann dieses Schweigen nicht verstehen. Denn sie braucht, wie ihre beiden anderen Kinder, für alles weitaus mehr Worte...
»Warum bist du zurückgekommen?« wird er darum auch gefragt. Sie verstehen es nicht. Er hat irgendetwas. Aber was? Wir Zuschauer wissen es eigentlich schon von Anfang an und in der Mitte des Films wird auch dem Unaufmerksamen klar: Er muss ihnen etwas sehr Unangenehmes gestehen, er muss sterben. Aber bis zum Schluss kommt er nicht raus mit dem, was er eigentlich
hat.
Denn die anderen lassen ihn erst gar nicht zu Wort kommen. Jede Möglichkeit eines intimeren Gesprächs wird erstickt von dem ständigen Redeschwall, der hier dominiert. Sobald Louis das Elternhaus erreicht hat, prasseln die Worte auf ihn ein: Laut, vulgär, monomanisch nicht auf Antwort hoffend, narzisstisch nur um den jeweils Sprechenden kreisend.
Dieses endlose Reden, es ist Konzept des Regisseurs, ganz klar. Es soll uns nahelegen, uns mit dem Sohn zu identifizieren, der auch darunter leidet, es soll ganz klar eine besondere Form der Kommunikationsunfähigkeit ausdrücken. Aber der Effekt ist, dass alles auf der Stelle tritt, dass man als Zuschauer sich gepeinigt fühlt von diesen Figuren. Es wäre aber schön, wenn man den einen oder die andere lieben, zumindest schätzen könnte.
Doch selbst Louis (gespielt von Gaspard Ulliel) kommt einem nicht nahe. Er wiederum ist in seiner Passivität und Schweigsamkeit zu vage, zu sehr in Watte gepackt. Zur interessantesten Figur wird dann unerwarteterweise ausgerechnet die von Marion Cotillard gespielte Schwägerin Catherine. Zwar sind es auch hier pure Schauspielermanierismen, wenn sie, die auch unter dem fortwährenden Wortkaskaden leidet, nach Worten sucht, das falsche findet, mit ihnen ringt, sich verspricht, stammelt. Aber immerhin ist das erholsamer.
Interessant an der Figur ist auch, dass sofort eine intimere Verbindung zwischen Catherine und Louis klar wird, dass sogar visuell nahegelegt wird, unter anderen Umständen könnten die beiden ein Liebespaar werden – trotzdem Catherine mit Louis' Bruder verheiratet ist, und vor allem trotzdem Louis wahrscheinlich schwul ist.
Gepasst hätte auf die Rolle übrigens besser Léa Seydoux, die bedeutendere Schauspielerin in dieser Darstellerriege, die hingegen die bisschen bedauernswerte Schwester von Louis spielt, und das so, dass man sie dauernd – und ganz ohne Hintergedanken – in den Arm nehmen möchte.
Zu einer kleinen Katastrophe gerät dagegen der Auftritt von Nathalie Baye als Mutter. Unter ihrer schwarzen Perücke und Zentimetern von Make-up zwar kaum erkennbar, möchte man im Publikum
selber schreien, sie möge endlich den Mund zumachen.
Sobald die Figuren einmal nicht reden, wird der Film besser, mitunter sogar gut. Aber das passiert viel zu selten. Es ist ein Paradox: Dass der junge Kanadier Xavier Dolan, ein grundsätzlich talentierter, sehr visuell denkender Filmemacher ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Aber dem Wunderkind ist der Ruhm zu Kopf gestiegen. Zu einfach macht er sich die Dinge, zu schlampig rotzt er seine Filme geradezu hin, zu viel verlässt er sich auf Worte, zu unausgegoren sind die Bilder und Inszenierungsstrategien.
Denn immer wieder gibt es den erkennbaren Versuch, aus dem Dialoggefängnis auszubrechen und den Film visuell aufzupeppen. Das sieht dann allerdings zu oft aus wie Werbefernsehen: Schnell geschnitten und clean. Wenn dann noch Dolans Dialoginszenierungen dazu kommen, die Hysterie der Charaktere, dann ist es kaum zu aushalten.
Szene reiht sich an Szene, Auftritt an Auftritt. Das Theaterstück von Jean-Luc Lagarce, das die Vorlage des Films bildet, ist reine Mechanik, es klappert gleichförmig dahin, ohne dramaturgischen Bogen, rechts geht eine Tür auf, links eine zu oder umgekehrt, Auftritt auf Auftritt – und so ist es irgendwann einfach zu Ende, könnte aber auch noch weitergehen. Oder schon früher aufgehört haben.