Bulgarien/Deutschland 2023 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Stephan Komandarev Drehbuch: Stephan Komandarev, Simeon Ventsislavov Kamera: Vesselin Hristov Darsteller: Eli Skorcheva, Gerasim Georgiev, Rozalia Abgarian, Ivan Barnev, Stefan Denolyubov u.a. |
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Geld: das Band aller Bande... | ||
(Foto: jip film) |
»Wenn Geld das Band ist, das mich ans menschliche Leben bindet, die Gesellschaft an mich bindet, ist Geld dann nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es daher nicht das universelle Mittel der Trennung?«
– Karl Marx, Frühe Schriften
Es ist vor allem eine traurige und eine bittere Geschichte, die Stephan Komandarev erzählt. Eine Geschichte, die in Ansätzen so auch in jedem anderen europäischen Land passieren könnte, wo Telefonbetrug insbesondere alte Menschen in den finanziellen Ruin treibt. In der bulgarischen Stadt Schumen trifft es die 70-jährige Blaga (Eli Skorcheva), eine pensionierte Bulgarischlehrerin, die von ihrer kargen Pension und den kärglichen Ersparnissen eigentlich das Grab ihres gerade verstorbenen Mannes, eines ehemaligen Polizisten, finanzieren will, doch das innerhalb von 40 Tagen, um seinen Übertritt ins Jenseits auch wirklich zu garantieren.
Doch was dann passiert, dürfte nicht in jedem anderen europäischen Land passieren, sondern ist Teil und Folge des knallharten Transformationsprozesses einer Gesellschaft, die demokratische Strukturen und neoliberale Wirtschaftsdynamiken durch schmerzhafte Erfahrungen lernen muss (der Film heißt im Original dementsprechend Urotcite na Blaga / Blagas Lehren) und nicht selten dabei ihre Identität verliert.
Komandarev Film greift dafür fast alle Ebenen der Gesellschaft an: Korruption macht selbst vor den Toten nicht halt und auch die Polizei ist im Grunde nicht mehr fähig, die eigenen Bürger zu schützen, und mit der Bildung sieht es ähnlich aus, entpuppt sich etwa Blagas ehemals schlechtester Schüler als fieser, aber erfolgreicher Kredithai. Ironischerweise ist es dann nur eine Schülerin aus einem kriegsversehrten Land, die bei Blaga Bulgarisch lernt, um einen Aufenthaltstitel zu bekommen, zu der Blaga so etwas wie eine intakte, würdige Beziehung aufbauen kann. Doch auch das ist natürlich nicht das Ende einer Geschichte, die in ihrer Nüchternheit und schonungslosen Analyse an jüngere Werke von Ken Loach erinnert, an die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen in Ich, Daniel Blake (2016) oder Sorry We Missed You (2019). Doch geht Komandarev sogar noch einen Schritt weiter als Loach, erlaubt er seiner Heldin doch nicht einmal, sich zu wehren, sondern lässt sie stattdessen auf perfide Weise von einem kaputten, amoralischen System korrumpieren.
Diese Verwandlung einer integren, aufrichtigen Frau wird von Eli Skorcheva völlig umwerfend gespielt. Das mag auch daran liegen, dass sie eigene Erfahrungen in ihre Rolle integriert. Denn die in kommunistischen Zeiten als großer Star des bulgarischen Films und Fernsehens und mutige Kritikerin des damaligen Politbüros gehandelte Skorcheva zog sich während der steinigen Übergangsjahre Anfang der 1990er vollkommen aus dem Filmgeschäft zurück. Weil es für fast 10 Jahre keine Filmförderung mehr gab und nur mehr Oligarchen und die organisierte Kriminalität bereit waren, Filme zu fördern, versuchte Skorcheva, so wie ihre Heldin Blaga, mit allen nur möglichen Jobs über die Runden zu kommen, am Schluss sogar als Leiterin einer Putzkolonne. Erst eine zufällige Begegnung mit einem ehemaligen Casting-Direktor beim Gassigehen mit ihrem Hund führte zum Kontakt zu Komandarev, der gerade seinen Film vorbereitete und sie umgehend zu seiner »Blaga« machte.
Wie sehr diese Besetzung ein wirklicher Glücksfall ist, zeigt sich nicht nur in den Momenten von Blagas Alleinsein oder der Konfrontation mit einer zerbrechenden Gesellschaft, sondern vor allem in der subtilen Art und Weise, mit der Skorcheva ihre Heldin lernen lässt, jemand anders zu werden, um zu überleben.
Das ist in der gespielten und inszenierten Intensität allerdings nur schwer zu ertragen, denn Komandarev überrascht gerade damit, der westlichen Erwartungshaltung über ein Land des ehemaligen Ostblocks nicht nur zu genügen, sondern sie gar noch zu übertreffen.
Das macht Komandarevs Films ähnlich wie das so erfolgreiche und auch gar nicht mehr so neue junge rumänische Kino zu einem fast schon idealen Festivalfilm, erklärt aber auch die Kritik, die aus Kreisen des jungen bulgarischen Films zu hören ist und mit dem auch das rumänische Kino leben muss. Denn einerseits kann man bei den so wichtigen Festivals nur punkten, wenn man deren Erwartungshaltungen erfüllt, gleichzeitig sind in Bulgarien immer mehr Menschen frustriert, mit diesen Filmen, die im Land kaum wer sehen will, in der großen, weiten Welt repräsentiert zu werden. Wo es doch andere Filme gibt, die andere Geschichten erzählen, wie etwa das Debüt von Yana Lekarska, I Love Bad Weather, das schon im Titel einen humorvolleren Umgang und konstruktivere Überlebensstrategien für die Unbilden des Lebens andeutet und auch inhaltlich eine andere Realität für den Ist-Zustand des gegenwärtigen Bulgariens findet.