Eingeschlossene Gesellschaft

Deutschland 2021 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch:
Kamera: Jo Heim
Darsteller: Florian David Fitz, Anke Engelke, Justus von Dohnányi, Nilam Farooq, Thomas Loibl u.a.
Filmszene »Eingeschlossene Gesellschaft«
Auf der Suche nach dem nächsten Kalauer
(Foto: Sony)

The Hateful Six

Sönke Wortmanns Lehrerzimmer-Kammerspiel kann sich nicht entscheiden, was es sein will, und erfreut wohl nur die, die alte Lehrerrechnungen offen haben

»Die Hölle sind die anderen.« Ein Satz aus Sartres Thea­ter­stück »Geschlos­sene Gesell­schaft«, der auch das Motto für diesen als »Komödie« bewor­benen Film abgeben könnte. Jan Weiler hat sein Hörspiel Einge­schlos­sene Gesell­schaft zu einem Drehbuch umge­ar­beitet, das Sönke Wortmann nun verfilmt hat. Wie bei Sartre zerflei­schen sich hier die einge­schlos­senen Prot­ago­nisten, bei Sartre drei, hier sechs Personen, und decken gegen­seitig ihre Schwächen und Leichen im Keller auf. Dafür brauchen sie bei Jan Weiler nicht einmal die Schüler.

In die von Anfang an vergif­tete Atmo­s­phäre des Lehrer­zim­mers platzt an einem Frei­tag­nach­mittag nach Schul­schluss ein Schü­ler­vater (Thorsten Merten) herein und fordert für seinen Sohn den Noten­punkt, der ihm zu seiner Abitur­zu­las­sung noch fehlt. Als er kein Gehör findet, holt er eine Pistole heraus und nimmt die sechs Lehr­kräfte als Geiseln. Zum Beweis, dass er es ernst meint, zerschießt er die Kaffee­ma­schine. Das ist nach den Schul-Amok­läufen der letzten Jahr­zehnte nicht gerade Komö­dien­stoff, sollte man meinen, aber ein Thriller oder ein realis­tisch ange­legtes Drama werden auch nicht daraus. Der aufge­brachte Vater will auch niemanden erschießen, sondern nur gewaltsam einen Noten­punkt erzwingen. Warum er dafür eine »Konferenz« einfor­dert, bei der er das Ergebnis schon vorgibt, und dann das Zimmer verlässt, bleibt in der Logik und Nach­voll­zieh­bar­keit der Handlung eine echte Schwach­stelle. Genauso absurd ist es, dass die Lehrer­truppe sich darauf einlässt und so etwas wie einen Versuch einer Noten­dis­kus­sion startet, um den gewalt­be­reiten Vater loszu­werden.

Genauso künstlich wie die schlecht gestrickte Ausgangs­si­tua­tion bleiben von der ersten Sekunde an die Dialoge, die man viel­leicht im Boule­vard­theater erwarten und ertragen könnte, aber nicht in einem Kinofilm. Statt Gesprächen gibt es eine Anein­an­der­rei­hung von zynischen Sprüchen aus der Abitur­zei­tung à la »Ich hasse die Jugend nicht, ich kann sie nur nicht ausstehen« von Frau Lohmann (Anke Engelke), die als verhärmte, Jugend verach­tende Bildungs­spießerin eine Klischee­figur von sechsen abgibt. Dabei dürfen der zu schü­ler­nahe Sport­lehrer (Florian David Fitz), der verklemmte Chemie-Nerd (Torben Kessler) und vor allem der konser­va­tive, schü­ler­fres­sende Ober­zy­niker (Justus von Dohnanyi), der mit seiner gnaden­losen Noten­ge­bung den Stein ins Rollen gebracht hat, nicht fehlen. Natürlich lebt eine Komödie von Klischees, von sati­ri­scher Über­trei­bung, aber müssen die Rollen wirklich so platt und unin­spi­riert angelegt sein, wie sie sich jeder Betei­ligte eines im Suff endenden Abitref­fens in 10 Minuten ausdenken würde? Keine Frage, die deutschen Stars nudeln ihre Rollen routi­niert herunter und sorgen bestimmt mit manchem Spruch für sichere Lacher, aber frisch oder in irgend­einer Weise über­ra­schend ist das nicht. Dabei haben Komödien wie Fack ju Göhte oder Bad Teacher doch gezeigt, dass man im Schul­film­genre nach dem verbrauchten Klassiker Die Feuer­zan­gen­bowle von 1944 durchaus neue Akzente setzen kann. Und was eine Kammer­spiel-Groteske hergeben kann, zeigten uns als Western Tarantino in The Hateful 8 und als Gesell­schafts­sa­tire Polańskis Der Gott des Gemetzels.

Ähnlich abge­standen wie in Einge­schlos­sene Gesell­schaft waren schon die Figuren und Dialoge in Frau Müller muss weg, einer Klas­sen­raum-Komödie von Sönke Wortmann, die vor allem die Schü­ler­el­tern aufs Korn nahm und bei der Anke Engelke und Justus von Dohnanyi auch schon dabei waren. Nicht gerade ein Juwel ihres künst­le­ri­schen Schaffens.

Auch dass die vier Lehrer und zwei Lehre­rinnen im weiteren Verlauf ihrer Geisel­haft nichts Besseres zu tun haben, als sich selbst an die Gurgel zu gehen, ist wie die ganze übrige Handlung wenig glaub­würdig. Wie am Reißbrett entworfen, findet sich in Agatha Christie-Manier bei jeder Lehrkraft mindes­tens eine Leiche im Keller. Selbst die schü­lerem­pa­thi­sche Refe­ren­darin (Nilam Farooq), die lange Zeit als Anwältin des gesunden Menschen­ver­standes und kritische Beob­ach­terin der zynischen Kolleg*innen auftritt, hat keine weiße Weste. Das ist, wenn das Prinzip sich abzu­zeichnen beginnt, so spannend wie ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Und eine Komödie ist das auch nicht, weil dafür komplett die Leich­tig­keit und Frische fehlen. Eher gleitet das Ganze dann in ein rühr­se­liges Küchen­psy­cho­logie-Drama ab, was viel­leicht die Titel­an­spie­lung auf Sartre erklärt, aber die unaus­ge­go­rene Handlung nicht rettet, die sich zwischen ernst­zu­neh­mender Kritik (Eltern-Amoklauf, Lehrer-Dekon­struk­tion) und abge­stan­dener und ange­staubter Lehrer­zimmer-Typen­komödie (»Wenn ich etwas nicht ertrage, dann sind es Schüler um halb drei.« »Schüler um halb elf sind genauso schlimm.«) nicht entscheiden kann.

Dabei werden ja im Drehbuch neben der gewalt­tä­tigen Eska­la­tion von Eltern­seite her durchaus Themen ange­rissen, die es wert wären, disku­tiert zu werden, auch gern in sati­ri­scher Über­spit­zung. Sei es die in der Schule oft fehlende Trans­pa­renz der münd­li­chen Noten­ver­gabe, oder die fehlende pädago­gi­sche Absprache der Lehr­kräfte bezüglich ihrer Schüler*innen, wenn es um die Verset­zung oder das »Reife­zeugnis« geht. Auch die wachsende Kluft zwischen immer älter werdenden Beamten und ihrer sich immer anspruchs­voller gerie­renden jungen Klientel kann zum Problem werden, welches in Zynismus, Mobbing oder Burnout endet. Und da wäre noch die wiederum zu große Nähe/Anziehung zwischen jungen Lehr­kräften und ihren fast erwach­senen Schutz­be­foh­lenen. Aber Einge­schlos­sene Gesell­schaft ist lieber auf der Suche nach dem nächsten Kalauer, als bei einem der Kritik­punkte mal etwas tiefere Löcher zu bohren. Als Ergebnis bleiben lächer­liche Abzieh­bilder echter Charak­tere, die so lange im Gedächtnis bleiben wie ein Menü im Schnell­im­biss.

Eine verschenkte Chance, einen aktuellen und in irgend­einem Sinne rele­vanten Film aus der Schulwelt zu gestalten, wie es Wortmann erst kürzlich in Contra bezüglich der Univer­si­täts­welt geglückt ist. Aber viel­leicht braucht es dazu eine Vorlage aus Frank­reich (wie auch bei Der Vorname) …