Eismayer

Österreich 2022 · 87 min. · FSK: ab 12
Regie: David Wagner
Drehbuch:
Kamera: Serafin Spitzer
Darsteller: Gerhard Liebmann, Luka Dimic, Julia Koschitz, Anton Noori, Christopher Schärf u.a.
Filmszene »Eismayer«
Abrechnung mit einem antiquierten Männerbild...
(Foto: Salzgeber)

Machos im Militär: »Wegtreten!«

Charles Eismayer ist ein Ausbund an toxischer Männlichkeit und gilt als härtester »Schleifer« im österreichischen Heer. Doch dann soll er einen schwulen Rekruten ausbilden, der ihm die Stirn bietet.

Das wahre Leben schreibt bekannt­lich die besten Geschichten. Im Fall des Spiel­film­de­büts von David Wagner trifft dieser Gemein­platz tatsäch­lich zu. Der öster­rei­chi­sche Regisseur hörte schon bei seinem Wehr­dienst 2001 haar­sträu­bende Geschichten über einen raubei­nigen Vize­leut­nant namens Charles Eismayer. Als sich der gefürch­tete Ausbilder Jahre später in den jungen Rekruten Mario Falak verliebte, als homo­se­xuell outete und Falak 2014 in Gala­uni­form auf dem Kaser­nenhof das Ja-Wort gab, begann Wagner zu recher­chieren und beschloss, über den Fall seinen ersten Spielfilm zu drehen. 2022 schafft sein Erstling den Sprung in die Kriti­ker­woche der Film­fest­spiele in Venedig und gewann den Preis für den besten Spielfilm in der Sektion. Auf dem Film­fes­tival Max Ophüls Preis in Saar­brü­cken kamen 2023 der Publi­kums­preis und der Preis der Film­kritik hinzu.

Der Vize­leut­nant Charles Eismayer (Gerhard Liebmann) verlangt als Ausbilder im öster­rei­chi­schen Bundes­heer von den Rekruten Gehorsam, Disziplin und höchsten körper­li­chen Einsatz. Wer aufmuckt, wird nieder­ge­brüllt und darf bis zur Erschöp­fung Push Ups absol­vieren. Wenn ein Soldat ein Hemd falsch gefaltet hat, räumt er gleich den ganzen Spind aus. Und wer beim Training schwächelt, wird als »Mutter­söhn­chen« verun­glimpft. In der Truppe hat er sich mit seinen Macho-Ritualen Respekt verschafft. Aller­dings hält sein direkter Vorge­setzter Karnaval (Chris­to­pher Schärf), der einige Jahre jünger ist, seine rüden Methoden für nicht mehr zeitgemäß.

Eismayer, mit Leib und Seele Soldat, tritt auch deshalb so ruppig auf, weil er ein Geheimnis verbirgt. Er ist schwul und fürchtet, im Job als Schwuchtel ausge­grenzt zu werden, falls seine Neigungen ans Licht kommen sollten. Privat gibt er sich als liebe­voller Fami­li­en­vater, der jedoch seine sexuellen Vorlieben vor Ehefrau Christine (Julia Koschitz) und dem kleinen Sohn Dominik (Lion Tazber) verbirgt. Wenn er angeblich mal wieder länger Dienst schieben muss, trifft er sich in Wahrheit in der Stadt mit Männern zum schnellen anonymen Sex.

Doch dann übernimmt der Vize­leut­nant eine neue Gruppe junger Rekruten. Aus ihnen sticht der selbst­be­wusste und gut ausse­hende Mario Falak (Luka Dimić) heraus, der aus dem früheren Jugo­sla­wien stammt und seine Homo­se­xua­lität nicht versteckt. Bei einer schwie­rigen Gelän­deü­bung kommen sich Ausbilder und Auszu­bil­dender näher. Als Eismayer merkt, dass aus der anfäng­li­chen Faszi­na­tion roman­ti­sche Gefühle geworden sind, offenbart er sich seiner Frau, die sich prompt von ihm trennt und mit dem Sohn aus der Wohnung auszieht. Nun kann der Vize­leut­nant seinen Lover ungestört zu Hause empfangen. Doch dann wird bei ihm Lungen­krebs entdeckt.

Gegenüber dem realen Fall hat Wagner, der 1982 geboren wurde, bei Wien aufwuchs und an der New Yorker Tisch School of the Arts und der Hamburg Media School studierte, sich eine üppige Portion künst­le­ri­scher Frei­heiten genommen. Etwa mit der finalen Szene, in der Eismayer in einen Wagen springt und losrast, um Mario zurück­zu­ge­winnen. Das ist auch dem öster­rei­chi­schen Bundes­heer aufge­fallen, das die Dreh­ar­beiten an Origi­nal­schau­plätzen wie einer Kaserne oder einem Manö­ver­gelände geneh­migte. In einem Statement hält das auf sein Image bedachte Militär fest: »Die in dieser drama­tur­gisch aufbe­rei­teten, fiktio­nalen Darstel­lung trans­fe­rierte Ausdrucks­weise der Prot­ago­nisten und die gezeigte Ausbil­dungs­me­thodik entspre­chen nicht dem aktuellen Selbst­ver­ständnis des Bundes­heeres.« Vielmehr lege man schon seit geraumer Zeit Wert auf einen »korrekten Umgang mitein­ander« und eine »Feedback-Kultur«.

Getragen wird das tempo­reiche Drama, das zwischen­durch in den Dialogen hin und wieder mit typisch öster­rei­chi­scher Ironie Akzente setzt, vor allem von den exzel­lenten Darstel­lern, zwischen denen die Chemie unüber­sehbar stimmt. Gerhard Liebmann (Blut­glet­scher) gelingt es eindrucks­voll, die innere Zerris­sen­heit des Ausbil­ders auf die Leinwand zu bringen. Sein bosni­scher Kollege Luka Dimić (St. Josef am Berg) steht ihm als furcht­loser Rekrut mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, der sich auch in der Truppe nicht unter­kriegen lässt, nicht nach.

Die Ausgangs­kon­stel­la­tion von Eismayer erinnert an Filme wie Full Metal Jacket (1987) von Stanley Kubrick oder Moffie (2020) von Oliver Hermanus. Während die herri­schen bis sadis­ti­schen Rekru­ten­schinder dort eindi­men­sional bleiben, erweist sich der Prot­ago­nist hier als komple­xere Figur. Zwar hat auch er ein auto­ri­täres Miss­brauchs­system der Ernied­ri­gungen aufgebaut, schi­ka­niert seine Unter­ge­benen nach Strich und Faden und jagt einigen sogar Angst ein, doch hinter der harten Macho-Fassade verbirgt sich ein Mensch, der seine Angst vor Entlar­vung und Ernied­ri­gung quasi über­kom­pen­siert durch überharte Auftritte. Eine Tarn­me­thode, die offenbar jahrelang gut funk­tio­niert hat.

Wagner geht es aber nicht um die Darstel­lung eines klas­si­schen Coming Out, sondern vielmehr um eine Abrech­nung mit einem anti­quierten Männer­bild. Indem er Eismayer als geschei­terte Mani­fes­ta­tion toxischer Masku­linität darstellt, setzt er sich sexua­li­täts­po­li­tisch für mehr Toleranz und ein zeit­ge­mäßes Männer­bild ein. Das zeigt sich nicht zuletzt in seiner wohl­wol­lenden Schil­de­rung der Jung­männer-Genera­tion. Nach einigen anfäng­li­chen Macho-Sprüchen und einem Hand­ge­menge in der Dusche akzep­tieren Marios junge Kameraden ihn nämlich schnell – auch weil er es wagt, Eismayer zu wider­spre­chen oder ihn gar zu provo­zieren. Ob eine solche Gelas­sen­heit eher Wunsch­denken ist oder ob bei den jungen Männern im Militär tatsäch­lich ein Sinnes­wandel statt­ge­funden hat, müssen die Zuschauer entscheiden.