Frankreich/B 2019 · 110 min. · FSK: ab 6 Regie: Cédric Klapisch Drehbuch: Santiago Amigorena, Cédric Klapisch Kamera: Élodie Tahtane Darsteller: François Civil, Ana Girardot, Camille Cottin, François Berléand, Simon Abkarian u.a. |
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Nach einem raffinierten Sterne-Menü ein Schokoriegel mit Schlagsahne aus der Sprühdose (Foto: STUDIOCANAL) |
Alle Geschichten sind schon erzählt, es gibt nur noch Variationen. Nach fast 125 Jahren Kinogeschichte plus Fernsehen plus einer wachsenden Anzahl von Streaming-Diensten kann man sagen: Alle Variationen sind erzählt, es gibt nur noch Variationen von Variationen. Trotzdem gibt es immer wieder Filme, die eine zig-tausend Mal erzählte Geschichte so erzählen, als sei sie frisch und neu. Sogar in einem arg strapazierten, man muss schon sagen, wiedergekäuten Genre, „Boy meets Girl“, also einem Liebesfilm.
Mélanie (Ana Girardot) und Rémy (François Civil) sind zwei traurige Singles. Trotz aller möglichen sozialen Netzwerke und Dating-Apps, in denen einsame Singles Kontakt mit anderen einsamen Singles aufnehmen können, um ein glückliches Paar zu werden. So weit, so bekannt.
Dem Regisseur, Cédric Klapisch, und seinem Drehbuchautor, Santiago Amigorena, gelingt es mit einem kleinen Trick aus der bekannten Prämisse einen höchst unterhaltsamen, originellen und humorvollen Film zu zaubern.
Sie erzählen nicht, wie sonst üblich, die prickelnde Kennenlernphase, die von falschen Erwartungen, Peinlichkeiten und Missverständnissen gefährdet wird.
Stattdessen erzählen sie, quasi in zwei parallelen Geschichten, was alles passiert, bevor Mélanie und Rémy
überhaupt das erste Mal voreinander stehen und sich als potentielle Partner verlieben können. Diese Verschiebung auf dem Zeitstrahl der Aufmerksamkeit genügt, um eine wundervolle, magische Spannung zu erzeugen. Es kommt noch schöner...
Die beiden Protagonisten sind nicht aus dem abgeranzten Setzkasten „sympathischer Charaktere“ entnommen. Sind also keine umwerfend attraktiven, gut gelaunten Singles, bei denen man sich gelangweilt fragt, warum haben da nicht längst die Hochzeitsglocken geläutet?
Mélanie und Rémy haben weder super Wohnungen noch super Jobs. Was sie haben, sind Depressionen, darum machen beide eine Therapie. Es wird sogar noch besser...
Paris, die Weltstadt der Liebe, wird nicht als Weltstadt der Liebe zelebriert. Man staunt: PariserInnen fahren nicht pfeifend Fahrrad und tragen keine Baguettes unterm Arm Spazieren. Sie schlemmen keine Menüs. Im Gegenteil, sie wissen nicht, was sie kochen sollen. Sie leiden unter Schlafstörungen, wie Millionen gestresster Großstädter auf der ganzen Welt.
Randalierende Gelbwesten oder andere Demonstranten, die die französische Hauptstadt zu übernehmen drohen, kommen nicht vor. Das wäre wohl zu viel des Guten bzw. der traurigen Realität.
Der großzügige Schuss Traurigkeit und damit Authentizität, den Klapisch seinen Charakteren gestattet, genügt vollkommen, damit man erwartungsvoll mitfiebert. Fast, als hätte man es noch nie im Kino gesehen, wie aus zwei Singles ein Paar wird.
Verzauberung und Schmachten nach einem Happyend gehen so weit, dass in den Köpfen der Zuschauer Glückshormone ausgeschüttet werden. Als sei man selbst frisch verliebt. Wer sich schnell verknallt, hat die Erfahrung gemacht, dass nicht alles so läuft, wie er es sich vorgestellt und gewünscht hat.
So passiert es auch bei Einsam Zweisam, oh wie schade! Trotz brillanter Schauspieler! Mutigen Beiträgen zur Nein-heißt-nein-Debatte! Wundervollen
Nebencharakteren!
Damit die Großstadtneurotiker zusammen kommen, müssen sie einfach nur ihre Psychotherapie absolvieren. Kaum wurden die Schatten der Vergangenheit beleuchtet, verschwinden alle Neurosen. Wie Flecken in der Waschmaschine. Schwuppdiwupp stehen Mélanie und Rémy voreinander und machen ihre ersten gemeinsamen Schritte... Ausgerechnet bei einem Tanzkurs!
Das ist, als würde man nach einem raffinierten Sterne-Menü einen Schokoriegel mit Schlagsahne aus der Sprühdose auf den Tisch geknallt bekommen.
Wie es zu dem Schluss kam, hat Klapisch freimütig in einem Interview erzählt. Seine Mutter ist Psychoanalytikerin. Er wollte sich bei ihr bedanken. Für eine Mutter mag es schön sein, wenn der Sohn ihr ein Denkmal setzt.
Für den Zuschauer wäre es schöner, wenn der Film ein Ende hätte, das die bisherigen 105 Minuten nicht ad absurdum
führt. Wer trotzdem Lust auf einen großartigen Film hat, dem sei ein einfacher Trick empfohlen. Das Kino fünf Minuten vor Schluss zu verlassen.