Deutschland 2006 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: Oskar Roehler Drehbuchvorlage: Michel Houllebecq Drehbuch: Oskar Roehler Kamera: Carl-Friedrich Koschnick Darsteller: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Martina Gedeck, Franka Potente, Nina Hoss u.a. |
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Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck |
»Alle großen Schriftsteller waren reaktionär: Benn, Mann, Goethe, Dostojewski« – es ist dieser eine Moment, eine kurze Szene relativ am Anfang des Films, in der dieser Satz fällt, da funktioniert Elementarteilchen richtig gut. Sie zeigt ein Gespräch zwischen einem Autor und seinem Verleger. Der Autor hat diesem ein Buch angeboten, rassistische Traktate, Betrachtungen über Biotechnologie, Texte also, wie sie auch in Michel Houellebecqs »Elementarteilchen« stehen. »Aber wo ist der Sex?« fragt der von Herbert Knaup glänzend gespielte Verleger. Dieses kurze Gespräch ist eine geistreiche Reflexion über Houllebecq, in ganz originärem Ton erzählt sie alles über das Buch, das die Grundlage für den Film bildet, und damit auch vieles über den Film selber. Hier nimmt der Regisseur Oskar Roehler den Roman ganz ernst und geht gleichzeitig über ihn hinaus, zeigt, was dieser Film unter anderem sein könnte: Ein Film über die Genese des Reaktionären und des »Phänomens Houllebecq«, das nicht weniger interessant und für die Gegenwart aufschlussreich ist, als die Bücher selbst. Dann aber gleitet Roehler der Film aus den Händen.
Elementarteilchen ist eine Verfilmung des Romans, mit dem Houellebecq weltberühmt wurde, eine sehr freie freilich, die vieles Neue hinzufügt, wichtige Romanteile weglässt, und die Vorlage an entscheidenden Punkten verändert. Das alles ist unbedingt legitim, und es ist lobenswert, dass Roehler nicht sklavisch »verfilmt«, sondern etwas Eigenes schafft. Überhaupt erstaunt es und zeigt das Können dieses Regisseurs, dass es ihm gelingt, einerseits den Plot des Romans – das konsumkritisch und kulturpessimistisch gefärbte, gesellschaftlich repräsentativ gemeinte Portraits zweier ungleicher trauriger Brüder, die an ihren libertären Eltern, an Liebessehnsucht und unausgelebten sexuellen Wünschen leiden – zu übernehmen, und doch etwas ganz Eigenes daraus zu machen: Roehler kratzt aus dem Buch alle seine Lieblingsthemen hervor: Die weinerliche Kritik der Kinder von 1968 an ihren Eltern, das offen formulierte Flirten mit Vater- und Muttermord und das in ihm kaum verborgene Liebesverlangen der Kinder; Hass und Spott auf liberale Toleranz, das Blossstellen der Gewalt im vermeintlich Antiautoritären und das selbst antiautoritär-undisziplinierte Ausleben jeder Befindlichkeit und Emotion. Elementarteilchen ist ein Roehler-Film, geprägt vom typischen Roehler-Ton und einer filmischen Form am Rande des Dilettantismus, die Roehler längst zum eigenen Stil gebildet hat.
Und doch Und doch klappt vieles diesmal einfach nicht. Das, was den französischen Schriftsteller Houellebecq zu einem besonderen, unbedingt lesenwerten und wichtigen Autor der Gegenwart macht, ist sein Zynismus. Kalte Wut, überhaupt Kälte sind der Reiz seiner Romane. Wie sonst vielleicht nur Ernst Jünger ist Houellebecq einerseits unsympathisch, andererseits bedeutend. Was wiederum Roehler zu einem der besten, und unbedingt sehenswerten deutschen Filmemacher macht, ist hingegen seine Hysterie, sein Mut zum unverstellten Ausbreiten von Gefühlen, zum Extrem, sein Mut auch zum Kitsch. Nie sonst wird in deutschen Filmen so geschrieen, so geweint, so gejammert, so geschissen und gefickt, wie bei Roehler.
Wie soll das zusammen nun gehen? Es geht nicht zusammen. Elementarteilchen sind zwar Phänomene aus der Physik. Das Resultat der Verbindung Houellebecq-Roehler gleicht aber eher einer simplen chemischen Reaktion: Heiß und Eiskalt ergibt lauwarm, und allenfalls lauwarm ist dieser Film. Man könnte konstatieren: Roehler war noch nie so human, wie hier. Man könnte sagen: ein sanfter Film, ein Film, der an das Glück und an die Liebe glaubt, und der darüber trauert, dass beides so selten ist. Man muss aber auch feststellen: Dieser Roehler-Film ist nicht nur Houellebecq ohne Houellebecq, er ist Roehler ohne Roehler. Ihm fehlt alles für Roehler Typische, Wichtige, und was dann noch übrig bleib, ist banal. Männerweinerlichkeit vor allem, Spießigkeit, die sich ernst nimmt auch und insgesamt eine seltsam artifizielle Welt. Mitunter fühlt man sich in eine schwache Derrick-Folge versetzt, so steril ist alles, so langatmig und betulich. Das Problem ist also nicht die immer uninteressante Frage, ob dies eine adäquate Buchverfilmung ist, sondern der Befund, dass der Film als Film nicht überzeugt, weil er, hin- und hergerissen zwischen zwei unvereinbaren Polen sein Thema nicht findet, weil Roehler den provozierenden Thesen Houellebecqs nicht wirklich glaubt, sondern nur dessen Dekors attraktiv findet, und die Vorlage ansonsten widerlegen will.
Unter den Schauspielern überraschen Christian Ulmen als Bruder Michael und Nina Hoss als Hippiemutter positiv, auch Moritz Bleibtreu hat gute, intensive Szenen, obwohl sie den silbernen Berlinale-Bär für diese Rolle kaum rechtfertigen, während Martina Gedeck und Franka Potente nur wächsern wie Zombies über die Leinwand schlurfen – und man muss nicht alles bei Roehler für gewollt halten. In manchem wirkt der ganze Film wie ein Frankensteinmonster aus dem gentechnologischen Labor Bernd Eichingers: Auf dem Reißbrett stimmt vieles; die Stars sind da, ein Erfolgsroman auch, ein toller Regisseur, genug Sex und Kitsch und Gefühl und Gelaber, um die Massen ins Kino zu treiben. Letzteres mag auch gelingen, zum Leben erweckt wird diese Totgeburt aber auch fast zwei, gefühlten drei Stunden nie.