Deutschland 2013 · 100 min. · FSK: ab 0 Regie: Robert Thalheim Drehbuch: Jane Ainscough Kamera: Henner Besuch Darsteller: Charly Hübner, Christiane Paul, Paraschiva Dragus, Emilia Pieske, Clara Lago u.a. |
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Scheitern oft am eigenen Perfektionismus: Eltern |
Kinder zu haben – das scheint in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts einerseits ein Luxus zu sein, den sich nur jene leisten können, die sehr viel Geld besitzen, oder gleich gar keines. Andererseits ist das Kind gerade deshalb längst Statussymbol und kostbare Ware, also auch selbst zum Luxusgut geworden – und die Zeugung und Erziehung dieser Ware zur patriotischen Pflicht, mehrt man damit doch das Volksvermögen und leistet, jedenfalls so lange sich die Einwanderungsgesetze nicht ändern, einen – prozentual immer größeren – Beitrag gegen das Aussterben der Deutschen. Das paradoxe Ergebnis: Immer weniger bekommen Kinder.
Robert Thalheims neuer Film zeigt, warum. Denn Kinder sind eine Landplage. Sie fressen einem die Haare vom Kopf, das Geld vom Konto, sie sind unerzogen und lange nicht stubenrein, sie spielen nicht nur mit dem Essen, können nicht den Mund halten, sondern sie sind immer dann laut und wach, wenn sie besser still wären und schlafen würden und leiden unter permanentem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Kurz gesagt: Kinder nerven wahnsinnig und sind narzisstisch.
Kinder sind aber auch ganz toll. Sie begeistern, erfreuen, bestätigen. Sie machen Spaß, halten ihre alternden Eltern jung, sorgen dafür, dass diese sich mit neuen Filmen und schlechter Musik auskennen, und ihr Smartphone verstehen. Sie bringen einen in Kontakt mit der realen Welt. Und nicht zuletzt schenken sie den Erwachsenen über den im Angesicht der Ewigkeit sinnlosen Erfolg in der Berufskarriere ein Stück Lebenssinn, die Gewissheit gebraucht zu werden, und befriedigen oft den ganz gewöhnlichen Narzissmus der Eltern und zugleich den Wunsch nicht nur egozentrisch zu sein. Mit anderen Worten: Kinder sind das reine Glück.
Damit ist eigentlich schon alles gesagt über Robert Thalheims neuen Film. Bereits mit seinem Debüt Netto, dem seitdem zwei weitere Filme – den aus meiner Sicht bei allem Gelungenen am Thema und den Produktionsumständen gescheiterten Am Ende kommen Touristen, und den unter Wert wahrgenommen Westwind – folgten, zeigte sich der Berliner Thalheim als Meister der Kunst, aus scheinbar Banalem und Alltäglichem, man könnte es auch »das Leben« nennen, Funken zu schlagen.
So auch in diesem Fall. Ein Alltagsszenario arbeitsteiliger Familienverhältnisse, zugleich eine ungewöhnliche Aufteilung: Vater Konrad ist Hausmann, Mutter Christiane schuftet als Anästhesistin. Christiane Paul, auch im wahren Leben Ärztin, und Charly Hübner, im wahren Leben kein Hausmann, spielen diese beiden Hauptrollen. Das ist toll gecastet, metrosozial, wenn man das so ausdrücken darf, denn Christiane Paul mit ihren scharfen, spitzen, sichtbar intelligenten, aber auch ein bisschen schnippisch-gefährlichen Gesichtszügen, ist äußerlich (!!) eine aggressive und unsensible Note eigen, die man bislang eher männlich konnotiert. Und Hübner, weich, knuffig, erinnert an »Tante Droll« in Karl Mays Western-Romanen, ein weiblicher Mann, dem man nicht böse sein kann. Obwohl... Irgendwann will der Papa wieder arbeiten, als Künstler am Theater... Und es geht rund.
Bei Netto sprach man seinerzeit, neun Jahre ist es jetzt her, wohlwollend von Harz-IV-Kino. Jetzt könnte man analog vom »Nido«-Kino sprechen. Diese Zeitschrift für post-moderne Bürgerliche fasziniert durch Schlagzeilen wie »So hält die Liebe«, »Muss ich alles dreimal sagen?«, »Arbeiten wir zu viel?« und »Die neuen Väter«.
Es hat jedenfalls seinen guten Grund, dass der Film nicht »Kinder« heißt, sondern »Eltern«, wie jene sich jüngst rundum erneuerte pädagogisch-wertvolle Zielgruppenzeitschrift der 70er Jahre. Denn am Ende geht es um die Erwachsenen – sie haben es vermeintlich schwer und der Film gibt ihnen ein gutes Gewissen im Verzicht.
Thalheim lügt sein Publikum nicht an, täuscht nicht um die Dinge herum, die das traditionelle Familienmodell fragwürdig machen. Man sieht hier »Familie als Terrorzusammenhang« wie Alexander Kluge es nannte. Es gibt Betrug und Affairen, Streit und Selbstsucht, Überbelastung und Verzicht. Die Frage: »Ist es das alles wert?« steht im Raum.
Diese Ehrlichkeit ist erfrischend. Zugleich ist klar, dass Thalheim den Klischees nicht ausweicht, im Gegenteil manches Ausgelatschte wiederkäut.
Thalheim ist damit – und vielleicht war er das schon in Netto – das ostdeutsche Pendant zum süddeutschen Marcus H. Rosenmüller. Und vielleicht ist in der letztendlichen Nettigkeit dieses Familienportraits, Familienchaosdramas und Familienkatastrophenfilms auch mehr Osten als man ahnt, außer Christiane Paul, Charly Hübner und dem Regisseur.
Dass Thalheim
parteiisch auf Seiten der Familie steht, nicht ihrer Kritiker, dass er mit seinem insgesamt sehr kurzweiligen, schön gemachten »Eltern« einen Werbeclip für die Familie gedreht hat, muss man kaum noch dazusagen, ein Film mit anderer Schlagseite würde von den Förderanstalten und Sendern gar nicht erst finanziert.
Familie, das ist das idyllische Versprechen dieses Films, ist nämlich der wahre Punk. Man hört es gern, allein es fehlt der Glaube.
Vielleicht sollte man den Refrain des Liedes am Anfang im Auto nicht nur mitsingen, sondern umsetzen: »Alles was ich will, ist nur die Regierung stürzen«