Frankreich 2009 · 96 min. · FSK: - Regie: Sophie Laloy Drehbuch: Sophie Laloy, Jean-Luc Gaget Kamera: Marc Tevanian Darsteller: Judith Davis, Isild Le Besco, Johan Libéreau, Edith Scob u.a. |
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Innige Feindschaft |
Anders, als es der Titel erwarten lässt, scheint es in Sophie Laloys' Drama Emma & Marie zunächst wenig zu geben, was die beiden jungen Frauen gemeinsam haben: Auf der einen Seite ist da Marie (Judith Davis) vom Land, mit ihren bunten, tief ausgeschnittenen T-Shirts und dem lustig wippenden Pferdeschwanz; auf der anderen haben wir die kühle Emma (Isild Le Besco), die allein in Lyon wohnt und Markenkleidung trägt. Früher waren sie mal befreundet, bis die eine
die andere irgendwann nicht mehr angerufen hat. Als Marie ein Klavierstudium am Konservatorium in Lyon beginnt und nach einem Zimmer sucht, in dem sie ungestört üben kann, kommt es gelegen, dass Emma eine so große Wohnung besitzt. Samt sperrigem Instrument zieht Marie bei Emma ein.
Nun gibt es immer Gründe, warum Freundschaften irgendwann enden. Und je länger die beiden Frauen zusammenwohnen, umso deutlicher wird, dass es wohl auch diesmal nicht lange gut gehen wird. Ganz leise
und unmerklich kommt das (selbst)zerstörerische Potential zum Vorschein, das sowohl in den Mädchen als auch im französischen Originaltitel steckt: Je te mangerais – Ich werde dich verschlingen. Wer hier wen frisst, scheint anfangs leicht zu beantworten, denn Emma entscheidet genauso über den Platz für das Klavier in der Wohnung wie sie die Regel aufstellt, dass es doch einfacher für beide sei, wenn sie keinen Männerbesuch empfingen. Marie, die auf das
Zimmer angewiesen ist, akzeptiert. Allmählich dringt Emma in alle Lebensbereiche ihrer Mitbewohnerin vor, in ihre Familie, in ihren täglichen Wettbewerb im Konservatorium, in ihr Liebesleben. Marie zieht aus – vorerst, denn so leicht gibt sie sich nicht geschlagen, und ihr Klavierspiel nicht auf.
Man könnte einen Film voll Misogynie und böser Abrechnung mit dem weiblichen Geschlecht erwarten, der die »wahren« Seiten der Frauen zeigen will, um sie am Ende dann doch ihrer eigenen Lächerlichkeit preiszugeben. Emma und Marie behalten jedoch auch dann noch ihre Würde, wenn sie längst am Boden liegen. Laloys verliert nie den Respekt vor ihren Figuren, sie werden nicht karikiert und nicht vorgeführt – und zwar deshalb, weil die Regisseurin noch nicht einmal im Ansatz versucht, die Distanz zu wahren. Sie erzählt die Geschichte von innen, nicht mit dem Blick von außen. Und obwohl ihre Protagonistinnen manipulieren, sticheln, berechnen, sich gegenseitig und sich selbst widersprechen – die extremen Nahaufnahmen von Emmas Gesicht, die bewusst gesetzten Point-of-View-Shots auf Maries Körper schaffen eine Vertrautheit und ein stilles Einverständnis der Figuren, das sich auf den faszinierten Zuschauer überträgt und dem er sich nicht entziehen kann.
Laloys lässt die Grenze zwischen den Stereotypen des guten und des bösen Mädchens, zwischen Lachen und Weinen, Dominanz und Hilflosigkeit, Liebesspiel und Kampf verschwimmen. Die Frauen kämpfen auf Augenhöhe, und vor allem kämpfen sie weiblich, mit Blicken, Gesten und Sprache. Ihre Gesichter sprechen Bände, erzählen von Neid und kochender Wut; von Gefühlen, die nicht direkt ausgesprochen werden dürfen, sonst ist man ausgeschieden aus dem Spiel, das sich doch bis zum Ende Freundschaft nennt. Die spannungsgeladene, sich ins Tragische steigernde Atmosphäre wird von den Themen der klassischer Musik getragen, Bach, Schuhmann und Ravel, die Marie für das Studium übt, an denen sie verzweifelt und die sie am Ende doch beherrscht. Und die zum Glück das ewige französische Chanson ersetzen. Wohlbemerkt spielt der Film in Lyon, und nicht in Paris. Ganz ohne Konventionen kommt er letztendlich dann aber doch nicht aus: Die Mädchen erfüllen leider einige männliche Wunschvorstellungen von französischen Frauen, wenn die üppige, kindliche Brünette mit ihren Haaren spielt und die strenge Blondine kühl die Lippen schürzt. Obwohl sich Laloys doch so sehr bemüht, einen weiblichen Blick auf die Frauen zu zeigen. Das schafft sie ansonsten auch, indem sie alle Facetten einer Beziehung zwischen zwei jungen Frauen zeigt. Wenn der Eindruck entsteht, man sei mit dabei, wenn sie sich lieben und hassen, sich verachten und sich dennoch gegenseitig brauchen. Denn letzten Endes gibt es doch das Paar »Emma & Marie« – ein Gegeneinander, das ohne das Miteinander nicht auskommt.
Auf dem Filmfest: Fr., 03.07., CinemaxX 3, 17:30 Uhr und Sa., 04.07., CinemaxX 3, 22:30 Uhr
Harmonische Musik erklingt aus dem Off, man sieht Bilder eines Aufbruchs, eine Familie fährt im Auto von Zuhause weg. Während die Filmtitel noch über die Leinwand laufen, zeigen die ersten Bilder das Auto in der Fahrt: Aus der Distanz, von oben, von der Seite. Man glaubt diese Bilder ganz vage wiederzuerkennen, und vielleicht ist es ein subtil gesetztes Zeichen der Regisseurin Sophie Laloy, vielleicht auch nur zufällige Koinzidenz, dass diese allerersten Einstellungen jenen ähneln, mit denen Michael Haneke seine Funny Games beginnen lässt. Auch die Musik, die einen hellen, harmonischen Grundklang mit leichten Disharmonien mischt, betont eher das Vage der Situation, baut subtil Atmosphären der Unsicherheit, ja: Bedrohung auf.
Noch ist dies versteckt in der Freude der Wiederbegegnung der beiden Kindheitsfreundinnen Emma und Marie, die sich hier erstmals nach Jahren sehen. Doch die Blicke sprechen bereits eine andere Sprache: Verwunderung ist bemerkbar, genaue Beobachtung, Reserve. Noch weiß Marie vermutlich selber nicht, wie ihr genau geschieht: Zu überwältigend ist die Macht des Neuen. In Lyon wird sie am Konservatorium eine Ausbildung zur Pianistin beginnen, darum ist sie bei Emma eingezogen. »Ich werde im Zimmer meiner Eltern schlafen.« sagt diese zu Beginn, offenbar ist mit deren schneller Rückkehr nicht zu rechnen. Marie wird in Emmas alten Raum ziehen. Etwas später erfahren wir, dass Emmas Vater tot ist, die Mutter in den USA lebt.
So weit der äußere Rahmen. Nach wenigen Minuten schon ist die Meisterschaft dieses Films offensichtlich: Bewundernswert, wie Laloy ein spannungsreiches Beziehungsnetz entfaltet, bestimmt von wechselseitiger Irritation, versteckten Vorwürfen, Misstrauen, und heimlichem, ungelenktem Begehren. Die Beziehung der beiden jungen Frauen ist nicht aufrichtig. Schon früh steht viel Unausgesprochenes im Raum: Eine Vergangenheit, die offenbar Narben auf der Seele hinterließ – Emma habe sich sehr verändert, bemerkt Marie. »Ich war früher sehr schüchtern« sagt Emma, und dann der Vorwurf, dass die Freundin irgendwann nicht mehr angerufen habe... Irgendetwas scheint vorgefallen. Immer rätselhafter wird das Verhältnis der beiden – intensiv und großartig gespielt von Judith Davies und Isild Le Besco – und mündet in einen Zweikampf der Gefühle. Die Musik ist jeweils als dramaturgisches Zeichen eingesetzt: Ob Ravels Pavane a un enfante défunte oder Schuhmanns Carneval, Mussorgskis Bilder einer Ausstellung – immer wieder geht es um Parallellwelten des Phantastischen, um das geheime Geisterreich der Gefühle.
Die beiden sind denkbar unterschiedlich: Marie entspricht eher dem Klischees eines jungen Provinzmädchens: Neugierig, offen, aber auch brav und langweilig. Emma gibt dem Betrachter mehr Rätsel auf: Irgendwie spröde und streng, altklug und viel stärker, als die Freundin. Eine femme fatale, auf ihre Art. Das entspricht durchaus dem schon früh angedeuteten Horror-Genre, in dem ein unschuldiges Wesen das Stahlbad der Todesgefahr überstehen muss, um stark zu werden, oder mindestens erwachsen.
Aber in der Dynamik, die der Film entfaltet, verändern sich die Figuren bald, wechseln ihre Rollen. Und so wie im film noir die Dunkelhaarige meist die femme fatale und Stärkere, die der Nacht Verfallene ist, die Blonde dagegen das Unschuldige, Engelhafte, Reine verkörpert, so bekommt auch hier plötzlich Marie die Oberhand, erscheint Emma, als die Verletzliche, Sensible. Und dann wieder doch nicht. Und doch wieder... Keine der beiden Seiten scheint hier klar unterlegen, hin und her reißt der Film die Sympathien der Zuschauer.
Je te mangerais heißt der Film im Original – der deutsche Titel Emma & Marie ist zu brav, um diesem Psychothriller ganz gerecht zu werden. Sophie Laloys glänzendes Kinodebüt handelt von sexuellem Erwachsen und Begehren. Nahe der Ästhetik des Horrorkinos durchlöchert dieser Film die nur scheinbar festgefügte Grenze zwischen Autorenkino und Genre. Ein eindrucksvolles Debüt, ein noir melo mit Anleihen an Cocteau und Tourneur, mit dem sich Laloy als neue, eigenständige Stimme im französischen Kino zu erkennen gibt, und zugleich die große Tradition des französischen Autorenfilms fortsetzt.
Eine ganz radikale Sicht auf den Film würde hervorheben, dass Emma fast nur als Nachgestalt existiert, dass sie nur abends auftaucht, dunkle Kleider trägt... Dass sie also fast ein Phantom ist, vielleicht zu großen Teilen nur in Maries Einbildung existiert. Emma & Marie ließe sich ganz und gar aus Maries Sicht beschreiben: Als Geschichte eines netten, aber etwas unbedarften Provinzgirls, das ihre sexuelle Identität erst noch finden muss, das zwischen den Gefühlen für die Jungs im Konservatorium, und zur besten Freundin nicht recht gewichten kann, dass diese Freundin so ungemein bewundert, dass sie eins werden will mit ihr, die Erwachsensein und stilvolles Leben, Selbstständigkeit und große Welt verkörpert, den Abschied von den Eltern, den sie selbst noch nicht vollzogen hat. Auch als emotionale Biographie einer Künstlerin, die unter Lampenfieber leidet, und sich mit der geheimnisvollen Pianistin Brigitte Engerer identifiziert.
Umgekehrt, aus Emmas Sicht geht es auch um Aneignung und Verschmelzung: Sie trägt schwer an einer unbewältigten Vergangenheit, versteckt ihre Verletzlichkeit hinter spröden, kühlen Gesten – bevor sie sich in hysterischen Ausbrüchen entlädt. Marie hat für Emma die unbelastete Normalität und festgefügte Identität, nach der sie sich sehnt. Sie findet ihren Halt nur im Schein: In Lügen und der Mode. Nur so erhält sie die Aufmerksamkeit, die sich offenbar so dringend benötigt.
Ist dies nun eine Liebesgeschichte? Vielleicht. Jedenfalls aber keine einfache Coming-Out-Geschichte, oder eine unglückliche lesbische Love-Story. Bestimmt aber sind Emma und Marie einander auch in einer ganz eigenen Form von Liebe verbunden. Das zeigt sich gerade am Ende des Films: Da löst sich in einer finalen Erschütterung die Härte in Maries Blick, und in den letzten Minuten des Films kulminiert alles, was die Regisseurin Sophie Laloy zuvor über 90 Minuten aufgebaut hat.