Empire of Light

GB/USA 2023 · 116 min. · FSK: ab 12
Regie: Sam Mendes
Drehbuch:
Kamera: Roger Deakins
Darsteller: Olivia Colman, Micheal Ward, Colin Firth, Tom Brooke, Toby Jones u.a.
Filmszene »Empire of Light«
Als Mensch seine Menschlichkeit (wieder)erkennen...
(Foto: Disney)

Was man im Kino sehen kann

Das Kino muss mal wieder gerettet werden: Sam Mendes wagt mit seinem Historiendrama Empire of Light einen durchwachsenen Versuch

Sind da wirklich nur museale Reste geblieben? Was die Kamera im Empire – so heißt das Kino, in dem der Film spielt – zu Beginn findet, gleicht einem Lost Place. Altes Mobiliar in leerer Umgebung. Ein Kassen­häu­schen, eine Popcorn­ma­schine, Absper­rungen. Vom früheren Glanz sind nur noch Ideen und Erin­ne­rungen geblieben, die in den Nischen, Gängen und Kammern verhallen. Doch dann erwacht dieser Ort plötzlich zum Leben. Eine Tür wird aufge­schlossen, Birnen beginnen zu glühen. Die Schicht im Empire hat begonnen.

Untot ist das Kino. Mendes arbeitet gegen dessen Sterben, indem er zwischen dem Gestern und Heute zu vermit­teln versucht. Empire of Light spielt zwar in den 80er-Jahren, doch die Krisen, die er zeigt, haben nie aufgehört. Das ist zuvor­derst die viel­be­schwo­rene Krise des Kinos, das hier zwar in male­ri­scher Kulisse der engli­schen Küsten­land­schaft steht und das Eintau­chen in eine andere Welt und Zeit verspricht, aber nur noch von wenigen Gästen besucht wird. Allein eine große Gala­pre­miere scheint das Haus retten zu können. Das Konstru­ieren und Aufbau­schen von Events soll also fragliche Abhilfe schaffen, wie man es auch aus unserer Gegenwart kennt.

Dabei bleibt in Mendes' Film lange verborgen, welcher Reiz dort genau beschützt und gehütet werden soll. Was genau im Kinosaal vor sich geht, das soll erst in einer großen zentralen Szene all die ange­stauten Affekte hervor­bre­chen lassen. Sam Mendes lässt Olivia Coleman irgend­wann vor der Leinwand hinreißend weinen und dem Publikum soll es ähnlich ergehen. Nur, der Funke will nicht so recht über­springen.

Bis es überhaupt dazu kommt, erzählt Empire of Light davon, wie sich zwei Ausge­stoßene Gebor­gen­heit und Liebe schenken und doch an den Umständen ihrer Zeit kaputt­gehen. Olivia Coleman spielt die psychisch kranke Hilary, die von ihrem Arbeit­geber ausge­beutet wird. Michael Ward mimt derweil ihr Gegenüber: Stephen stößt neu zur Beleg­schaft hinzu. Er wird aufgrund seiner Hautfarbe diskri­mi­niert und versucht, sich dagegen zu behaupten.

Der Film verhebt sich damit gleich an mehreren schweren Themen: Miss­brauch, Rassismus, Klas­sen­hier­ar­chien, geistige Gesund­heit. Nichts davon wird derart verhan­delt, dass es einen ernsthaft ins Grübeln versetzen würde. Nie gerät die ange­bahnte Romanze so ins Schwingen, dass sie zum Anker oder Zündstoff in dem kompli­zierten sozi­al­po­li­ti­schen Gefüge taugen würde. Vielmehr geht es Mendes um die ober­fläch­liche melo­dra­ma­ti­sche Geste an sich, die hinterher im Spiegel der Kino­lein­wand und einem gegen­sei­tigen Erkennen das Hier und das Dort über­winden soll.

Dabei schlum­mert durchaus Faszi­nie­rendes in den Winkeln und archi­tek­to­ni­schen Eigen­heiten dieses Mikro­kosmos Kino. Empire of Light nähert sich ihm im wahrsten Sinne als Schau­platz. Ein Ort der Insze­nie­rungen und Begeg­nungen, an dem Menschen andere Perspek­tiven einnehmen, um einander beob­achten zu können. In Mendes' Film blicken sie aus dem Kassen­häu­schen heraus ins Freie, hüten Ikonen­fotos im Vorführ­raum, durch­forsten verfal­lene Räume im Ober­ge­schoss – dort, wo man sich zurück­zieht, der Lust freien Lauf lässt, wo noch Möglich­keiten schlum­mern. Das Draußen zieht an großen Glas­fas­saden vorbei: Kino als Fenster zur Welt insze­niert Sam Mendes auch abseits des eigent­li­chen Kinosaals.

Und darin liegt viel­leicht sein konse­quen­tester Streich: die Glas­scheiben in den eindrucks­vollen Aufnahmen von Kame­ra­mann Roger Deakins irgend­wann bersten zu lassen, die Grenzen einzu­reißen. Dann, wenn man in der träu­menden Liebes­ge­schichte beinahe heimisch zu werden glaubt. Wenn sich die Figuren in Sehn­suchts­räumen einrichten, dann muss ihre Verortung im Leben und einem größeren System wieder ins Bewusst­sein rücken. Quasi dann, wenn das Kino droht, sich in seiner reinen Welt­flucht und Illusion zu genügen.

Grausam ist dieser Film, weil er den Figuren Gewalt antun muss, um diesen betö­renden Raum zu erschüt­tern und ihn wieder mit der Gesell­schaft und ihren Krisen verflechten zu können. Es ist das eine markante, warnende Bild, das Mendes für eine Rettung der Kino­kultur kreiert, auch wenn es ausge­rechnet im Unge­heu­er­li­chen aufscheint. Da fallen Menschen über Margi­na­li­sierte her, reichen Zärt­lich­keiten nicht mehr aus, um über Gewalt hinweg­trösten zu können. Hier müsste der eigent­liche Streit mit der eigenen Utopie und ihrer Ästhetik beginnen. Doch Empire of Light fällt ausein­ander, wenn er aus diesem Kipp­mo­ment heraus doch wieder nur auf eine weitere beliebige Verklä­rung der Film­re­zep­tion an sich zusteuert. Tröst­lich­keit heißt seine Schwach­stelle.

Schwach deshalb, weil man da völlig unre­flek­tiert dem Medium Film und einer spezi­fi­schen Vorführ­praxis huldigt, ohne dessen Trenn­li­nien beachten zu wollen. Schwach außerdem, weil die Liebes­er­klä­rung zuvor­derst dazu dient, ein im Grunde recht konven­tio­nell gebautes Drama in den Mantel des Univer­sellen und Dring­li­chen zu hüllen. Die Magie des Kinos – hier zele­briert man sie in der ganzen Abge­dro­schen­heit der Phrase. Man sollte sie lieber miss­trau­isch beäugen, um sie bewahren zu können.

Empire of Light will noch einmal mit vergos­senen Tränen das Sehen an diesem Ort als einende Erfahrung hoch­halten, bei der der Mensch seine Mensch­lich­keit (wieder)erkennt. »Find where light in darkness lies«, steht deshalb auch über dem Eingang zum Kinosaal, den Mendes in Szene setzt. Das Kino als eine mora­li­sche Anstalt betrachtet. Sehend vom Erschre­ckenden zum Guten gelangen: Eine reizvolle Selbst­ver­ge­wis­se­rung! Film­schaf­fende bemühen sie besonders gern, wenn ihnen inter­es­sante Ideen ausgehen.

Empire of Light verkennt jedoch in seinem Konser­va­tismus: Dass Menschen weniger ins Kino gehen, liegt nicht daran, dass sie vergessen haben, dass es sich so schön fühlen und lernen lässt im Dunkeln, sondern zuvor­derst an ökono­mi­schen Verflech­tungen und ihren Auswir­kungen. Dass wir heute über Schwie­rig­keiten einer viel­fäl­tigen, subver­siven Filmkunst im Kino­pro­gramm, ausblei­bende Rezeption und wachsende Mono­po­li­sie­rungen disku­tieren müssen, liegt auch daran, dass es einem Kino gesell­schaft­lich immer leichter geworden ist, welches allein nach Konsens­er­fah­rungen und gefüh­ligen Über­wäl­ti­gungen auf abge­tre­tenen erzäh­le­ri­schen Pfaden giert.

Oder: dass es sich genau auf diesem Mythos der geteilten, mitlei­denden Erfahrung ausruht, ohne ihn notwen­di­ger­weise auch als Konflikt, Verwei­ge­rung und Ausein­an­der­set­zung reflek­tieren zu wollen. Empire of Light kann sich diesem Problem in seiner Gemäch­lich­keit nicht verwehren, dem äußerst span­nenden Kulis­sen­spiel zum Trotz. Sein tränen­zie­hendes Licht­spiel bleibt letztlich leere Wieder­ho­lung. Das Kino als Insti­tu­tion wird untot bleiben, solange ihm das Gewagte fehlt, und mag es noch so anmutig funkeln und glänzen. »Begin afresh, afresh, afresh«, zitiert der Film aus einem Gedicht von Philip Larkin und hat es doch kaum selbst vernommen.