USA 2003 · 92 min. Regie: Amie Siegel Drehbuch: Amie Siegel Kamera: Mark Rance Darsteller: Gigi Buffington, Dr. David Solomon, Maria Silverman, Patricia Donegan u.a. |
Es gibt Filme, in denen kann man versinken wie in einem Schaumbad, die Welt vergessen und mit allen Sinnen eintauchen. Es gibt Filme, die nascht man wie ein Stück Schokolade, genießt den süßen Moment und erinnert sich später an nichts außer einem vagen Wohlgefühl. Es gibt Filme, die sind schwer wie damals die Mathe-Hausaufgaben, über denen man schwitzte und bei denen man froh war, am Schluss überhaupt etwas herausbekommen zu haben. Es gibt Dokumentarfilme, die spannend wie Krimis sind, und Spielfilme, trockener als das wirkliche Leben.
Und es gibt Filme wie Empathy: ein spielerisches Puzzle, ein faszinierendes Vexierbild, das mit jedem neuen Teilchen anders, vollständiger aussieht und einen mit Freude immer neue Seiten entdecken lässt.
Wir sehen einen Dokumentarfilm. Es geht um Empathie, um Einfühlungsvermögen: wo sollte dieses besser zu beobachten sein als bei Menschen, die dafür bezahlt werden, einfühlsam zu sein, bei Gesprächstherapeuten, Psychoanalytikern. In Interviews mit Herren dieser Zunft hinterfragt die Filmemacherin Schemata und Konventionen der Therapie, die Grenzen zwischen persönlichem Interesse und Beruf und den Wahrheitsanspruch bei Analysierten und Analysierenden.
Geht es um Analytiker? Szenen eines Castings, Screen Tests und Fragen nach der Berufspraxis und Erfahrung: verschiedene Schauspielerinnen sprechen vor für eine Rolle in dem Film Empathy. Sie bekommen einen Dialog, die Beschreibung einer Situation und müssen glaubhaft eine Figur erstehen lassen, die bisher nur als Text existierte.
Sehen wir wirklich einen Dokumentarfilm? Da ist doch diese Frau, Lia, eine Schauspielerin (um genau zu sein: eine Voice-Over-Sprecherin). Wir begleiten sie bei einem Interview, im Privatleben und zu den Sitzungen bei ihrem Therapeuten. Alltagsbeobachtungen in dem Teil der urbanen amerikanischen Mittelschicht, in dem es scheinbar zum guten Ton gehört, einen Therapeuten zu haben.
Ihr neuer Job ist das Sprechen des Kommentars bei einer Dokumentation über Moderne, Architektur und deren Verbindungslinien zur Psychoanalyse.
Die Genres wechseln schneller als das Personal, vermischen sich und knüpfen überraschende Verbindungen. In immer neuen Variationen umkreist und umzingelt Amie Siegel ihr Thema, führt zu einleuchtenden Antworten, nicht ohne diese gleich wieder in Frage zu stellen. Was verbindet Friseure und Prostituierte? Was wird in Call-Centers gespielt? Selbstdarstellung und die Erkundung des Gegenübers, Vertrauen und Unverständnis, die wechselnden Positionen von Neugier, professionellem Interesse und Ignoranz: Empathy eröffnet ein weites Feld alltäglicher Beobachtungen und (eigentlich) nahe liegender Erkenntnisse.
Überzeugend setzt die Filmemacherin und Videokünstlerin ihren Vorsatz um, durch Überschneidungen und Parallelen von Doku und Fiktion, von Film und Video, von offener und heimlicher Beobachtung einen Zustand permanenter Verblüffung und freudiger Erkenntnis hervorzurufen. Ein Film zum wach Bleiben, eine spielerische Konfrontation mit dem für wahr gehaltenen, Gehirnjogging auf unterhaltsame Art.