Deutschland 2015/16 · 95 min. · FSK: ab 0 Regie: Norbert Lechner Drehbuch: Antonia Rothe-Liermann, Katrin Milhahn Kamera: Namche Okon Darsteller: Lynn Dortschack, Lisa Wihstutz, Linda Phuong Anh Dang u.a. |
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Intelligentes Spiel mit Stereotypen |
Da ist gerade einer der wenigen und dann noch tollen „Halle-Filme“ in die Kinos gekommen, Nicolette Krebitz Wild, da kommt schon der nächste. Und es ist fast so, als wolle Regisseur Norbert Lechner in Ente gut! Mädchen allein zu Haus die Seiten von Halle zeigen, die von Krebitz nur in Ansätzen und als symbolisches Kontrastprogramm ausgereizt wurden, über deren soziografische Befindlichkeit wir bei Krebitz aber wenig erfahren: Halle Neustadt.
Doch heben wir Halle wie die gebührende Nachspeise nach »Ente süß-sauer« erst Mal fürs Ende auf. Denn mehr noch als über die Abgründe der Erwachsenen erfahren wir bei Lechner etwas über die Abgründe der Kinder. Lechner, der sich bislang mit hervorragenden, aber immer auch ein wenig in der Nachkriegszeit historisch „kuschelnden“ Kinderfilmen wie Toni Goldwascher und Tom und Hacke einen Namen gemacht hat, wagt dieses Mal den Schritt in die absolute Gegenwart. Und zwar in eine, die es in sich hat. Er erzählt die Geschichte der 11-jährigen vietnamesischstämmigen Linh (Lynn Dortschack), die auf ihre neun Jahre alte Schwester Tien (Linda Phuong) aufpassen soll, während ihre Mutter zur kranken Oma nach Vietnam reisen muss. Von dieser Reise darf allerdings niemand erfahren, vor allem nicht das Jugendamt. Nebenbei muss sich Linh auch noch um den vietnamesischen Imbiss der Mutter kümmern. Alles läuft gut, bis plötzlich die 11-jährige Außenseiterin Pauline (Bahai Wihstutz) aus dem Plattenbau nebenan auftaucht und die beiden Schwestern auf fast schon kuriose Weise zu erpressen beginnt: sollten die beiden Schwestern sie nicht als „Freundin“ annehmen, wird sie das Jugendamt informieren.
Dieser Plot reicht an sich schon als Grundlage für einen guten Film aus, aber Lechner will nicht nur mehr, ihm gelingt auch mehr. Zum einen belässt er es nicht bei diesem kinderweltzentrierten Blick, sondern wagt auch einen ethnografischen Blick auf das deutsche Erbe des Vietnamkonfliktes, der weit darüber hinausgeht, dass es ohne Vietnam-Krieg keine vietnamesischen Restaurants in Deutschland gäbe. Denn Ente gut! nimmt sich die Zeit, auch die Schattenseiten der vietnamesischen Parallelgesellschaft in Deutschland zu zeigen, einem Mix aus DDR-Vertragsarbeitern und Nachkriegs-Boat-Peoplen und ihren mafiösen Strukturen, deren kulturell engen Grenzen sich nur die Kinder durch ihren Schulbesuch und die Aneignung der deutschen Sprache in Ansätzen entziehen können. Ente gut! spielt über ein hervorragendes Drehbuch (Antonia Rothe-Liermann und Katrin Milan) aber auch mit dem stereotypen Rassismus der ehemaligen DDR und ihrer Gegenwart: Zwar zeigt er die immer noch bestehende Ausgrenzung der im DDR-Jargon generell und abfällig als „Fidschis“ titulierten vietnamesischen Gastarbeiter – eine im Film differenziert von beiden Kulturen gezeigte „Abgrenzung“ – andrerseits gelingt es Lechner über den „Erpressungs“-Plot die Vorzeichen kreativ zu verdrehen und zu zeigen, wie absurd leicht das Brückenbauen zwischen unterschiedlichen Kulturen manchmal sein kann.
Ähnlich wie in Krebitz Wild funktioniert dabei Halle als städtisches Symbol der Transformation von starren Strukturen hervorragend. Nicht nur wird der dystopische Graben zwischen Halle Neu- und Altstadt über die eingebettete Vatersuche der beiden Schwestern überwunden, sondern auch so etwas wie ein Statement in Sachen Plattenbau abgeliefert, das vielleicht ein bisschen naiv wirken mag, aber tatsächlich machen ein paar bunte Luftballons vor grauer Kulisse nicht nur den Beton bunter, sondern weichen auch die verschleierten Blicke der grauen Betonbewohner auf. Mehr noch, als dieser Coup von einem überzeugenden Ensemble an Kinderschauspielern unterstützt wird, flankiert von einigen Stars der vietnamesischen Kinoszene, die Lechner überraschend für seinen Film gewinnen konnte.