Schweden/Dänemark 2003 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: Mikael Håfström Drehbuch: Hans Gunnarsson, Mikael Håfström, Klas Östergren Kamera: Peter Mokrosinski Darsteller: Andreas Wilson, Henrik Lundström, Gustaf Skarsgård, Linda Gyllenberg u.a. |
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Harte Schulbank |
»Es gibt nur eine Bezeichnung für jemanden wie dich: grundschlecht und zutiefst böse.« Als Erik Ponti aus der Schule fliegt, begleiten ihn harte Worte. Wenige Filmmomente später wird klar, was den verschlossenen 16-Jährigen so gewalttätig macht: Daheim erwartet ihn sein Stiefvater, der den Jungen bei jeder Gelegenheit grausam züchtigt. Die hilflose Mutter flüchtet vor den hallenden Schlägen in verzweifeltes Klavierspiel. Ein höllisches Idyll mit Topfpflanzen, Häkeldeckchen und Brotkrumenschäufelchen. Doch was etwas klischeehaft beginnt, wandelt sich schon bald zu einer spannenden Studie von den dunklen Mechanismen der Gewalt und den Möglichkeiten ihnen zu entrinnen.
Zunächst einmal verkauft die Mutter heimlich Hab und Gut, um ihn für das letzte Schuljahr im Nobelinternat Stjärnsberg unterzubringen, auch um den sicheren Preis, dafür selbst von ihrem Mann verprügelt zu werden. Für Ponti ist dies die letzte Chance auf einen Schulabschluss. Hier schimmert Sonne auf leuchtendem Herbstlaub, die Schüler tragen seidene Halstücher zur schnieken Schuluniform und man betreibt Golfsport und Reiten. Hinter der imposanten Fassade verbirgt sich allerdings eine brutale Hackordnung: Die älteren Schüler lassen an den Jüngern aus, was sie einst selbst erdulden mussten, Sadismus, Demütigung und Gewalt sind an der Tagesordnung. »An dieser Schule sorgen die Schüler selbst für Ordnung«, erklärt Eriks Hausvorsteher Otto Silverhielm dem Neuankömmling. Der siebte Kreis von Dantes Höllenvision ist für die Gewalttätigen reserviert – und genau hierhin scheint es Erik verschlagen zu haben.
Angesiedelt in den bigotten 50er-Jahren behandelt der Film ein universelles Thema: dass Gewalt immer neue Gewalt gebiert. Und die brennende Frage lautet auch hier, wie dieser Teufelskreis zu durchbrechen sei. Eriks Zimmergenosse, der pummelige, kluge Pierre, der Ghandi liest, glaubt darauf eine Antwort gefunden zu haben: Unauffälliges Verhalten, notfalls oberflächliche Hinnahme und gerade dadurch den tumben Schlägern haushoch überlegen sein – all das ist für ihn kein Zeichen von Feigheit, sondern von Vernunft.
Erik selbst sieht seinen Weg eher im provozierend-passiven Widerstand, lieber drückt er sich eigenhändig eine glühende Zigarette ins Fleisch als klein beizugeben. Damit bringt er vor allem Silverhielm in Rage – und in Zugzwang. Schließlich verfallen die älteren Schüler auf eine perfide Strategie: Sie beginnen, den physisch schwächeren Pierre zu tyrannisieren, um Erik zur Raison zu bringen. Für diesen eine fatale Zwickmühle: Verteidigt er seinen Freund mit den Fäusten, fliegt er von der Schule. Wehrt er sich nicht, verliert er seine Selbstachtung. Die Frage lautet: Wann und wie lange ist Gewaltverzicht in einer gewalttätigen Welt möglich und moralisch richtig? Ein Problem, das im Alltag ebenso wie weltpolitisch noch lange nicht gelöst ist.
Für Andreas Wilson war die Figur des Erik eine sehr vielschichtige erste Filmrolle – und er spielt sie mit ebensoviel Melancholie und Sehnsucht wie Brutalität und Härte. Da gibt es Filmmomente, in denen Erik seinen Gegnern ankündigt, auf welche Weise – und in welcher Reihenfolge er sie zu verletzen gedenkt. Und andere, in denen er schüchtern um das hübsche finnische Hausmädchen wirbt. Sein weißes T-Shirt unter der rebellischen Lederjacke sind eine klare Hommage an James Dean und Marlon Brando, ein deutlicher filmhistorischer Verweis, den der junge Schauspieler gar nicht nötig gehabt hätte. Für seine Leistung wurde er zum European Shooting Star 2004 gekürt.
Verholfen hat ihm dazu sicher auch die ruhige Hand von Regisseur und Drehbuchautor Mikael Hafström. Geradezu kühl – und deshalb um so eindrücklicher – setzt er Gewalt, Hilflosigkeit und Verzweiflung in Szene. Schüler, die sich einen noch so geringfügigen Verstoß gegen die Hausordnung zuschulde kommen lassen, werden während des gemeinsamen Abendessens vom Tischältesten durch einen äußerst schmerzhafte Kopfnuss vor aller Augen gezüchtigt. Besonders erschreckend: All dies ist Teil des Systems und geschieht mit Augen verschließender Billigung der Lehrerschaft, die ungerührt weitertafelt. Andere Schikanen ungeliebter Neulinge: Sie werden nachts in ihren Betten mit Latrineninhalt übergossen. Wen es ganz hart trifft, wird zum »Duell« mit einem Älteren bestellt. Fast auf Tuchfühlung streift die Kamera über grölende Jungengesichter, bis das Opfer um Gnade bettelt, oder aus dem Kreis geschleift wird. Ein Horror, der als blitzendes Damoklesschwert über allen Köpfen schwebt.
In Anlehnung an den autobiographischen Roman von Jan Guillou begibt er sich auf die abgründige Suche nach dem Bösen der menschlichen Natur – und wie man ihm die Stirn bieten kann. Gewalt gebiert Gewalt, Opfer werden zu Tätern, soviel ist klar. Aber die Geschichte geht einen entscheidenden Schritt weiter: Auch Opfer von Gewalt können sich entscheiden, nicht länger Opfer zu sein und dennoch nicht zu Tätern zu werden. »Tragt den Geist von Stjärnsberg in die Welt hinaus«, fordert der Rektor seine Eleven am Schluss des Filmes auf. Das Schlimmste ist: Er weiß wovon er spricht. Und er meint es so.