D/CDN/S/N 2014 · 119 min. · FSK: ab 6 Regie: Wim Wenders Drehbuch: Bjørn Olaf Johannessen Kamera: Benoît Debie Darsteller: James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Peter Stormare u.a. |
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In Glas gespiegelte Seelen |
Wer die Literatur liebt, kennt es: Da tut sich in einem Gedicht plötzlich ein Absatz wie ein Abgrund auf, ein Spalt schiebt sich zwischen zwei Wörter, der da eigentlich nicht hingehört. Und schon ist es vorbei mit der Ruhe, mit dem unbemerkten Dahinfließen der Normalität. Die Welt macht sich bemerkbar.
Wim Wenders hat in seinem neuen Film genau so einen beunruhigenden Spalt eingebaut, in den die Welt hineinfließen kann. Seinen ersten Spielfilm seit sieben Jahren hat er Every Thing Will Be Fine genannt, jedes Ding wird gut sein, und eben nicht »alles wird gut«. Man stutzt beim Lesen des Filmtitels genau wie der Literaturliebhaber, stolpert über einen Allerweltsausdruck der englischen Sprache.
Wenders Film ist ein Film voll solcher Leeren und Lücken. In sie schiebt sich aber nicht, wie sonst so oft in seinen übervoll ausgefüllten Filmen Bedeutung (oder gar Bedeutungshuberei) (von Das Salz der Erde bis Der Himmel über Berlin) hinein, sondern sie lassen wohltuend eins zu: die Stille. Das Nichtwissen. Die Leerstelle. Sie sind das unsichtbare Fragezeichen, das über den Figuren schwebt, und die unausgesprochene Frage dazu lautet schlicht und ergreifend: Warum?
Tomas Eldon ist Schriftsteller. Er lebt im kalten Kanada und hat sich auf einen zugefrorenen See in eine Hütte zurückgezogen, um hier in Ruhe schreiben zu können. Aber: »You ain’t writing, the fish ain’t biting!«, wissen die Eisfischer. Tomas fährt mit seinem Auto über die hügelige Landschaft zurück nach Hause, es schneit. Alles erscheint still und friedlich in dieser schneegedämpften Einsamkeit. Bis ihn ein dumpfer Schlag stoppt: ein Kind ist mit seinem Schlitten aus dem Nichts aufgetaucht, sein Auto hat es erfasst. Tragischerweise, das darf hier verraten werden, saß noch ein zweites Kind auf dem Schlitten, der Bruder. Und er ist tot.
Every thing will be fine. Wie eine Beschwörungsformel legt sich dies von nun an über das Leben von Tomas, und gleichzeitig sehen wir die ganze Zeit dabei zu, wie eben nichts »fine« ist, wie jederzeit wieder sich eine Leerstelle zwischen jedem Ding wie ein Abgrund auftun kann. Den Schriftsteller in seiner nachdenklichen Zurückhaltung spielt der sonst gerne als Bad Boy verschriene James Franco. Sein Gegenüber ist Kate, in herb-verhärteter Weise verkörpert von Charlotte Gainsbourg, die Mutter des Überfahrenen, die im Glauben Trost zu finden scheint. Zwölf Jahre Trauma-Arbeit hat Wenders inszeniert, dabei den Aufstieg des Schriftstellers Eldon gezeigt, in wechselnden Beziehungen. Deutlich ist: Nicht nur in der Mutter, auch in ihm hat das fehlende Kind eine Wunde gerissen, eine Lücke geschaffen, die er erst durch Alkohol, dann durch schriftstellerische Worte zu füllen versucht.
Wenders zeigt sich, angedeutet durch die gläubige Kate und den gottesverneinenden, am Schicksal verzweifelnden Tomas, in diesem Film als Agnostiker. Zugleich erzählt er, wie im alten Griechenland, eine unendlich tragische Geschichte, die des unschuldig Schuldiggewordenen. In Griechenland, damals, hatten wenigstens noch die Götter ihre Hände im Spiel. Und hier? Hier ist es der Schnee, der vom Himmel fällt. Leise und sachte, und der die Sicht versperrt. Wenders hat seinen leisen, schön fotografierten Film in 3D gedreht, und bringt, anders als in seinem gefeierten und mit einem Oscar versehenen Dokumentarfilm Pina doch kaum die Effekte hervor, derentwegen man die teure und aufwendige Technik auf sich nimmt. Wenders Film zeigt einen anderen Effekt, der sich eher unmerklich über den Film legt: die Bilder sind 3D-plastisch, dadurch wirken sie substantieller, grundlegender. Auch filmt er die Menschen oft durch eine Glasscheibe hindurch. Oder es schneit, und dann ist es, als lebten sie im Inneren einer Schneekugel. Diese Metapher für die Welt, die sich durch das 3D aufdrängt, steht auch für die Abgeschiedenheit der Seelenlandschaften, in denen die Menschen ganz allgemein leben. Und in die das tägliche Mantra hinabschneit, wie tröstender Schnee, Wort für Wort: Every – thing – will – be – fine.