I/F/CH/GB 2015 · 124 min. · FSK: ab 6 Regie: Paolo Sorrentino Drehbuch: Paolo Sorrentino Kamera: Luca Bigazzi Darsteller: Michael Caine, Harvey Keitel, Rachel Weisz, Paul Dano, Jane Fonda u.a. |
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Offenbarung im Pool |
Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino ist erst Mitte Vierzig und scheut sich trotzdem nicht, sich in unmittelbaren Wettbewerb mit Federico Fellini – neben Michelangelo Antonioni der Überregisseur seines Landes überhaupt – zu begeben. Nach La grande bellezza (2013) zeigt Ewige Jugend erneut, dass dies erstaunlicherweise tatsächlich eine Begegnung auf Augenhöhe ist. Dabei ist Sorrentinos neues Meisterwerk in seiner Tiefe ein deutlicher Schritt nach vorne – nicht in Richtung Grab, sondern hin zu einem reifen Neubeginn.
La grande bellezza wirkte fast wie eine inoffizielle Fortsetzung zu Fellinis La Dolce Vita (1960), in der Sorrentinos Stammhauptdarsteller Toni Servillo die Rolle des gealterten Journalisten und Lebemanns verkörpert, die bei Fellini dessen Stammhauptdarsteller Marcello Mastroianni innehatte. Beide Filme zeigen eine in Dekadenz versunkene römische Gesellschaft, an welcher der Protagonist ebenso teilhat, wie er sich ironisch von ihr distanziert. Was bei Fellini jedoch eine große Leichtigkeit besitzt, ist bei Sorrentino von einer unübersehbaren inneren Schwere überschattet. Mit über 60 Jahren muss Jep Gambardella einsehen, dass er trotz seines geistigen Abstands zu seinen Freunden auch nicht mehr aus seinem Leben gemacht hat, da er lieber Partys gefeiert hat als hart zu arbeiten. Sein Leben ist an einem toten Punkt angekommen.
An so einem toten Punkt stand ebenfalls Fellini, nachdem er mit La dolce vita sein bisher bedeutendstes Werk geschaffen hatte. Den Filmemacher drängte es nach künstlerischer Weiterentwicklung, ohne dass er eine Richtung wusste. Schließlich thematisierte er einfach seine Schaffenskrise in Achteinhalb (1963) und schuf damit einen weiteren Meilenstein seines Schaffens – direkt am Schnittpunkt seiner neorealistischen und seiner surrealen Schaffensphase. Unübersehbar dockt Sorrentino mit seinem neuen Film direkt an Achteinhalb an. Der erneute direkte Bezug zu Fellini ist in diesem Fall noch gewagter, da die beiden Protagonisten in Ewige Jugend noch einmal deutlich älter als Jep Gambardella in La grande bellezza ist.
In dem Film verkörpern die gealterten Charakterdarsteller Michael Caine und Harvey Keitel die beiden gealterten Künstlerfreunde Fred Ballinger und Mick Boyle, die gerade – wie jedes Jahr – einen gemeinsamen Kuraufenthalt in einem luxuriösen Schweizer Grandhotel verbringen. Der berühmte Komponist und Dirigent Ballinger (Caine) wird von seiner Tochter und Assistentin Lena (Rachel Weisz) begleitet, die wiederum mit dem Sohn des berühmten Filmemachers Boyle (Keitel) verheiratet ist. Ballingers Schaffenkraft ist seit dem Tod seiner Frau erloschen. Schon lange hat er kein Stück mehr komponiert. Boyle arbeitet zwar wie besessen an einem neuen Film, aber ob dieser jemals gedreht werden würde, was angesichts seines bereist stark verblassten Sterns unklar ist. Auch Lena leidet, da ihr Mann Julien (Ed Stoppard) sie für das aufgedrehte Popsternchen Paloma Faith (als sie selbst) verlassen hat »weil diese besser im Bett ist«. Derweil macht ihr ein uriger Schweizer Bergführer mit Rauschebart Avancen, die Lena zunächst eher zu amüsieren scheinen.
Dies ist nur der innere Kern des skurrilen Figureninventars des Schweizers Grandhotels, in dem einst Thomas Mann seinen »Zauberberg« schrieb. Zu diesem gehören weiterhin Charaktere, wie der durchgeknallt-frustrierte junge Star-Schauspieler Jimmy Tree (Paul Dano) und ein groteskes verfettetes Diego Maradona-Double mit Atemmaske und riesigem Karl Marx-Tattoo. Hinzu kommen famose Gastauftritte einer unerwartet reflektierten Miss Universum und Jane Fonda als dem so bärbeißigen, wie zerknitterten Alt-Star Brenda Morel. Sie alle sorgen dafür, dass es in Ewige Jugend neben vielen melancholischen Altersreflexionen auch jede Menge zu lachen gibt.
So verzerrt Sorrentino die Parade der leicht schrulligen Charaktere in La grande bellezza in Ewige Jugend des öfteren zu einer grotesk-surrealen Freakshow. Passend hierzu wirkt der neue Film trotz seiner erneut barock-schwelgerischen Bilder von Sorrentinos Stammkameramann Luca Bigazzi auf seiner optischen Ebene des öfteren geradezu technoid zerhackt. Da folgen auf Bilder von alten Männern beim Baden und bei der Massage plötzlich surreale Einlagen in Gestalt eines Hitler-Doubles oder einer Traumsequenz, die so poppig-grell, wie der neuste Viva-Teen-Pop-Videoclip daherkommt. Dies verleiht Ewige Jugend den Eindruck einer geringeren Geschlossenheit als bei La grande bellezza. Der optische und auch akustische Wahnwitz sind Ausdruck von Sorrentinos gestalterischem Hang zum Exzess, der bis hart an die Grenzen des guten Geschmacks geht und diese auch gerne einmal überschreitet.
Des weiteren kommt bei genauer Betrachtung unterhalb dieses barocken Überschwangs eine glasklare Struktur zum Vorschein, deren Figurenkonstruktion fast überkonstruiert wirkt. In Ewige Jugend arbeitet Sorrentino mit Doppelungen in Form der beiden sich gegenseitig spiegelnden Künstler-Freunde und der analogen Liebesbeziehungen ihrer Kinder. In allen Figuren spielt das Thema der (verflossenen) Jugendlichkeit eine Hauptrolle. Auf fast musikalische Weise erscheint dieses Leitmotiv in Form vielfältiger Resonanzen ebenfalls in allen wichtigen Nebenfiguren. Gemeinsam bilden sie eine große Sinfonie der Jugend, die von diesem seltsamen Zauberberg in den Schweizer Alpen widerhallt.
Ewige Jugend ist nur bei oberflächlicher Betrachtung eine melancholische Trauer alter Herren um die längst vergangenen Tage ihrer Jugend. Im Kern zeigt Sorrentino in seinem neuen Werk die erstaunlich reife Einsicht, dass Ewige Jugend keine Frage ewiger jugendlicher Schönheit, sondern ewiger innerer Weiterentwicklung ist.
»Intellectuals have no taste.«– Igor Stravinsky
»Television is the future.« – Jane Fonda, in Ewige Jugend
Ein Sanatorium in den Schweizer Bergen, genau gesagt jenes illustre Schweizer Sanatorium »Berghotel Schatzalp« auf den Bergen über Davos, das seinerzeit den Schriftsteller Thomas Mann zum Nachdenken über Krankheit, Tod und den Verfall der europäischen Zivilisation inspirierte, und zu einem Roman, der ihm den Literaturnobelpreis einbrachte, auf den hier wohl auch offen angespielt werden soll. Eine wunderbare Filmkulisse!
Auf diesem Zauberberg erholen sich allerlei illustre Berühmtheiten und Reiche, ein Filmschauspieler, eine Miss Universe, Michael Caine spielt – mit langen Haaren, mit denen er aussieht, wie Toni Servillo – einen Komponisten, der alt geworden ist, und sich erholen will, gemeinsam mit seiner frisch geschiedenen Tochter, gespielt von Rachel Weisz und seinem besten Freund, einem Drehbuchautor, den Harvey Keitel spielt. Der arbeitet im Hotel mit einer Handvoll amerikanischer Hipster-Filmemachern an einem Stoff.
Das Gesamtbild zeigt eine melancholische Welt, und Künstler, die mit ihrem Altern sehr unterschiedlich zurecht kommen. Der italienische und keineswegs unumstrittene Regisseur Paolo Sorrentino interessiert sich in seinem neuen Film Youth, deutsch weitaus pathetischer in Ewige Jugend umgetitelt, dabei vor allem für Müdigkeit und das Altern alter Männer.
Dialoge gehen so:
»Massagen, Sauna Kontrolluntersuchung beim Arzt, damit du wieder richtig fit wirst.« – »In meinem Alter ist wieder fit werden Zeitverschwendung.«
Oder so:
»Hast du heute schon gepinkelt?« – »Ja, vier Tropfen. Und du?« – »Genauso. Mehr oder weniger«
»Mehr? Oder weniger?« – »Weniger.«
Ewige Jugend ist Sorrentinos bester Film seit Jahren. Das liegt allerdings weniger an einer Leistung des italienischen Regisseurs, als daran, dass Cheyenne – This Must Be the Place und La grande bellezza wirklich qualitativ unter aller Kanone waren. Das war schwer zu unterbieten. Und es liegt an Sorrentinos Hauptdarstellern.
Filmisch ist Ewige Jugend simpel, wenn nicht simplizistisch, vor allem überaus faul. Es gibt eine Menge offenkundiger Anschlussfehler, handwerkliche Schwächen, die auch Anfängern selten unterlaufen – und daher darf man annehmen, dass sie Sorrentino absichtlich einbaut und sich dabei witzig vorkommt.
Ungeachtet solcher Gags oder reiner Schlamperei besteht Ewige Jugend aus zwei sehr unterschiedlichen Typen filmischen
Erzählens. Es gibt sehr viele Dialogszenen, die höchst banal inszeniert sind, mit Halbtotalen und Close-ups, die per Schnitt-Gegenschnitt zusammengeleimt werden, und in denen keinerlei Wille zur Stilisierung erkennbar ist. Auf der anderen Seite sehr stilisierte Szenen in denen größere Menschengruppen choreographiert werden, und die extrem stilisiert sind, die mitunter an Musicals erinnern, in ihren Massen-Ornamenten, ihren anspruchsvollen Kameraperspektiven, mit Kameras auf
Schienen, an Kränen, Menschen auf Laufbändern, in Fahrstühlen – zu diesen Szenen läuft dann Musik. Die Menschen haben mal exaltiert-grimassierende, mal ausdruckslos schlafwandlerische Gesichtsausdrücke. Zwei Bild-Typen, die nicht recht zusammenpassen.
Die Dramaturgie des Films entspricht der einer Nummernrevue, in der sich eine Pointe an die nächste reiht: Zwei Rollatoren, die zusammenstoßen.
Jane Fonda hat ebenso einen Kurzauftritt wie ein Doppelgänger von
Argentiniens Fußballikone Diego Maradona wie eine namenlose Nackte mit Atombusen. Sorrentino begibt sich einmal mehr vage auf den Spuren Federico Fellinis, und Ewige Jugend könnte man sich auch als seine persönliche Version von Achteinhalb vorstellen.
Es wird ermüdend viel geredet, aber wenig passiert, die Kulissen sind schön, die Bildfeinfälle uninspiriert, aber mit solchen Schauspielern ist das alles trotzdem einigermaßen kurzweilig anzusehen. Bei dem ermüdenden Gerede geht es vor allem darum, wie es ist, wenn man alt ist, wie man mit der Vergangenheit umgeht. Man hört kleine nette unbedeutende lebensphilosophische Phrasen auf Paolo-Coelho-Niveau.
Es kommt auch ein Zen-Mönch in Meditation vor, zu dem Caine im Vorbeigehen sagt: »You don’t fool me, I know that you can’t levitate.« Doch in einem der letzten Bilder sehen wir ihn schweben. Statt einer Aussage formuliert Sorrentino den blöden, seichten, verlogenen Richard-Gere-Buddhismus des Westens, das neue Einverständnis der postmodernen Gesellschaft mit dem Esoterischen.
So ist Ewige Jugend vor allem eine gefühlige, undurchdachte, im Grundton melancholische Bilanz des Lebens und des Scheiterns. Sentimentales Altherrenkino, melancholisch und depressiv und irgendwie wahnsinnig irrelevant.
»Für Francesco Rosi« – diese Widmung am Ende des Films ist allerdings schon eine Unverschämtheit. Was bitte hat dieser Film mit Rosi zu tun? Hätte er den Film Fellini gewidmet, wäre das auch prätentiös und dreist gewesen, aber immerhin hätte man sagen können: Er will uns sagen, dass Fellini sein Vorbild ist, er stellt sich in eine bestimmte Tradition, und das irgendwie zu recht. Aber Rosi? Der hätte Ewige Jugend gehasst. Denn dieser Film ist alles das, was Rosi nicht war, auch nicht in seinen späteren, mitunter opernhaften Filmen: Er ist gekünstelt, manieriert, narzisstisch in seine eigene Form verliebt, zugleich unfähig, diese Form tatsächlich zu beherrschen.