Hongkong 1995 · 96 min. · FSK: ab 16 Regie: Wong Kar-Wai Drehbuch: Wong Kar-Wai Kamera: Christopher Doyle Darsteller: Leon Lai Ming, Karen Mok Man-Wai, Michelle Reis, Charlie Young u.a. |
plASTiK:knallrot.bunt.lackig.schimmernd.manchmalgeblümt; leuchtreklamen.softeisundfernsehen.totesfleisch.kirsch-lippen. engeflure.leerefastfood-buden.tunnelfahrten.Nacht.
Ganz Hong Kong ist ein Bonbonladen, poppig, verschachtelt und klebrig, erleuchtet von Neonröhren, weit und beliebig, prall und flüchtig und voller Menschen, die verloren durch die grelle Dunkelheit streifen. Fast schwindlig macht einen das wahnwitzige Einstiegstempo, vermittelt – wie in einem Alptraum, in dem man die fremde Umgebung nicht richtig erkennen kann – ein Gefühl von Unsicherheit, Unruhe. Doch dann verlangsamt sich allmählich die Fahrt und läßt uns ein Stück mal mit diesem, mal mit jenem Umhertreibenden mitlaufen. Da ist ein Berufskiller, dessen Morde wie schöne Feuerwerke aussehen und die man ihm deswegen nicht übelnehmen kann. (Wir ahnen ja, daß er sich eigentlich nur nach Liebe sehnt und sich dies nicht eingestehen will.) Oder seine Auftraggeberin (von der man sich komischerweise nie fragt, wieso sie eigentlich in diesem Metier arbeitet – so zerbrechlich schön ist sie doch, so unnahbar und unschuldig): wenn er nicht da ist, verzehrt sie sich in seiner leeren Wohnung nach ihm und sucht in dem, was er weggeworfen hat, nach seiner Seele. Ein lebensfroher, stummer junger Mann (groteskerweise sprachlos seit dem Verzehr einer verfallenen Dose Ananas) bricht nachts in Läden ein und erweckt diese zur Nachtschicht. Oder verfolgt Fremde, bis diese vor Verzweiflung seinen versponnenen Willen ausführen.
I should have shooten you so you feel the same thing in the chest just as I do – click!...what did I do to you?
Unerbittlich und liebevoll reißt Wong Kar-Weis Blick sie uns auf, diese Menschen, zeigt sie uns ganz ganz nah – beinah so auf- und eindringlich, wie der Stumme bei seinen »Opfern« verfährt. Extreme close-ups bohren uns ihre Sucht nach extremen Erlebnissen in die Brust; extreme Weitwinkel drängen die Menschen an den vorderen Bildrand, bis in der Leere des Raums und in der Ferne der sich im Hintergrund abspielenden Ereignisse die metaphysische Kälte auch uns beschleicht. Und obwohl wir persönlichste Gedanken von ihnen erfahren, so bleiben sie uns doch fremd, bleibt ihr Tun uns genau so unverständlich wie ihnen selber auch. Sicherlich wirken die Monologe aus dem Off teilweise etwas unbeholfen und banal gegenüber der ausgereiften, eigenwilligen Bildsprache Wong Kar-Weis. Auch einige alberne, vermutlich verspielt-scherzhaft gemeinten Szenen oder überlange Einstellungen noch so schöner Motive stiften in ihrer Überspanntheit eher Verwirrung. Es scheint fast, als ob der Regisseur in der Befürchtung, nicht verstanden zu werden, auf übertriebene Zeichen setzt – eben wie der Stumme, der bisweilen mit clownartigen Verrenkungen durch das Bild hüpft: so you feel the same thing in the chest just as I do! Vielleicht sind es aber auch nur die deutschen Synchronstimmen, die unpassend gerade und klar wirken inmitten dieses Treibens, vielleicht ist es auch einfach nur eine bestimmte Nuance des chinesischen Humors, die wir nicht richtig zu deuten vermögen. Und vielleicht sind wir auch schon so abgebrüht, das wir das Extreme bedürfen, um überhaupt noch etwas wahrzunehmen.
I am a creep – I´m so fucking special – What the hell am I doing here?
Für das Grundgefühl seiner Figuren aber hat Wong Kar-Wei einen universell verständlichen, stimmigen Erzählstil gefunden: Blicke durch Fenster, Spiegel, Rahmen, Videokameras oder gar filmblutbespritzte Kameraobjektive versinnbildlichen unmerklich Distanz und erzählen von der Ferne zu sich selbst. Denn die ist allen diesen Menschen zueigen, die in ihrem Universum wie Fische in einem Aquarium hin und her schwimmen, sich das eine oder andere Mal begegnen und selbst bei guten Vorsätzen immer nur bis zur Glasscheibe kommen. Das Leben ist simpel, scheint dieser Film zu sagen: man wird geboren, rennt hin und her und eines Tages ist man tot. Nicht ganz: denn bis dahin können sich noch so einige wundersame Dinge ereignen in diesem kleinen aber filmogenen Leben.
Hongkong 1995, der ideale Schauplatz für einen Science-Fiction-Film. Angesichts der bevorstehenden Übernahme der Stadt durch die Chinesen im Juli 1997 herrscht Endzeitstimmung. Jegliche Gesetze wurden schon lange außer Kraft gesetzt.- Seien es die Gesetze des Films, die ein gewisses Handlungsgefüge vorgeben, das hier jedoch praktisch völlig fehlt, seien es diejenigen der Moral oder des guten Geschmacks.
Wo es bei Chungking Express, dem Vorgänger von Fallen Angels, noch stille Liebesgefühle gab und einen Ort, um den alles kreiste, herrscht in Wong Kar-Wais neuestem Film Leere und Orientierungslosigkeit. Die Menschen hausen in tristen Hotelzimmern, an denen die Hochbahn vorbeirattert, verbringen die Nächte mit meist ziellosen Wanderungen durch die Stadt, vorbei an knallbunten Neonreklamen, die niemals ausgehen, da es in diesem Film ewig Nacht zu sein scheint. Ab und zu begegnen sich die Menschen, die keine Geschichte haben und deren Gedanken leere Phrasen sind.
Das Leben im Hongkong der Zukunft ist eine Qual, der keiner gewachsen zu sein scheint, trotz aller Coolness. Da ist der Killer, der immer wieder in einem Reigen fliegender Körper seinem Job nachgeht, da ist seine langbeinige Partnerin, deren Liebe unerwidert bleibt und die am Ende völlig unerwartet doch noch so etwas wie Zuneigung findet, und da ist der Stumme, der nachts Geschäfte aufbricht, um Passanten seine Dienste aufzuzwingen. Und da sind andere Personen, die ohne jede Anteilnahme vorgeführt werden.
Anteilnahme wäre ohnehin fehl am Platz in einem Film, der alles quasi im Vorbeigehen wahrnimmt, wie ein Passant, ständig auf dem Sprung zur nächsten einsamen Gestalt. Es ist dann auch der Blick des Passanten, des grandiosen Kameramanns Christopher Doyle, der den Film immer wieder spannend macht. Neonlichter, die aus der Dunkelheit auftauchen und wieder verschwinden, eine Motorradfahrt über menschenleere Straßen, ein Schwenk Richtung Himmel... Ruhige Momente, in denen die Bilder zu fließen scheinen, in denen die dröhnenden chinesischen Beats, die Fallen Angels wie einen Videoclip begleiten, für kurze Zeit aussetzen. Und schließlich, als alles in Weltschmerz versinkt, läßt sich Kar-Wai doch noch zu einem Happy End hinreißen, zu den Klängen eines Songs aus Chungking Express, dem soviel angenehmeren und konsequenteren Film aus der Gegenwart...