Fack ju Göhte

Deutschland 2013 · 118 min. · FSK: ab 12
Regie: Bora Dagtekin
Drehbuch:
Kamera: Christof Wahl
Darsteller: Elyas M'Barek, Karoline Herfurth, Katja Riemann, Jana Pallaske, Alwara Höfels u.a.
Die etwas andere Reformierung des deutschen Schulsystems

Lachen in Lümmelland

Schön, mal wieder vorge­führt zu werden, schön zu sehen, wie vertrackt es mit der Tradition sein kann – also richtig schön, Fack ju Göhte gesehen zu haben. Und bevor es hier mit dem üblich analy­tisch-kritisch-inhalt­li­chen Bauklötz­chen­spiel weiter­geht, sei der Schluss­teil einfach mal vorweg­ge­schoben: wer Lust auf eine immer wieder intel­li­gente, miljökri­ti­sche, aber auch vor keinem fein abge­stimmten Kalauer und Slapstick zurück­schre­ckende, immer wieder alle poli­ti­sche Korrekt­heit in den Mülleimer werfende und auch schau­spie­le­risch bril­lie­rende Komödie hat, dem sei Bora Dağtekin Fack ju Göhte dringend ans Herz gelegt. Wer aller­dings die Kino­ver­sion Dağtekins von Türkisch für Anfänger total verblödet fand, wem bei dem Gedanken an das Genre Pauker- und Lümmel­komö­dien aus dem Fundus Deutscher Film 1930-1983 das kalte Grausen überzieht oder wer bei Produk­tionen Adam Sandlers, Judd Appatows, den Farrely-Brüdern und David Gordon Green Tobsuchts­an­fälle kriegt, sollte davon Abstand nehmen.

Dabei ist Türkisch für Anfänger im Grunde nicht mehr als die Hand­schrift Dağtekins. Das Papier, auf das er schreibt, die Tradition, in der Fack ju Göhte steht, ist weitaus komplexer. Schon der Plot – gesell­schaft­li­cher Außen­seiter wird durch Zufall Lehrer und räumt mit dem maroden deutschen Bildungs­system mal so richtig auf – erinnert so ziemlich an alle Meilen­steine deutschen Pauker- und Lümmel­films. Ange­fangen bei dem ersten Tonfilm mit dem deutschen Stumm­film­star Henny Porten, Skandal Um Eva über Klassiker wie die Feuer­zan­gen­bowle, Seri­en­er­folge wie Die Lümmel Von Der Ersten Bank 1-7 bis zu Trash-Komödien wie Siggi Götz Plem, Plem – Die Schule brennt. Dass allein diese Tradition noch keine gute Komödie garan­tiert, liegt auf der Hand.

Doch Dağtekin besinnt sich nicht nur auf eine viel­leicht frag­wür­dige, aber immerhin doch reiche Vergan­gen­heit, sondern schöpft ebenso aus dem radikalen Pool US-ameri­ka­ni­scher Schüler-Lehrer-Filme der jüngsten Gegenwart. Nicht nur wird die Geschichte ähnlich wie in David Gordon Greens Bad Sitter zu einem irrem Mix aus sexuellen Anspie­lungen und gesell­schafts­kri­ti­schen Verball­hor­nungen verquirlt und dabei gleichz­eitig noch eine berüh­rende Liebes­ge­schichte erzählt. Dağtekin vermag sogar dieses Romcom-Kunst­stück noch zu verfei­nern, indem er es mit einer fein tarierten Abfolge von mal dämlichen, mal köst­li­chen, aber immer wirkungs­vollen Slapstick-Einlagen unterlegt, die in nichts denen der Stooges – Drei Voll­pfosten drehen ab der Farrellys nach­stehen.

Geht noch mehr? Ja, es geht. Denn auch sprach­lich gibt sich Dağtekin, der ebenfalls für das Drehbuch verant­wort­lich ist, nicht mit den üblichen, plaka­tiven deutschen TV- und Film-Standards von Jugend­sprache ab, sondern dekon­stru­iert auch hier munter drauf los, ohne dabei an Authen­ti­zität zu verlieren. Unter­s­tützt wird er dabei von einem Ensemble, das sowohl Sprache, Humor als auch Slapstick kongenial vereint. Ange­fangen bei alten Bekannten aus Türkisch für Anfänger wie dem über­ra­genden Elyas M’Barek als pulsie­rende Symbiose aus Turktrash & Deutsch­lehrer bis zu der im Bora Dağtekin-Universum neu hinzu­ge­kommen Karoline Herfurth als verklemmte und verschüch­terte Refe­ren­darin.

Nur eine Winzig­keit im klein- und bildungs­bür­ger­li­chen Sehn­suchts­himmel bleibt unbe­frie­digt, nagt trotz ganzheit­li­cher Über­sät­ti­gung weiter, gewis­ser­maßen der Goethe in uns allen: Wie kann es sein, dass auch nach 83 Jahren inten­sivsten film­kri­ti­schen Lach-Diskurses das deutsche Schul­system weiterhin so verwundbar ist?