Deutschland 2017 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Bora Dagtekin Drehbuch: Bora Dagtekin Kamera: Markus Nestroy Darsteller: Elyas M'Barek, Jella Haase, Sandra Hüller, Katja Riemann, Max von der Groeben u.a. |
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Mia san mia |
Lohnt es sich wirklich, die Hoffnung nie aufzugeben und selbst auf die schlechtesten Schüler bis zum Ende der Schulzeit zu setzen? Lohnt nicht. Auch wenn sie mal viel versprechend begonnen haben. Jüngstes Beispiel: Fack Ju Göhte 3. Tolle Grundschulergebnisse (Fack ju Göhte 1), schlimmer Absturz in der Mittelstufe (Fack ju Göhte 2), hoffnungslose Oberstufe (Fack Ju Göhte 3).
Dabei fing alles mal so schön an... Nein, da wollen wir erst gar nicht hin, bloss kein Heulen darüber, wie schön die Vergangenheit war, wie toll anarchistisch die Grundschulzeit noch war, bevor dann das Grauen deutscher gymnasialer Mittelstufe alles zunichte machte. Nein, da wollen wir erst gar nicht mit anfangen. Denn die Fakten sprechen ja auch eine andere Sprache. Fack Ju Göhte 3 ist nicht ohne Teil 1 denkbar, und kriegst du was, musst du halt auch dafür bezahlen. Und immerhin verkaufte sich Fack ju Göhte 2 immer noch so gut, dass allein schon deshalb und wegen dem schönen Wort »Trilogie« und DVD-Box, Teil 3 angegangen werden musste. Und warum auch nicht nach dem Prinzip verfahren: besser schlecht als gar nicht. Warum ich das schreibe: weil es kaum mehr Schnittmengen gibt. Eine Befragung von 10 Elft-Klässlern nach ihrer »Filmografie« spiegelt das wider, was die Gesellschaft in vielen anderen Bereichen bereits schon ist – individualistische Seifenblasen, die sich kaum mehr überschneiden und wenn sie das tun, drohen sie zu platzen. Zwei Befragte haben immerhin Harry Potter gesehen und vielleicht werden es bei Fack Ju Göhte 3 tatsächlich ein paar mehr sein und so etwas wie ein zaghaftes, kollektives Unterbewusstes bilden, ein seifig-seidener Faden zwar nur, doch vielleicht schafft ers ja, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten, wenn sonst schon nichts mehr geht.
Denn wie schon die ersten beiden Teile, so bietet auch Teil 3 mindestens zwei gute Slapstickszenen (Zäpfchen & Kunst) und zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten für Schüler aller Couleur: sei es der Berufswahlschwachsinn, die Abi-Idiotie, Drogen und Unterschicht-Phobien oder die fehlende Chancengleichheit in unserem Bildungssystem. All diesen Frust über Zeki Müller (Elyas M’Barek) und die tolle Sandra Hülller (Biggi Enzberger) – die also mehr als Toni Erdmann kann – in einen fast schon utopistischen Ur-Schrei nach einem anderen System gebündelt zu sehen, tut allein schon gut und macht den rigiden Schulalltag an deutschen Schulen immerhin ein wenig erträglicher, denn eins gilt allemal: selbst die beste deutsche Schule ist immer noch schlechter als Fack Ju Göhte 3.
Dabei ist es schwer zu sagen, ob das daran liegt, dass es dem deutschen Bildungssystem einfach an Förderung fehlt. Und Bora Dagtekin und seinem Anti-Schule-Franchise nun mal nicht. Obwohl selbst Teil 1 bereits ein finanzieller Knaller war und Teil 2 ebenso, gab es auch für Teil 3 wieder fette Filmförderung von der deutschen Filmförderanstalt FFA, die es inzwischen genauso hält wie das deutsche Bildungssystem: potenzielle Versager werden gleich im Vorfeld abgesägt, mehr noch, als seit Mitte dieses Jahres die FFA nur noch Filme zu fördern empfiehlt, die es auf mindestens 250.000 Zuschauer bringen könnten.
Das schmeckt nach verschärften Verweis, keine Frage, aber wen schert es denn wirklich, dass die absackenden Leistungen bei deutschen Grundschülern fast perfekt auf den deutschen Film übertragen werden können? Dass, wenn die Kasse stimmt, schon alles paletti ist, die deutsche Wirtschaft doch genauso brummt wie die erfolgreichen deutschen Komödien. Wie fragil das Ganze ist, wie tönern die Füße sind, auf dem das alles steht, wird schnell vergessen.
An Fack Ju Göhte 3 läßt sich das wackelige Fundament besonders schön betrachten. Denn eigentlich stimmt kaum etwas an diesem Film. Zu völlig erratischem Overacting animierte Schauspieler verheddern sich in immer mehr Handlungssträngen, die nur auf den nächsten deftigen Klamauk hingeschrieben sind, aber schon im nächsten Moment völlig sinnentleert wieder absacken. Kalauer folgt auf Kalauer: die Akademie der Bildenden Künste in München ist ein Krankenhaus und Zeki Müller ist plötzlich Homo Faber und wenn Chantal (Jella Haase) auf ihrem Fahrrad ein paar Joggern zubrüllt, ob sie denn für die Paralympics trainieren würden, sind es – ganz vorn David Alaba – ein paar Jungs aus dem Bayernkader, die fast schon exemplarisch den »Mia-san-mia-Dusel« des ganzen Films verkörpern. Jeder feiert sich hier selbst – und für wen dieses Bad an Selbstreferenzialität immer noch zu wenig ist, für den werden mit dem Drehbuch-Presslufthammer am Ende ein paar Wackersteine in den verkreideten Wolfsrachen gedonnert, um auch noch ein paar Abschiedsgefühle serviert zu bekommen.
SNAFU – situation normal, all fu**** up? Hätten das die Franzosen besser hingekriegt? Beim aktuellen Stand der französischen (Weichspüler-) Komödie wohl nicht. Dann wohl schon eher die Engländer und Amerikaner, die nicht nur politisch momentan am meisten zu verlieren haben, und vor allem letztere aus einem unvergleichbaren Fundus an Schülerkomödien schöpfen können. Vor allem: überzeugend seriell erzählter Schülerkomödien. Man denke nur an Judd Apatows auch nach fast 20 Jahren immer noch taufrischen Freaks & Geeks – für Stunden so voll daneben und voll im Leben, wie Fack Ju Göhte 3 es nur für ein paar Minuten ist.