USA 2023 · 141 min. · FSK: ab 12 Regie: Blitz Bazawule Drehbuch: Marcus Gardley Kamera: Dan Laustsen Darsteller: Fantasia Barrino, Colman Domingo, Taraji P. Henson, Corey Hawkins, Danielle Brooks u.a. |
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Lieber nicht in offenen Wunden bohren... | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Eigentlich ist Die Farbe Lila eine zutiefst tragische Geschichte: In den Südstaaten Anfang des 20. Jahrhunderts müssen schwarze Frauen ihren Platz finden. Die Hauptfigur Celie wird als Heranwachsende mehrfach von ihrem Vater vergewaltigt und schließlich an einen Schwarzen zwangsverheiratet, der sich von allen nur »Mister« nennen lässt – um sich so erzwungenermaßen Respekt zu verschaffen. Bei ihm geht es ihr auch nicht besser, er misshandelt sie und verbietet ihrer geliebten Schwester Nettie den Zutritt zu seinem Grundstück. Männer sind hier, bis auf einige Ausnahmen, Feindbilder. Mehr interessiert Regisseur Blitz Bazawule das Leben der Frauen. Celie ist zunächst eine vor allem bemitleidenswerte Gestalt, die im Haus von Mister schuftet, sich um die Kinder kümmert, die er mit einer anderen Frau bekommen hat, und in seinem Bett schläft, während auf dem Nachttisch das Bild einer Frau steht, die der Ehegatte eigentlich liebt: Shug Avery. Viel erfährt das Publikum nicht über sie, nur, dass Mister mit ihr in der Vergangenheit eine Affäre hatte.
Shug ist eine glamouröse Sängerin und ganz das Gegenteil von Celie. Schnell fühlt sich die Protagonistin zu ihr hingezogen und entwickelt ein erotisches Interesse an ihr. In der erwachsenen Stieftochter Sofia lernt sie außerdem eine Frau kennen, die sich von Männern nichts sagen lässt und wenn nötig auch den Bürgermeister schlägt, als dieser sie mit Gewalt dazu bringen möchte, sein Dienstmädchen zu werden. Die Schauspielerinnen lassen ihre Figuren dabei sehr glaubwürdig wirken. Danielle Brooks verkörpert Sofia als Frau, die ihren Mann liebt, aber lieber gewalttätig wird, als sich unterzuordnen. Fantasia Barrinos Celie dagegen ist nicht von Anfang an emanzipiert. Zu Beginn nimmt sie eheliche Gewalt so sehr als Normalität hin, dass sie dem Ehemann von Sofia sogar empfiehlt, sie zu schlagen. Emanzipation ist eben nicht unbedingt selbstverständlich. Im Film wird sie in verschiedenen Facetten gezeigt.
Die Farbe Lila findet Stärken vor allem in den ruhigen Szenen und den kleinen Triumphen der Hauptfigur. Es stellt sich die Frage, wie viel Realität wirklich in den Schilderungen des Films steckt. Einige der Ereignisse basieren auf realen Geschehnissen, andere wirken übermäßig dramatisch. So wird sicherlich nicht jeder Schwarze Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen missbräuchlich behandelt haben. Doch zeigen sich so auf der anderen Seite auch die Auswirkungen des Patriarchats, das von Generation zu Generation misogyne Strukturen unhinterfragt weitergeben kann. Schließlich stützen hier auch die Frauen die Männerherschaft.
Nun ist diese Geschichte aber absolut nicht neu. Der Film basiert auf dem Briefroman von Alice Walker, der bereits kurz nach seinem Erscheinen 1982 von Steven Spielberg verfilmt wurde. Was hat diese Neuverfilmung also Neues zu bieten?
Nun ja, die neue Version der »Farbe Lila« bedient sich nicht nur beim Buch, sondern auch beim gleichnamigen Broadway-Musical, welches 2005 uraufgeführt wurde. Zwischen all der Tragik sind also – vielleicht etwas zu häufig – Choreografien, gepaart mit Gospel- und Bluessongs, eingestreut. Die Musicaleinlagen nehmen der Geschichte deutlich ihre Schwere. Erkennbar wird das etwa, wenn Celie in einem Geschäft eines ihrer Kinder entdeckt, das Mister zur Adoption freigegeben hatte. Darauf folgt erst einmal eine etwa dreiminütige Choreografie, in der sie mit anderen Frauen unter einem Wasserfall tanzt. Die Choreographie, die Regisseur Blitz Bazawule hier zusammen mit Fatima Robinson geschaffen hat, ist dennoch stimmig, was beim näheren Blick auf den Künstler nicht überrascht: Schließlich war Bazawule bisher vor allem als Rapper und Musikproduzent tätig und arbeitete als Co-Regisseur bei Beyoncés Musikfilm »Black Is King« mit. Allerdings lässt die Vielzahl an Songs kaum Raum für die Verarbeitung des Gesehenen oder eine echte Entwicklung von Emotionen zu. Gerade wenn Lieder nur in wenigen Zeilen angerissen werden und dann ebenso schnell wieder enden, geraten sie zum überflüssigen Beiwerk.
Die musicalerprobten Darsteller wie Danielle Brooks (die schon in der Bühnenfassung des Musicals mitspielte) oder Corey Hawkins (In the Heights) können sich zwar hören lassen, allerdings gehen die vielen Musicaleinlagen auf Kosten von Figuren- und Handlungsentwicklungen: Wenn Mister dann von einer Sekunde auf die andere schwört, ein guter Mensch zu werden und plötzlich sympathisch wirken soll, geht wirklich alle Glaubwürdigkeit verloren.
In Blitz Bazawules Die Farbe Lila macht sich eine Krankheit bemerkbar, die sich immer wieder in Hollywoodfilmen beobachten lässt: Das Ziel zu unterhalten mag noch mehr oder weniger gelingen. Wichtige Themen werden jedoch verschleiert, als wolle man nicht in offenen Wunden bohren. Da lässt man am Ende jegliche Probleme vergessen sein, damit lieber alle Figuren gemeinsam im gleißenden Sonnenlicht »Amen« singen.