USA/China 2019 · 101 min. · FSK: ab 0 Regie: Lulu Wang Drehbuch: Lulu Wang Kamera: Anna Franquesa Solano Darsteller: Zhao Shuzhen, Awkwafina, X Mayo, Hong Lu, Hong Lin u.a. |
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Dialoge fernab jeglicher politischer Doktrin (Foto: DCM Film) |
»Andere Zeiten, andere Sitten. Vielerorts gibt es den Kotau gar nicht mehr. Und bei Hochzeitsbanketten wird einfach beliebig jemand vorgeschlagen, der das Programm macht, es wird gelacht, herumspektakelt, Eltern, Verwandte, Freunde, jeder kann auf die Bühne und sich produzieren.« – Liao Yiwu, Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten
»Keinen richtigen politischen Standpunkt haben bedeutet, keine Seele haben.« - Mao Tse-tung
Setzt man sich nur dem globalen Nachrichtenstrom aus, könnte man beim Thema China tatsächlich verzweifeln. Sei es die rigorose Marginalisierung der Uiguren, die an ein an die nächste Generationen weitergereichtes Trauma der Kulturrevolution erinnert oder erst Recht die damit verbundenen wirtschafts-politischen Rundumschläge, wie etwa die abgesagte Übertragung des Arsenal-Manchester-Spiels am letzten Sonntag, nachdem Arsenal-Spieler Mesut Özil sich in einem Twitter-Statement gegen die chinesische Uiguren-Politik ausgesprochen hatte. Aber man muss gar nicht mal über die Realpolitik Chinas ins Grübeln geraten, ein Blick auf einen der größten Filmerfolge der letzten Zeit, Frant Gwos The Wandering Earth, spricht ideologische Bände über die Zukunft unserer Erde aus chinesischer Perspektive.
Doch abseits vom Blubbern dieses unheimlichen Nachrichten- und Film-Mainstreams werden auch andere Geschichten erzählt. Man sehe sich nur Wang Xiaoshuais vor wenigen Wochen erschienenes Meisterwerk Bis dann, mein Sohn an, das von einem über die Generationen schwer verwundeten Land erzählt, das vor lauter Fremde kaum mehr die Heimat wiedererkennt und auf die basalsten menschlichen Qualitäten zurückgreifen muss, Familie, Freundschaft und die Bereitschaft miteinander zu kommunizieren, um die zunehmenden Entfremdungen irgendwie in den Griff zu kriegen.
Davon erzählt auch Lulu Wangs The Farewell. Doch anders als Xiaoshuais Amalgam aus politischer, wirtschaftlicher und persönlicher Geschichte, konzentriert sich Wang gezielt auf eine persönliche Geschichte, die allenfalls dadurch politisch ist, als sie – wie in fast allen Autokratien und Diktaturen üblich, Familie als Rückzugsort und Zentrum des Lebens erkennt. Doch dieser Rückzugsort hat es in sich und ist alles andere als statisch. Denn Wang führt in ihrer Geschichte eine Großfamilie vor, die nicht nur in China geblieben sind, sondern die es im Lauf der letzten Jahrzehnte nach Amerika und auch nach Japan verschlagen hat. Als bekannt wird, dass die in China zurückgebliebene Großmutter der Familie, Nai Nai, (Zhao Shuzhen) mit ihrem Lungenkrebs ein terminales Stadium erreicht hat, beschließt die Familie unter dem Vorwand, einen der Enkel mit seiner japanischen Freundin zu verheiraten, ein letztes großes Familientreffen.
Dieses Treffen, das natürlich auch eine großartiges kulinarisches Fest ist, inszeniert Wang als subtile, lustvolle Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie. Denn die in China herrschende Moral, einem Todgeweihten nicht von seiner Krankheit zu erzählen, damit er wenigstens die letzten Monate noch unbeschwert leben kann, trifft vor allem auf den Widerstand von Nai Nais amerikanisch sozialisierter Enkelin Billi (Awkwafina), die als chinesisch-amerikanische Schriftstellerin gerade mit ihrem Durchbruch zu kämpfen hat, und nun auch noch mit ihrer eigenen Tradition und Akkulturation zu kämpfen hat.
Man spürt vor allem in diesen Szenen, in denen Wang die Entfremdung zur eigenen Mutter-Kultur- und Sprache akzentuiert, Wangs persönliche Anteilnahme, erzählt sie doch in ihrem Film auch die Geschichte ihrer eigenen Großmutter, bei der sie vor ihrer Auswanderung in die USA mehrere Jahre gelebt hatte. Wang macht dabei vor allem die schwer zu überbrückende Dissonanz zwischen traditionellen Erwartungen und einer liebevollen generations-übergreifenden Beziehung deutlich, ohne sich dabei festzulegen, was der richtige Weg zur Lösung dieses Konfliktes sein könnte. Aus diesem Konflikt bezieht Wangs Film nicht nur seine tragischen Momente, sondern auch eine groteske Komik, die das teil-tabuisierte Thema Tod und Sterben überraschend zentral und gut verdaulich aufbereitet.
Wang überträgt diesen Ansatz auch auf ihr Porträt des gegenwärtigen Chinas, in dem nicht nur Tradition und Moderne miteinander ringen, sondern auch immer wieder die Frage nach nationaler Identität und Heimat gestellt wird, die ja auch in Bis dann, mein Sohn ein zentrales Thema war. Wang beantwortet diese Frage weniger kritisch als Xiaoshuai, in dem Heimat letztendlich nur mehr in Familien- und Freundeskonstellationen möglich ist. Auch Wangs Personal in The Farewell hat eine relevante politische Identität verloren, doch macht sie dafür auf ein globales, grundsätzliches Chinesisch-Sein aufmerksam – und den damit einhergehenden mannigfaltigen Gefahren, die Leben, Lieben und Sterben nachhaltig verändern. Dabei wird deutlich, dass China bei weitem nicht nur der von der Partei medial inszenierte homogene politische Korpus ist, der sich vehement gegen jeden Einfluss der westlichen Welt wehrt, dafür aber umso mehr Einfluss nehmen will, sondern auch eine Gesellschaft ist, die auf persönlicher, nicht-politischer Ebene diesem Einfluss nicht nur grundsätzlich ausgesetzt ist, sondern im Angesicht eines Identitätsverlustes sogar zu einem befreienden Dialog gefunden hat, fernab jeder politischen Doktrin.