USA/F/D 2002 · 110 min. · FSK: ab 16 Regie: Brian De Palma Drehbuch: Brian De Palma Kamera: Thierry Arbogast Darsteller: Rebecca Romijn-Stamos, Antonio Banderas, Peter Coyote, Eriq Ebouaney u.a. |
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Rebecca Romijn-Stamos |
»I am a bad bad girl, rotten to the heart« – Gleich zu Beginn wird man hineingeworfen in das Universum des Kinos, dem sich dieser Regisseur schon immer ganz besonders verbunden fühlte: Eine Frau liegt nackt auf dem Bett und sieht im Fernsehen Billy Wilders Double Indemnity. Barbara Stanwyk spielt hier genau so eine klassische Femme Fatale, ein verruchtes, unberechenbares,schlangenhaftes Weib, wie jene, in die sich die junge Frau gleich ebenfalls verwandeln wird: Laure ist eine Jet-Set-Gangsterin, Glamour und kühle Gewalt verschmelzen in ihr zu einer fatalen Mischung.
Mit Schlangen hast es Brian DePalma in letzter Zeit öfters. Snake Eyes hieß sein letzter Film, dies nur nebenbei, diesmal geht es gleich zu Beginn schon um eine Schlange – so heißt ein wertvolles Diadem, das Laure gleich stehlen soll. Schlangenhaft schlängelt sich auch die Musik, eine moderne Variation von Ravels Bolero – in einer Eingangssequenz, wie man sie lange nicht gesehen hat, begleitet sie die Kamera, die Laure begleitet, bei einem Raubüberfall. Fast eine Viertelstunde dauert das Ganze, nebenbei schlängelt sich auch mal ein Gangsterwerkzeug durch ein kleines Loch und scheucht eine Katze auf – nur ein kurzes Schmuckstück in einem opulenten, von Einfällen überbordenden Film.
All das ironischerweise mitten auf den Filmfestspielen von Cannes. Film und Wirklichkeit verschmelzen: Einerseits ist Femme Fatale fast übervoll mit manchmal spielerisch-sinnvollen, manchmal auch absichtlich Verwirrung stiftenden, Verweisen auf die Filmgeschichte, andererseits doch ein gradliniger Thriller in der Nachfolge Hitchcocks. Spannung und Unterhaltung mischen sich zu höchster Kunst. Auch Sir Alfred scherte sich um Glaubwürdigkeit wenig. Bei DePalma sind es immer Situationen und Bewegungen, kleine Etüden, die ihn interessieren. Dabei, auch das zeigt der Film, behält er das Masterpiece immer mit im Auge.
Später, inzwischen befindet man sich in Paris, will die Gangsterdame ein neues Leben beginnen. Wie immer in solchen Fällen, jedenfalls im Kino, kommt das alte Leben dem Neuen, kommt die Vergangenheit der Zukunft in die Quere – diesmal in Form des cleveren Paparazzo Nicolas. Ungewollt verrät er Laure an ihre früheren Komplizen, und bald fühlt er sich verantwortlich für die Täterin, die zum Opfer geworden ist...
Vielleicht verhält sich aber auch alles ganz anders. Brian De Palmas neuester Streich ist ein Vexierspiel ganz im Stil der anderen großen Werke dieses Regisseurs: Obsession, Dressed to Kill, Body Double oder zuletzt Snake Eyes, mit Verweisen auf den Film Noir, Antonioni und so manches mehr. Ob es wirklich aufgeht, muss jeder selbst überprüfen, aber ein großes, vielschichtiges Vergnügen ist Femme Fatale auf jeden Fall.
Jeder gute Regisseur hat einen unverkennbaren Stil, hat so seine Macken, Eigenheiten, Techniken, Vorlieben, Lieblingsthemen. Jeder gute Regisseur durchläuft in seiner Karriere aber auch Veränderungen, Entwicklungen und dreht (aus kreativen Gründen, aus Lust und Laune oder einfach nur des Geldes wegen) Filme, die überhaupt nicht zu seinem übrigen Werk passen bzw. zu passen scheinen.
Um die besondere Handschrift eines Regisseurs genauer kennen zu lernen, sollte man sich deshalb,
wenn schon nicht alle, so doch zumindest einen Großteil seiner Filme zu Gemüte führen, was bei Filmemachern, die seit dreißig Jahren und mehr im Geschäft sind, leider nur mit Hilfe einer sehr umfangreichen Video-Sammlung oder einer Werkschau in Cinematheken oder auf Filmfestivals möglich ist.
Brian de Palma macht es uns da leichter, indem er mit seinem aktuellen Film Femme Fatale eine kompakte Retrospektive seines eigenen Werkes liefert und in 110 Minuten alle Grundmotive, Einflüsse, Leidenschaften, Schwächen und Stärken, die seit jeher seine Film mal mehr, mal weniger durchziehen, exemplarisch vorführt.
Die Handlung von Femme Fatale ist schnell erzählt. Die Diebin Laure betrügt bei einem großen Coup ihre beiden unfreundlichen Komplizen, muss deshalb aus Paris fliehen, nimmt hierzu eine andere Identität an, kommt nach einigen Jahren gezwungenermaßen zurück, wird von ihren Verfolgern entdeckt und verwickelt – zu ihrer Rettung – den Photographen, dem sie ihre aufgeflogene Tarnung zu verdanken hat, in ein zwielichtiges, kriminelles Spiel.
So unsinnig es klingen mag, aber in bester de Palma-Manier hat diese Handlung im Grunde keinen Einfluss auf den Verlauf des Films. Wie so oft, ist auch hier die Handlung nur eine Folie, vor der de Palma einzelne Bilder und Szenen ablaufen läßt. In diesem Sinne überhöht er ein Prinzip seines großen Vorbilds Alfred Hitchcock ins Extrem und macht aus der gesamten Handlung einen McGuffin.
Gnadenlos biegt sich de Palma seine Geschichte so zu Recht, wie er es gerade braucht, pfeift auf jede
Logik bzw. Wahrscheinlichkeit und erhebt den Zufall zum beherrschenden Prinzip, wobei in dem vorliegenden Ausmaß nicht einmal mehr von Zufall, sondern von Fügung gesprochen werden muss. Die höhere Gewalt, die hier die Figuren und ihre Schicksale lenkt und zum richtigen Zeitpunkt sogar den Himmel aufreißen läßt, ist dabei der Regisseur selbst.
Wie alle filmischen Eigenheiten de Palmas, ist auch dieser willkürliche Umgang mit der Handlung (bzw. der Realität) eine äußerst ambivalente Sache, die zwischen purem Schund und bewundernswerter Brillanz pendelt. Wenn etwa Femme Fatale kurz vor Schluß einen radikalen Bruch erfährt und dadurch die gesamte Handlung in Frage gestellt wird, kann man darin entweder eine intelligente Reflexion über die Realität und ihre verschiedenen Ebenen sehen oder sich schlicht an die »Auferstehung« von Bobby Ewing aus »Dallas« erinnert fühlen.
Die respektlose »Handlungsfreiheit« kann de Palma aber auch beinahe vollkommen ablegen, wenn er seine Drehbuchambitionen einmal ruhen läßt, sich auf das Regieführen beschränkt und eine konkrete Vorlage (Drehbuch, Roman, Fernsehserie) verfilmt. Filme wie Scarface, The Untouchables, Carlito’s Way oder Fegefeuer der Eitelkeiten etwa sind durch und durch glaubhaft und stringent und benötigen deshalb auch keinen von de Palmas üblichen Deus ex Machina, um durch aberwitzige Verschwörungen und Intrigen oder übernatürliche Ereignisse erklärt zu werden.
Erstaunlicherweise gelingt es de Palma bei diesen Filmen auch mühelos, seine geliebten, hochkomplizierten, technikverliebten Plansequenzen, denen er sonst gnadenlos alle erzählerischen Grundsätze unterordnet, nahtlos in die Handlung zu integrieren.
Nicht so bei Femme Fatale, der mit einem kaum enden wollenden High Tech Rififi beginnt, danach immer wieder von minutenlangen, meisterhaft ausgeklügelten Kamerafahrten (incl. Splitscreen und
ähnlichen Tricks) dominiert wird und mit einer dramatischen Kettenreaktion jenseits aller Plausibilität endet.
Auch diese filmischen Kompositionen aus Bewegung, Architektur, Musik, Rhythmus und Licht kann man mit der größtmöglichen Widersprüchlichkeit betrachten.
Ist das alles nur Selbstzweck, Leistungsschau, technische Spielerei ohne narrativen Nutzen oder doch Hingabe an eine überwältigende Bildsprache und damit bedingungsloses Bekenntnis zum Kino als (in erster Linie) visuelles Medium?
Dass das Kino und das damit eng verknüpfte Sehen in all ihren Facetten, de Palmas
wahre Leidenschaften, wenn nicht gar (gemäß eines seiner frühen Filmtitel) Obsessionen sind, ist dabei kaum zu übersehen.
Viele Regisseure sind Filmfans und -kenner, aber selbst die fanatischsten wie Scorsese oder Bogdanovich sind in ihrem Umgang mit der Filmgeschichte nicht halb so direkt und obsessiv wie de Palma. Wo andere eine zarte Hommage oder eine diskrete Anspielung wagen, da kopiert, variiert und zitiert de Palma seine Vorbilder in vollen Zügen und ohne jede Scham.
Es ist sicher kein Zufall, dass de Palma in Femme Fatale immer wieder ein Plakat mit der Aufschrift »Deja
vu« ins Bild rückt, denn genau dieser Eindruck setzt sich beim Zuseher fest, wenn ungeniert Fragmente und Motive aus unzähligen Filmen von Hitchcock über Antonionis BLOWUP bis hin zu de Palmas eigenem Frühwerk, an einem vorüberziehen.
Als bezeichnendes Beispiel dieser Manie kann man in Femme Fatale den Versuch de Palmas beobachten, aus der zwar attraktiven aber doch gewöhnlichen Hauptdarstellerin Rebecca Romijn-Stamos stellenweise eine klassische Hitchcock-Blondine zu machen. Diese Aufgabe betreibt er mit der selben (Detail)Besessenheit wie ehemals Jimmy Stewart in Vertigo, als dieser Kim
Novak zur Frau seiner (Alp)Träume ummodelte.
Einmal mehr aber auch hier die strittige Frage, ob das nicht filmische Grabräuberei (wenn nicht gar Leichenschändung) ist, oder doch die vitale Variation über bekannte Themen, wie man es beim Jazz kennt und liebt.
Nicht minder zwiespältig ist de Palmas zweite Obsession, das Sehen, und alles was damit verbunden ist. Sehen und gesehen werden, beobachten, verstecken, Maskeraden, Täuschungen, Nachtsichtgeräte, Blendungen, Verdopplungen und Doppelgänger, Fotos und Fotographen usw. zeugen inhaltlich von seiner Faszination für das Visuelle, die er mit filmischen Mitteln entsprechend fortsetzt.
Die Kamera nimmt bei de Palma viele verschiedene, oft subjektive Positionen ein, zeigt die
Welt aus den ungewöhnlichsten Blickwinkeln, mit den überraschendsten Effekten, detail- und symmetrieversessen, rastlos, immer in Bewegung und sie wendete sich nie ab, hält immer drauf, egal ob jemand versucht sich umzubringen, ob jemand von einem Laster überfahren wird oder wenn zwei Frauen miteinander Sex haben.
Der passende Widerspruch hierzu: Führt de Palma durch diese Szenen den Menschen (und vor allem uns Kinogängern) unseren eigenen, gerne verdrängten Hang zum
Voyeurismus vor oder ist das alles nur billige Zurschaustellung bis hin zur Pornographie?
Leider ohne jeden Zweifel ist de Palmas Problem mit der Schauspielerführung. Sein »Augenmerk« liegt eben bei anderen Aspekten des Filmemachens, weshalb mittelmäßige oder unerfahrene Schauspieler ohne richtige Anleitung in ihren Rollen blaß und verloren wirken (so auch Antonio Banderas und Rebecca Romijn-Stamos in Femme Fatale). Gute und routinierte Schauspieler wie Pacino oder de Niro dagegen nutzen die Freiheit in de Palmas Filmen, um ihre Rollen uneingeschränkt auszugestalten (wozu ein Talent wie Peter Coyote im vorliegenden Fall leider keine Möglichkeit hat, da seine Rolle einfach zu bedeutungslos ist).
Zusammenfassend kann man sagen, dass Femme Fatale als Thriller, als der er beworben wird, in Ermangelung wirklicher Spannung überhaupt nicht funktioniert und auch als leichte Actionunterhaltung mit schönen Menschen und Bildern, taugt er aufgrund seiner cinephilen Kopflastigkeit kaum.
Als leidenschaftlicher Blick auf die Welt des Kinos und vor allem auf die wilde und ungestüme Welt des Brian de Palma, ist dieser Film dagegen bestens geeignet.