F/Senegal/B/D/Libanon · 124 min. · FSK: ab 6 Regie: Alain Gomis Drehbuch: Alain Gomis Kamera: Céline Bozon Darsteller: Véro Tshanda Beya, Gaetan Claudia, Papi Mpaka, Nadine Ndebo, Elbas Manuana u.a. |
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Ein Film wie eine Rumba |
Ein Film wie eine Rumba. Erst in seiner Unaufhörlichkeit gewinnt das Stück seinen rollenden Charakter, erst in der Wiederholung seiner verwobenen Strukturmuster entsteht ein Rhythmus. Und auf einmal ist der Rhythmus allumfassend, zwingend, in seiner Unausweichlichkeit brutal. Dann ist die Rumba das rollende Schiff, an das sich klammert, wer gut durch die Nacht kommen will.
Die Nacht ist sowieso da, ob ein Tanz aufkommt, oder nicht. So steigt Félicité ein, ehe es richtig los geht, und ist schon mittendrin, mit einer filmischen Entsprechung zum Soundcheck einer Band, die ja das Schiff steuern muss: Bildercheck. Hocken oder Stehen, ein Nachtclub sortiert sich, manche haben ihre Stammplätze, kauernd am Boden, andere kommen in Gesprächsfetzen rein, der Raum wirkt wie ein Korridor für eine Zeremonie, deren Ablauf allen Anwesenden geläufig ist. Félicité ist die Sängerin.
»Ich bin Tabu!« provoziert einer und wankt. »Er ist schon blau,« ruft ein anderer, und meint damit auch ein Blau, das sich später als wiederkehrendes Motiv über eine andere Seite der Nacht legen wird. Blackout. Das Delirium hält an. Nachts sind die Straßen von Kinshasa unbeleuchtet. Dann Tag. Félicité ist unzufrieden. Der Kühlschrank ist kaputt. Dimmer dimmer. Der Mann, der ihn reparieren sollte, er ist zu nichts gut. Die Anspannung in den Augen der Frau lässt ein Meer an Problemen ahnen. Ein Anruf: Samo, ihr Sohn, er ist vom Motorrad gefallen.
Félicité ist zweigeteilt, als wären es zwei Filme: Tag und Nacht. Aber wenn Mama uns den Weg zum Spital bahnt, ist es auch in der Mittagssonne so, als würden wir durch eine Folge »Durch die Nacht mit...« gelotst werden. Nein, nicht wegen der guten Laune, die Félicité in ihrem übermüdeten Gesicht nicht hat. »Du hast ein Gesicht wie ein Panzerwagen«, wird Tabu ihr später einmal augenzwinkernd sagen. Als Liebeserklärung. Sondern weil hier der Tag nur eine andere Seite der Nacht ist. Wie bei einem Magnetband, bei dem die eine Spur an die andere gebunden ist.
Und damit ist auch schon alles etabliert: Félicité muss viel Geld organisieren, sonst kann Samo nicht operiert werden. Mehr passiert nicht. Doch, es passiert. Das Fließen. Das Rollen der Rumba. Man wird da mit reingenommen, und dann ist man drin im tagein tagaus. Das Motto von OK Jazz, einer der führenden Rumba–Orchester im Kinshasa der 1970er Jahre, war gewesen: »We go in OK, we go out OK.« Ein halbes Jahrhundert später muss es lauten: We go in k.o., we go out k.o. Alles kostet, und zu oft wird man gezockt. Knocked out. Und dennoch wach. Schlafwandlerisch. Wie die Zombie–Vergleiche von Pedro Costa. Wie in Trance.
Erst die Strecke, die man zurücklegt, ist es, die den Charakter des Films offenbart. Im Lauf der Zeit driftet dann die Monotonie ungeheuer ab, entwickelt eine ungemein interessante Eigendynamik. Es ist, als würde sich Samos Operation im Lauf aller Anstrengungen im Schatten einer Parallelwelt vollziehen. Anstrengungen, die dem Gleiten in einem Boot gleichen. Extase im Stehen. Der Titel eines Perry Rhodan–Romans kommt in den Sinn: »Terra in Trance: der Gott der Simusense – ein Mann kämpft gegen die Herrscher der Träume; ein Planetenroman«. Mit dem Unterschied, dass Félicité gegen alle Männer kämpft, was aber nicht das vordergründige Thema ist. Eher schon, dass der Klirr-Klang-Gott über die Träumer im Paradies wacht, in welchem Unzufriedene der verfallenden Städte neugeboren werden können.
Natürlich gelingt aber keine Heilung einfach so en passant, im Gegenteil. Alles verschlimmert sich. Félicité ist eine richtige Dystopie. Beerdigungen gehören zum Alltag. Begleitet von der Musik der anderen Seite, der Symphonieorchesterchor von Kinshasa und Arvo Pärt vollführen eine morbide Zauberei. Der Fernseher ist kaputt. Und der Kühlschrank wird nicht mehr. Wahnsinn greift in den Raum. Alkoholismus. Die Blackouts werden länger, richtige Schwarzstellen als Stilmittel. Alain Gomis hat hier ein starkes Stück gewagt. Die Sprache verliert sich, irgendwann bleibt sie ganz weg. Stagnieren bis zum Stillstand, nur noch das Wackelbild mit den Comic-Hunden an der Wand bewegt sich.
Manch ein europäischer Blick wird hier sicher die Beschreibung von »prekären Verhältnissen« zu erkennen glauben. Eine wertende Betrachtung, die den im Kongo herrschenden Realitäten nicht gerecht wird. Mit so einem Blick kommt man hier nicht weit, verpasst es, mitgenommen zu werden.
Was wir sehen, ist dort Dauerzustand. Was nicht bedeutet, dass das gezeigte Leben als in Ordnung dargestellt wird. Hier wird nichts abgefeiert. Aber eben auch kein Drama daraus gemacht, das auf eine
Katastrophe oder eine Wendung hinausliefe. Es ist eher ein Beständiges: Der Zug läuft eh weiter, bleibst du an Bord oder gibst du auf? Ach, der Zug ist kaputt? Dann läuft er heute im Stehen.
Félicité muss schließlich durch einen Feuerreifen. Die Musik muss weiter, die Nacht nimmt ja auch kein Ende. Tabu spricht Dinge aus, die Félicité hören will, und Samo hört auf zu resignieren. Stoisch ist die Rumba. Anders als der Blues, hat die Rumba keinen Refrain und keine Pointen. Die Strophen fließen endlos dahin. Ach, diese Musik! Sie kommt von den Kasai Allstars, einem 25-köpfigen Kollektiv, dessen Mitglieder fünf ethnischen Gruppen angehören, den Songye, Lulua, Tetela, Luba, und Luntu. Ihre Alben tragen Titel wie »In the 7th Moon, the Chief Turned Into a Swimming Fish and Ate the Head of His Enemy by Magic«, und werden produziert von dem Belgier Vincent Kenis, der schon vor vierzig Jahren mit Aksak Maboul oder den Honeymoon Killers seltsam schöne Musik auf die Welt brachte.