USA 1999 · 139 min. · FSK: ab 18 Regie: David Fincher Drehbuch: Chuck Palahniuk, Jim Uhls Kamera: Jeff Cronenweth Darsteller: Brad Pitt, Edward Norton, Helena Bonham Carter, Meat Loaf u.a. |
Könnte ja jeder sagen. Und – sehen wir den Dingen ins Auge – die meisten unter uns lägen sogar verdammt richtig damit. Dass David Fincher diese Worte ausgerechnet Brad Pitt in den Mund legt, ist ganz schön frech. Eine kleine, harte Ohrfeige: weh tun Finchers Filme ja immer irgendwie, auch dem Zuschauer. Man zuckt zuerst ein bisschen, windet sich. Müssen wir uns das gefallen lassen, uns das sagen lassen von einem ausgerechnet, der immerhin zwei von drei möglichen Kategorien längst schon auf sein Konto gebucht hat? Lassen wir uns das bieten von Brad-Film-Idol-Millionär-Pitt? Dann sickert die Ironie durch und wir fühlen uns plötzlich verflucht gut. Nach dieser kleinen, harten Ohrfeige. Enjoy the pain. Wenn man dieses Prinzip begreift, hat man eine subtile Art der Aufnahmeprüfung, der Initiation geschafft. Willkommen im Fight Club.
Meet the man with no name. Oder auch: den Mann der tausend Namen. Eward Norton hat das Gesicht zum amerikanischen Jedermann (Edward Norton ist aber auch, seit Primal Fear, der Mann für das Jekyll-and-Hyde-Syndrom, der Mann mit den zwei Gesichtern). Jedermann hat ein beschissenes Leben: nine-to-five job, Mietwohnung, Einrichtung aus einem schwedischen Möbelhaus. Leben im Hamster-Laufrad. Nachts kann er nicht schlafen. Das bringt einen nicht um, sagt der Arzt in der Notaufnahme. Mag sein. Es ist ja nicht so, dass Jedermann so leicht umzubringen wäre. Es ist aber auch nicht so, dass alles, was Jederman nicht umbringt, Jedermann stärker macht. Wäre ihm schon geholfen, wenn er ein bisschen Schlaf finden könnte. Der Schlaf ist der Bruder des Todes und je näher man dem Tod auf die Pelle rückt, desto tiefer ist man auch drin im Leben.
Das ist das eigentliche Übel der Zivilisation: der Körper, das Gefühl dafür ist uns irgendwie abhanden gekommen und man muss zunehmend mit Brachialgewalt vorgehen, um es wenigstens zeitweilig wiederzufinden. Dass etwas da ist, da war, merkt man am besten, wenn man es zerstört.
Das Licht, das Fincher an Jedermanns Arbeitsplatz werden lässt, ist brutal, ganz und gar unschmeichelhaft. Ein traniges Weiss, Anstalts-Weiss, blutleer wie das Wetter auf Wolke Sieben (man möchte dann doch lieber in der Hölle schmoren, zu den Sieben Todsünden noch eine Handvoll neu dazu erfinden). Die Gesichter in diesem Weiss wirken aufgedunsen, teigig. Untote, wie sie die da in ihren weissen Hemden, weissen Kostümen zwischen den weissen Büromöbeln an den weissen Kopieren stehen, die weissen Styropor-Kaffeebecher in den blassen Händen. Eine Wegwerfkulisse der Fusssoldaten (auch die: ersetzbar, Jedermann braucht keinen Namen hier, nichts Individuelles). Ein Blick in die unteren Etagen diesmal, und vielleicht wird es einige unter uns trösten, dass es oben, wo das grosse Geld ist, die Mahagonischreibtische und das Palisander-Parkett, auch sich nicht besser leben lässt. Fincher hat uns das ja zuletzt vorgeführt am Beispiel des Nicolas Van Orten: The Game of life sucks everywhere.
Dann, im Flugzeug irgendwo zwischen A und B, wenn man nicht aufpasst oder gar zu sehr wünscht, jemand anders zu werden (Nietzsche würde sagen: zu werden, was du bist – aber mehr darf nicht verraten werden über diesen PSYCHO-trip), findet sich Jedermann unversehens neben Tyler Durden. Tyler sieht aus wie Brad Pitt, sein Leben ist alles andere als beschissen, er verkauft Seife aus eigener Herstellung. Trotzdem: alles andere als ein Saubermann.
Tyler ist besser als die Selbsthilfegruppen, in denen sich Jedermann herumtreiben kann und behaupten, dass er Hodenkrebs hätte oder Leukämie oder weiss der Teufel was. Es ist im Endeffekt unbefriedigend zu sterben, wenn man nicht mal schlafen kann.
Tyler hat das bessere Rezept gegen alles: enjoy the pain. Willkommen im Fight Club. Selbstzerstörung ist Fortschritt, ist Lebendig-Sein. Funktioniert nur, wenn’s ein Selbst zu zerstören gibt. Fight Club ist eine Art Herrenclub der Strasse. Jedermann prügelt Jedermann. Und in der Hamster-Factory zwischen neun und fünf bringt ein Blutfleck auf dem weissen Hemd endlich etwas Farbe ins Spiel.
David Fincher ist so brillant, dass er einem allmählich unheimlich wird. Orson Welles hatte zumindest den Anstand nach dem Citizen Kane sich mit dem Studiosystem zu überwerfen, sich das eine oder andere Filmprojekt verstümmeln zu lassen oder gleich selbst als Fragment nur abzuliefern. Den Anstand also, einigen Kritiker- und Filmwissenschaftlergenerationen den beruhigenden Augenschein des Niedergangs anzubieten. Wunderkind Fincher tut uns den Gefallen nicht (»We are thirty year old boys«, sagt Tyler einmal, man darf also auch den Regisseur durchaus noch unter der Kategorie Wunderkind führen).
Was Fincher besonders interessiert: die Ordnung der Dinge, das System und seine Regeln. Fight Club ist dabei zugleich der witzigste und der pessimistischste unter seinen Filmen, was ja ohnehin ganz gut zusammengeht. Eine Art Galgenhumor. Seven – auch nicht gerade heiter insgesamt – ist doch irgendwie elegischer weil tragischer, und wer da nicht gerade das Pech hat, als Jack-in-the-Box zu enden, kann sich in der Regel ganz gut arrangieren mit den Regeln. Mancher schläft am besten zum Klang eine Metronoms (bei Fincher, man kann das nach drei – fast vier, will man Alien 3 mitzählen – Filmen schon sagen, gibt es ein Universum, eine Welt, die übergreift über das Ende des einzelnen Films in den nächsten hinein: es würde mich nicht wundern, wenn wir es hier mit dem Schaffer einer Menschlichen Komödie in Zelluloid zu tun hätten): bizarr, dass also Seven anfängt mit einem, der sich den Takt vorgibt zum Schlafen, und Fight Club endet bei einem, dem die Regelhaftigkeit seines Lebens den Schlaf raubt.
Brad Pitt war bei Fincher bereits in Seven zu sehen und auch da ist er eine Art Doppelgänger, der Schatten eines anderen. Seven ist ein Bild der Heiligen Dreifaltigkeit: John Doe – wieder so einer ohne Namen, so ein Jedermann – der Serienmörder vereint in sich das physische Prinzip (die Morde, die Aggression, leben heisst zerstören) und den psychische Disposition, John Doe ist einer, der die Ordnung der Dinge lesen und schreiben kann – in Blut, wenn’s sein muss. Sergeant Mills gehen manchmal die Nerven durch, dabei kann ihm auch die Hand ausrutschen (er ist so eine Art body-double Does), mit den Texten, den Erklärungen hat er es nicht so. Detective Sommerset flüchtet sich mit Vorliebe in die Bibliothek, wenn er raus will aus der Stadt. Die Welt der Texte, der Festschreibung, der Sinngebung, ist durchaus eine andere, eigene Welt. John Doe – Mills – Sommerset: einer ist Spiegel des anderen, alle sind Facetten des einen und wenn Sommerset, der Überlebende am Ende sagt: I'll be around, ist das nicht so beruhigend, wie es sich zunächst anhört. Am Ende von Seven überlebt die Ordnung.
Ein Kontrollfreak ist auch Nicolas van Orten, aber The Game ist fröhlicher, spielerischer eben, und die Zerstörung so positiv-produktiv, wie wir uns das insgeheim immer wünschen. Ein ground-zero-Film, unserem Millionär wird ziemlich übel mitgespielt, aber am Ende dieser Kur ist er ein bisschen weniger Arschloch und der eine oder andere in seiner Umgebung weiss das durchaus zu schätzen (wir auch, denn solange man selbst nicht Millionär ist, oder Film Idol oder Rockstar oder am besten alles zusammen, lassen wir uns ja immer wieder gerne einreden, dass Geld allein nicht glücklich macht). The Game beginnt mit dem Bild eines explodierenden Puzzle. Es lebe die Unordnung, das Chaos. Man hat da einfach mehr Spass am Leben.
Was Fight Club so pessimistisch macht: dass hier einer, Jedermann, solch existenzielle Verzweiflung verspürt angesichts der Regelhaftigkeit seines Lebens, dass er ausbrechen möchte und ihm das auch beinahe gelingt. Dass es dann doch kein Chaos gibt, und die Ordnung der Rebellion eine, die noch totalitärer, noch faschistoider daherkommt, als diejenige, aus der man sich flüchten wollte. Es gibt, anders gesagt, nur die Wahl zwischen Herr oder Sklave.
Better to rule in hell than to serve in heaven.
Weil man ja Filme so prima haftbar machen kann, so gut benutzen, um das nicht einzuordnende zu ordnen, hat man sich im Land der unbegrenzten Erklärungsmöglichkeiten schon wieder ereifert über Fight Club (ein Hoffnungsschimmer immerhin, dass die Subversion überhaupt erkannt wird, das ist schon eine Fortschritt). Das Unfassbare: ein paar Zuschauer haben sich wohl durch diesen Film tatsächlich hinreissen lassen, einen eigenen Fight Club aufzuziehen. Irgendwie gab es dann Verletzte und Heulen und Zähneklappern, das nur am Rande. Man wundert sich dann, dass die Leute sich wundern, wenn’s weh tut. Aber : wen sich Leute gegenseitig verkloppen wollen, sollen sie. Mike Tyson hat das unlängst wieder in ein paar Sekunden ganz gut hingekriegt und dafür 18 Millionen oder so Dollar kassiert. Regt auch keinen auf. Ist dann sogar ein grosses Event für die ganze Familie, mit Popcorn und Diätcola. Ist ja auch alles unter Kontrolle: gut und böse klar verteilt, Gentleman-Boxer oder Ohrabbeisser. Eine Menge Geld fliesst ausserdem. Das ist der Unterschied. Und das ist der wirklich subversive Moment am Fight Club. The first rule of fight club is: you don’t talk about fight club. Kein Geld, kein Profit, keine Vermarktung. Eine Untergrundbewegung. Unüberschaubar. Unkontrollierbar. Ein kurzer Moment, fast nur Möglichkeit. Das revolutionäre Moment schlägt in Totalitarismus um oder wird geschluckt, die Revolutionäre mundtot gemacht. Später gibt’s dann Jahrestagfeiern. Von den Revolutionären auf der Strasse darf dann keiner mehr reden. Oder im Fernsehen auftreten. So was in der Art erleben wir ja gerade hierzulande.
Was Fincher so verdächtig macht: dass er allen Ernstes darüber nachdenkt, dass der Kapitalismus vielleicht doch nicht die beste aller denkbaren Welten sein könnte. Das ist natürlich unangenehm, wo doch gerade Bill Gates im deutschen Fernsehen verkünden durfte, dass jeder, der gegen die totale Globalisierung sei, ja dann wohl Kommunist sein müsse.
Am Ende ist Jedermann geworden, was er ist. Und es gibt das grossartigste Äquivalent zum finalen Ritt in den Sonnenuntergang, das man sich überhaupt ausmalen kann: eine Götterdämmerung des Kapitalismus mit Dame.
David Fincher ist so wie so DER Filmemacher der 90er Jahre und der erste Regisseur des 21. Jahrhunderts nebenbei. Wenn es mehr von seiner Art gäbe, wäre das der Niedergang der Filmkritik. Zu einem Film von David Fincher gibt es genau genommen nur eines zu sagen: ein Film von David Fincher. Und in eigener Sache: more, more, more!