Deutschland 2021 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Sönke Wortmann Drehbuch: Doron Wisotzky Kamera: Holly Fink Darsteller: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Hassan Akkouch, Ernst Stötzner, Stefan Gorski u.a. |
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Ein auf allen Ebenen gut funktionierendes Kammerspiel | ||
(Foto: Constantin) |
Filme sind wie Radrennen. Auf Momente größter körperlicher Qual folgen rauschartige Phasen, und wo es bergab geht, da geht es auch irgendwann wieder bergauf. Bei deutschen Komödien ist diese Analogie vielleicht am passendsten. Nach qualvollen Monaten, in denen es Täler wie Beckenrand Sheriff und Generation Beziehungsunfähig oder eine qualvolle Bergetappe wie Es ist nur eine Phase, Hase zu durchleiden gab, setzt endlich ein spürbarer Rückenwind ein, sind herrliche, rauschartige Abfahrten zu erwarten, eröffnete auf den Hofer Filmtagen doch gerade Peter Meisters großartiger Komödienhybrid Das Schwarze Quadrat das Festival und – läuft Sönke Wortmanns Contra an.
Das heißt natürlich grundsätzlich nichts Gutes. Denn auch Wortmann hat mit Frau Müller muss weg eher an die tiefsten Tiefen von Adam Sandler erinnert, aber auch Sandler hat ja dann auch wieder Meisterliches geschaffen. Allerdings bedient sich Wortmann für Contra des erfolgreichen, französischen Films Die brillante Mademoiselle Neila von Yvan Attal, mit Daniel Auteuil und der großartigen Camélia Jordana (Voll verschleiert), der 2017 einen César für seinen klugen Umgang mit festgefahrenen, identitären Positionen und sein Eintreten für eine Polyphonie der Meinungen erhielt.
Wortmann hat diese Grundhaltung mit seinem Drehbuchautor Doron Wisotzky nicht nur kongenial in seinen Film übertragen, sondern mit der Besetzung der Hauptrollen durch Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq auch schauspielerisch einen echten Trumpf gezogen. Vor allem wenn man noch in Erinnerung hat, wie sich Herbst durch das wirre, peinlichkeitsverkiffte Drehbuch von Es ist nur eine Phase, Hase mühte, dort zwar dennoch Haltung bewahrte, aber damit den Film nicht retten konnte.
In Contra muss Herbst nichts retten, denn hier kommt so ziemlich alles zusammen, was zusammen gehört, oder besser noch: was im Zusammenspiel von Regie, Schauspiel und Drehbuch sogar zu etwas überraschend Neuem, einer tatsächlich guten Tragikomödie wird.
Eine Tragikomödie, die zu Anfang ein wenig Zeit braucht, und das zu Recht, um ihre Grunddispositionen wie zu Anfang jeden Diskurses unumwunden und klar auf den Tisch zu legen: Nachdem der Universitätsprofessor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) die Erstsemesterstudentin und alleinerziehende Mutter Naima (Nilam Farooq) nach ihrem Zuspätkommen in die Vorlesung mit subtil-rassistischem Witz zurechtstutzt, gerät er in einen nicht nur universitären Shitstorm. Sein Freund und Direktor der Universität sieht nur eine Möglichkeit, um Pohl vor einer Entlassung zu schützen – er soll Naima beim jährlichen Debattenwettbewerb der deutschen Universitäten coachen und dadurch die Disziplinarkommission von seinen besten Absichten überzeugen. Eine bessere Grundlage, als zwei Menschen zusammenzuführen, die eigentlich nicht zusammensein wollen, gibt es für eine Komödie natürlich kaum, aber Wisotzky und Wortmann bieten mehr an. Denn in vorsichtigen, gerade nicht stereotypen Alltagssequenzen führen sie das ungleiche Paar vor – Pohl als verbitterten, trauernden Mann, Naima als junge Frau mit migrantischem Hintergrund, die zwischen diversen Erwartungshaltungen und eigenen Träumen kaum entscheiden kann, was richtig und was falsch ist. Nur in Ansätzen, fein und zeitlich gut getaktet, mischen Wisotzky und Wortmann homöopathische Dosen Humor in ihre Inszenierung, gerade soviel, um über die vertrackten Verhältnisse nicht zu trauern, sondern zu schmunzeln.
Zu großer Stärke läuft Contra jedoch mit den ersten Debatten auf, in deren Vorlauf der Zuschauer nicht nur die Grundregeln der Rhetorik und die Macht der Sprache vermittelt bekommt, sondern sich Contra auch politisch klar positioniert. Denn die Neuen Rechten kommen hier ebenso zu Wort wie dann ein mit Vorurteilen durchsetztes Bildungsbürgertum, das sich mit nebulösem Wissen über den Islam kaum eine eigene Position zugesteht, aber durch Naimas Debattenbeitrag dann eines Besseren belehrt wird.
Mit diesem Beitrag geht Contra dann auch einen überzeugenden zweiten erzählerischen Weg und integriert neben den komödiantischen Elementen des (Liebes-)Alltags von Naima auch eine tragische Note, die der Film bis zum Ende konsequent beibehält. In einer Stärke, die ungewöhnlich ist und die immer wieder, und sogar bis zu Tränen, berührt.
Das ist so überraschend wie großartig und spannend, eine Spannung, die natürlich durch die Debatten-Etappen wie bei jedem Radrennen fast schon automatisch mit dabei ist. Aber da Wortmann und Wisotzky sich ihre Charaktere tatsächlich entwickeln lassen und Entwicklungen nicht nur behaupten, funktioniert die Spannung in diesem Kammerspiel auch auf der menschlichen Ebene, ohne dabei die politischen und sozialkritischen Momente zu vergessen, die Wortmanns Film auch für den Schulunterricht zu einem wertvollen Beitrag machen.